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"Zivilisation" - ein Begriff hat wieder Konjunktur. Einst heiß diskutiert, zuletzt als "diskriminierend" verpönt - impliziert er doch ein Urteil über all jene, welche die Werte der Zivilisation nicht achten: Toleranz, Menschenrechte, Meinungsfreiheit.

Es war ein flammender Appell, den die italienische Autorin und Starjournalistin Oriana Fallaci an ihre Leser richtete: "Versteht ihr nicht, dass hier ein Kreuzzug stattfindet? Ein Krieg, den sie Dschihad nennen, ,Heiliger Krieg'. Der auf das Verschwinden unserer Zivilisation aus ist." Aus einem Artikel im "Corriere della Sera" wurde einem Buch mit dem Titel "Die Wut und der Stolz", dessen Startauflage von 200.000 Exemplaren binnen Tagen ausverkauft war. 160 Seiten lang ein unerbittlicher Angriff auf den militanten Islam und eine glühende Verteidigung der westlichen Kultur und Zivilisation. "Zivilisation" - dieser Begriff feiert Hochkonjunktur seit dem Terroranschlag auf das World Trade Center. Politiker jeder Couleur, der österreichische Bundespräsident Thomas Klestil ebenso wie der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder, ächteten die Anschläge vom 11. September als "Angriff auf die Zivilisation".

Nicht jedoch die Intellektuellen. Wenn aus den Luken diverser Elfenbeintürme überhaupt der Begriff "Zivilisation" zu hören war, dann nur in verächtlichem Tonfall, etwa wenn die indische Schriftstellerin Arundhati Roy Terrorchef Osama Bin Laden als den "brutalen Zwilling alles angeblich Schönen und Zivilisierten" beschreibt ("Er ist aus der Rippe einer Welt gemacht, die durch die amerikanische Außenpolitik verwüstet wurde.")

Nirgendwo anders wurde einst so intensiv über "Zivilisation" reflektiert wie im deutschen Sprachraum (siehe Seite 15). War es früher negativ konnotiert, scheint "Zivilisation" im deutschsprachigen Diskurs geradezu ein Unwort geworden zu sein: Denn "Zivilisation", beinhaltet - so oder so - eine Wertung, heutzutage gibt es aber unter den Gelehrten kein schlimmeres Vergehen, als über Angehörige anderer Kulturen ein Urteil zu fällen. Das heißt dann "Diskriminierung" und "Rassismus".

Dabei ließe sich heute an so manche seinerzeitige Überlegungen zum Thema Zivilisation und Kultur anschließen: Die deutschen Denker unterschieden zwischen Kultur und Zivilisation, wobei die Kultur das Eigentliche, das Wesentliche eines Individuums oder einer Gesellschaft ausmachte, während Zivilisation als etwas Äußerliches betrachtet wurde. Die Unterscheidung zwischen Kultur als Teil des Menschseins und Zivilisation als eine Form des Verhaltens findet man schon bei Immanuel Kant: "Die Idee der Moralität gehört zur Kultur. Der Gebrauch dieser Idee aber, welcher nur auf das Sittenähnliche in der Ehrliebe und die äußere Anständigkeit hinausläuft, macht bloß die Zivilisierung aus." ("Ideen zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht", 1784). Kultur ist Sein, Zivilisation Schein.

Diese Sicht der Kultur ist erstaunlicherweise nicht sehr weit entfernt vom heutigen Kulturbegriff, der Kultur als die Gesamtheit der Gewohnheiten, materiellen und geistigen Leistungen sowie die Standardisierungen eines Kollektivs definiert: als "Gesamtheit aller öffentlichen und mentalen Repräsentationen, die in einer Gemeinschaft von Menschen als Meinungen, Handlungsnormen, kommunikativen Bedeutungen etc. tradiert und stets aufs Neue interpretiert und somit konstituiert werden" (so der französische Sozialwissenschaftler Dan Sperber). Den Chauvinismus vergangener Zeiten hat zumindest die Wissenschaft abgelegt: Heute weiß man, dass jede Kultur einzigartig und komplex ist und man Kulturen oder Subkulturen nicht in ein hierarchisches Schema pressen kann: Ob jemand mit Messer und Gabel oder mit Stäbchen isst, zu Allah oder Jahwe betet, lieber Mozart oder die Sex Pistols hört, erhebt wahrlich niemanden über den anderen. Es gibt keine "höhere" und keine "minderwertige" Kultur.

Das ist einer der zwei grundlegenden Fehler, den Oriana Fallaci in ihrer "Predigt" (Eigendefinition) begeht. Zum einen setzt sie Kultur und Zivilisation gleich, zum anderen behauptet sie, die westliche Kultur sei der islamischen überlegen. Kein Wunder, dass Kritiker - und derer gab es viele - Fallacis Überlegungen auf die gleiche Stufe wie jene des italienischen Ministerpräsidenten stellten, der von der "Überlegenheit der westlichen Zivilisation" gefaselt hatte.

Dünner Firnis

"Küssen in der Öffentlichkeit, Schinken-Sandwiches, öffentlicher Streit, scharfe Klamotten, Literatur, Großzügigkeit, Kino, Musik, Gedankenfreiheit, Schönheit, Liebe", listete der von einer islamischen Fatwa verfolgte britisch-indische Schriftsteller Salman Rushdie im Londoner "Guardian" die Werte der westlichen Kultur salopp auf. Fraglich, ob man all das einfach in einen Topf werfen kann.

