"Wir lassen die Rollos nicht runter"

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Gemeindebundpräsident und Bürgermeister Helmut Mödlhammer möchte mit keinem Kollegen in Europa tauschen - denn der ländliche Raum in Österreich hat zwar mit Problemen zu kämpfen, aber für Mödlhammer überwiegen nach wie vor die Stärken.

Die Furche: Herr Präsident, die Ausdünnung des ländlichen Raums ist in vielen Regionen Österreichs traurige Realität: Abwanderung, Geburtenrückgang, Überalterung ... - dreht sich da eine Spirale nach unten?

Helmut Mödlhammer: So pauschal kann man das nicht sagen, es gibt unterschiedliche Entwicklungen: In rund zwei Drittel der österreichischen Gemeinden wächst erfreulicherweise die Bevölkerung, aber es stimmt, bei einem Drittel nimmt die Bevölkerung ab - zum Teil dramatisch.

Die Furche: Wo liegen die besonders betroffenen Krisenregionen?

Mödlhammer: Vor allem im Bereich der früheren Industriegebiete in der Obersteiermark, in Grenzregionen wie dem Waldviertel gibt es Probleme und auch in Salzburg oder Oberösterreich müssen Ortschaften massive Bevölkerungseinbußen hinnehmen. Das ist eine langfristige Entwicklung, die bereits vor 20 Jahren eingesetzt hat; jetzt wird die Situation aber verschärft: durch die Konzentration der Arbeitsplätze in den Ballungsräumen, durch die wachsende Flexibilität und Mobilität der Bürger und nicht zuletzt dadurch, dass die Berufschancen für Menschen mit einem höheren Ausbildungsniveau in den Städten wesentlich höher sind.

Die Furche: Auch die Eltern auf dem Land werden schauen, dass ihre Kinder die beste Ausbildung erhalten - mit der Konsequenz, dass diese Kinder später wegziehen müssen.

Mödlhammer: Das ist unsere Hauptsorge, dass die besser Ausgebildeten weggehen. Ich bin aber auch mit dem gegenteiligen Problem konfrontiert: Hochspezialisierte Firmen im ländlichen Raum sagen mir, dass sie nur dann an diesem Standort weiterbestehen können, wenn sie qualifiziertes Personal bekommen. Deswegen wäre es wichtig, dass man die Fachhochschulen, die htl-Kollegs usw. nicht nur in den Zentralräumen konzentriert, sondern dass man diese Ausbildungsangebote auch dort ansiedelt, wo es Bedarf nach den Absolventen gibt. Die Kinder müssen auch im ländlichen Raum Chancengleichheit haben und sagen können: Wir bleiben in der Region oder wir kommen zurück, weil hier entsprechende Arbeitsplätze vorhanden sind. Ich weiß schon: Das ist kostenintensiv und wird deswegen gerne eingespart, aber gerade das wäre eine wichtige Investition in die Regionen und in die Zukunft der Regionen.

Die Furche: Jeder Minister, jede Ministerin wird Ihnen zustimmen - wenn es aber um die Budgets geht, wird doch wieder der Sparstift gezückt.

Mödlhammer: Mit dem letzten Finanzausgleich haben wir da einen wichtigen und richtigen Schritt in die andere Richtung gesetzt: Wir haben es zum ersten Mal geschafft, dass wir, ohne den großen Städten etwas wegzunehmen, einen Schwerpunkt für die Gemeinden unter 10.000 Einwohner setzen konnten. Da dürfen wir nicht stehen bleiben, in diese Richtung muss es weitergehen. Dazu brauchen wir einen Infrastrukturmasterplan: Wir müssen analysieren, was in den Regionen an Infrastruktur und Ausbildungsstätten vorhanden ist - wo es von selbst rennt, wird weniger Hilfe nötig sein, woanders wieder mehr, da muss man Anstoßfinanzierungen setzen.

Die Furche: Letztlich wird sich der Verbleib der Menschen im ländlichen Raum an der Frage entscheiden, ob sie dort passabel leben können ...

Mödlhammer: ... wir schlagen deshalb ganz konkret vor, zum Beispiel die Wohnbauförderung so zu verändern, dass man einen Schwerpunkt auf den ländlichen Raum setzt. Es muss attraktiv sein, sich da niederzulassen.

Die Furche: Und dann hat man ein schönes Häuschen am Land, doch Arbeitsplatz ist keiner zu finden.

Mödlhammer: Auch da braucht es ein Umdenken: Die Wirtschaftsförderung war bisher auf große Betriebsansiedlungen konzentriert, heute müssen wir vor allem die kleinen und mittleren Betriebe dazu bringen, dass sie nicht nur ihren Personalstand halten, sondern aufstocken. Wenn wir allein bei den Ein-Personen-Unternehmen einen zweiten Angestellten dazubekämen, dann würde die Arbeitslosigkeit in Österreich halbiert. Und jeder einzelne Arbeitsplatz, jeder Lehrplatz ist unendlich wichtig. Das Warten auf den Großinvestor, den reichen Onkel aus Amerika, ist sehr mühsam, sehr kostspielig und die kleinen Gemeinden sind auch nicht in der Lage, mit Lockangeboten für große Betriebsansiedlungen attraktiv zu sein.

Die Furche: Wie steht Österreich denn im internationalen Vergleich da - würden Sie mit anderen Gemeindebundpräsidenten in Europa tauschen ?

Mödlhammer: Ich komme derzeit viel in die neuen eu-Mitgliedsländer und ich sehe mit Sorge, wie dort eine Zwei-, Dreiklassengesellschaft an Gemeinden entsteht: Dort gibt es wirtschaftlich florierende Zentralräume und daneben riesige verödete Regionen. In Polen macht der ländliche Raum 90 Prozent der Fläche aus und dort wohnen nur mehr 10, 15 Prozent der Menschen. In Österreich haben wir auch 90 Prozent ländlichen Raum, aber der Bewohneranteil liegt dort bei 60 Prozent - das ist noch ein gesundes Verhältnis, aber wir müssen sehr aufpassen, denn die internationale Entwicklung geht in Richtung Zweiklassengesellschaft: Gegenden, die boomen, und solche, die ausgedünnt werden.

Die Furche: Gibt es für Sie Gemeinden mit einer kritischen Größe, die nicht überleben können?

Mödlhammer: Wir tasten keine Gemeinde an, weil das Zusammengehörigkeitsgefühl gerade in den kleinen Gemeinden unheimlich stark ist. Die Leute sind dort keine Nummern, sondern Bürger im besten Sinne des Wortes; das sollte man nie zerschlagen, da haben wir eine Stärke, die europaweit einzigartig ist. Aber es braucht das Bewusstsein, dass wir mehr zusammenarbeiten. Als ich vor sieben Jahren als Gemeindebundpräsident angetreten bin, und gesagt habe, nicht jede Gemeinde muss alles und jedes anbieten, war die Begeisterung sehr eingeschränkt. Heute ist das anders: Es gibt keine einzige Gemeinde mehr, die nicht in irgendeiner Form mit einer anderen zusammenarbeitet: im Schulbereich, bei den Krankenhäusern, bei der Abfall-oder Abwasserwirtschaft, bei Beschaffungsfragen und, und, und - da liegt noch enormes Einsparungspotenzial und vor allem die Chance, die Serviceleistungen, die von den Gemeinden zunehmend verlangt werden, zu bewältigen.

Die Furche: Neben Materiellem muss Dorferneuerung auch als geistiger Erneuerungsprozess verstanden werden - wie schaut es damit aus?

Mödlhammer: Die Mir-san-mir-Mentalität gibt es mancherorts nach wie vor - leider. Not macht erfinderisch, heißt es zurecht. Manchmal scheint mir die Not noch nicht groß genug, und der Schrei nach mehr Geld ist oft schneller als die Bereitschaft, den Ideenreichtum, der da ist, zu nützen. Da sind die Jüngeren so gefordert wie die Älteren: Die Älteren wissen noch von den brach liegenden Schätzen und die Jüngeren können sie heben. Wenn ich aber die Rollos hinunterlasse und sage, mich interessiert das nicht, dann wird es dramatisch - aber soweit wollen wir es nicht kommen lassen, wir lassen die Rollos oben.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

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