Menschenrechte, freie Entfaltung der Persönlichkeit, Meinungs- und Glaubensfreiheit, Rationalisierung - das heißt Berufung auf Vernunft, nicht auf Glaube - staatliches Gewaltmonopol und vor allem Toleranz: Sind das nicht Werte, die jenseits aller kulturellen Unterschiede liegen, die nicht "stets aufs Neue interpretiert und somit konstituiert werden" dürfen? Nennen wir doch einfach dieses Bündel von Werten "Zivilisation" und erlauben uns, Gesellschaften danach abzuklopfen, inwieweit sie diese Werte zu Maximen erhoben haben. Und erlauben wir uns, Gesellschaften, in denen diese Werte nichts gelten - Gesellschaften zum Beispiel, in denen Frauen die Teilnahme am öffentlichen Leben untersagt ist oder in denen das sich Lossagen von der herrschenden Religion als schweres Ver3 4 5 6 7 8 9 170 1 2 3 4 5 6 7 8 9 180 1 2 3 4 5 6 7 8 9 190 1 2 3 4 5 6 7 8 9 200 1 2 3 4 5 6 7 8 9 210 1 2 3 4 5 6 7 8 9 220 1 2 3 4 5 6 7 8 9 230 1 2 3 4 5 6 7 8 9 240 1 2 3 4 5 6 7 8 9 250 1 2 3 4 5 6 7 8 9 260 1 2 3 4 5 6 7 8 9 270 1 2 3 4 5 6 7 8 9 280 1 2 3 4 5 6 7 8 9 290 1 2 3 4 5 6 7 8 9 300 1 2 3 4 5 6 7 8 9 310 1 2 3 4 5 6 7 8 9 230 1 2 3 4 5 6 7 8 9 240 1 2 3 4 5 6 7 8 9 250

brechen gilt - als unzivilisiert zu bezeichnen und ihnen nicht den selben Respekt entgegenzubringen wie Gesellschaften, in denen diese Werte hochgehalten werden.

Freilich, auch zivilisierte Gesellschaften sind vor dem Ausbruch von Barbarei nicht gefeit. Treffendstes Beispiel hierfür ist das unmenschliche Wüten der Nazis in einem Land, das zuvor als jenes der Dichter und Denker galt. Die Gräueltaten von Soldaten zivilisierter Länder, etwa deutscher Soldaten an der Ostfront oder amerikanischer GIs in Vietnam, zeigen, dass der dünne Firnis der Zivilisation nur allzuschnell abblättern kann. Zivilisation gehört eben nicht zum Wesen des Menschen, sondern ist ein Verhalten, dass er sich selbst auferlegt und mitunter auch schnell ablegt. Genau genommen ist es unrichtig, von zivilisierten (und unzivilisierten) Menschen zu sprechen, zivilisiert (oder unzivilisiert) sind immer nur die Verhaltensnormen, denen sie sich unterwerfen (oder eben nicht unterwerfen). Wie gesagt: Kultur ist Sein, Zivilisation ist Schein. Wenn auch schöner Schein.

Auch darf nicht verschwiegen werden, dass zivilisatorische Ideale mitunter unbeabsichtigt barbarische Folgen zeitigen: Die - sagen wir einmal - hehre westliche Idee vom weltweiten freien Verkehr der Waren und des Kapitals, stellt sich für den Rest der Welt als nichts anderes dar, als ein vernichtender Wirtschaftskrieg mit existenzbedrohenden Folgen; die Globalisierung als Vandalenakt.

Dennoch: Eine zivilisierte Gesellschaft mit all ihren Schwächen und Fehlern ist noch immer weitaus besser als eine, in der die Werte der Zivilisation im Einklang mit geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen mit den Füßen getreten werden.

Sicherlich lassen sich Argumente finden, die untermauern, dass Menschenrechte, Meinungs- und Glaubensfreiheit, Rationalisierung und Toleranz Teil der westlichen Kultur seien und nicht Teil eines "diskriminierenden", eurozentristischen Zivilisations-Konzepts. Obwohl zu einer Zeit, als in Europa das "finstere Mittelalter" herrschte, Toleranz auch ein Merkmal der islamischen Kultur war, haben schließlich die genannten Werte ihren Ursprung in ihrer heuten Form in der abendländischen Kultur.

Keine Toleranz

Doch ein solcher Relativismus ist gefährlich. Wenn Menschenrechte, Meinungsfreiheit und Toleranz nur Bestandteil der westlichen Kultur sind, die auf der gleichen Stufe steht wie alle anderen Kulturen - auf welcher Grundlage kann man dann noch gegen barbarische Regime wie jenes der Taliban argumentieren? Kulturen verändern sich im Laufe der Zeit. Wenn Menschenrechte, Meinungsfreiheit und Toleranz nur kontingente Kulturphänomene sind - auf welcher argumentativen Basis schreitet man gegen Kräfte ein, die jene Werte aus unserer Kultur verbannt wissen wollen? Wohl nur mit dem Recht des Stärkeren. Und das ist nicht gerade ein Zeichen von Zivilisation.

Wer die Werte der Zivilisation als quasi beliebige Kulturphänomene begreift, wer also eine Wertung in so grundlegenden Fragen verweigert, der ebnet das Terrain für die diversen Prediger des Hasses und der Intoleranz, gleich ob es sich dabei um religiöse Fundamentalisten oder Faschisten handelt. Jenen, die Toleranz und alles andere, was die Zivilisation ausmacht, auslöschen wollen, darf keine Toleranz entgegengebracht werden.

Wie beendete Oriana Fallaci ihre Philippika gegen die Vertreter der islamischen Fundamentalismus, diese Archetypen des modernen Barbaren?: "Mit ihnen zu verhandeln ist unmöglich. Zu argumentieren, undenkbar. Ihnen mit Nachsicht oder Toleranz zu begegnen oder mit Hoffnung, wäre Selbstmord. Wer das Gegenteil glaubt, täuscht sich."

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