"Wir schaffen keine Scheinjobs"

19451960198020002020

Judith Pühringer vom Netzwerk arbeit plus spricht über Maßnahmen des AMS, Zweiklassengesellschaften in Unternehmen und den fehlenden Diskurs zum Thema Arbeit.

19451960198020002020

Judith Pühringer vom Netzwerk arbeit plus spricht über Maßnahmen des AMS, Zweiklassengesellschaften in Unternehmen und den fehlenden Diskurs zum Thema Arbeit.

Werbung
Werbung
Werbung

Judith Pühringer ist Geschäftsführerin von arbeit plus, einem Netzwerk Sozialökonomischer Betriebe in Österreich. Sie übt scharfe Kritik an der Entstehung des AMS-Budgets.

DIE FURCHE: "Ich freue mich über die Auflösung", twitterten Sie angesichts der Auflösung der AMS-Rücklagen begeistert.

Judith Pühringer: "Begeistert" wäre zu viel gesagt. Ich bin froh, dass wenigstens die Rücklage aufgelöst wurde. Auf über 1,25 Mrd. Euro Budget für das Arbeitsmarktservice (AMS) hat sich die Regierung geeinigt. Dieses Budget macht heuer aber um elf Prozent weniger aus als 2017, obwohl die Arbeitslosigkeit in diesem Zeitraum nur um knapp acht Prozent zurückgegangen ist. Jene 200 Mio. Euro davon, um die es letztendlich ging, speisen sich paradoxerweise zum Teil auch aus den Geldern der Arbeitslosenversicherung, die 57-bis 59-Jährige zahlen. Es sind daher keine Rücklagen, die aufgelöst werden; sondern es handelt sich um einen Budgettopf, der angezapft wird. Dieser war aber immer Bestandteil des Budgets für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen. Die Bundesregierung versuchte, diese Gelder für die nächste Steuerreform zu lukrieren. Auch redete sie sich auf die gute Konjunktur aus, die aber langzeitarbeitslosen Personen nicht zugute kommt.

DIE FURCHE: Können Sie jetzt Entwarnung für die Sozialen Unternehmen in Österreich geben?

Pühringer: Nein. Aufatmen können die Sozialen Unternehmen nicht. Die Kürzungen bleiben. Die Verzögerung bei der Freigabe des Förderbudgets führte zu Kürzungen durch Landesstellen des AMS. In Oberösterreich bekommen die Sozialen Unternehmen sogar um bis zu 20 Prozent weniger Geld. Wir müssen uns das ganze AMS-Budget für Soziale Unternehmen ansehen. Dieses steht aber erst Mitte November fest. DIE FURCHE: Wie sieht die Sozialministerin die Sozialen Unternehmen? Befürwortet sie diese als Maßnahme zur Integration von langzeitarbeitslosen Personen am Arbeitsmarkt? Pühringer: Sie tritt uns wohlwollend gegenüber. Ich vermisse aber Austausch darüber, wie man das arbeitsmarktpolitische Instrument der Sozialen Unternehmen weiterentwickeln kann. Ich wünsche mir, dass sie uns als Partner und Experten sieht. DIE FURCHE: Im Raum stehen massive Umstruk-

turierungen beim AMS. Inwiefern sind die Sozialen Unternehmen bzw. Langzeitarbeitslose davon betroffen?

Pühringer: Die zweite neue Strategie des AMS ist, dass sie Arbeitssuchende "segmentiert". Im Klartext schafft man damit aber eine Klassengesellschaft: Arbeitssuchende im Segment A finden bald einen Job, jene aus dem Segment B brauchen wenig Unterstützung. Personen aus der Gruppe C -darunter fallen Langzeitarbeitslose - haben kaum Chancen, sich am Arbeitsmarkt zu integrieren. Diese Segmentierung macht aus Management-Perspektive Sinn, um Gelder gezielt einzusetzen: Personen mit geringeren Chancen auf einen Job bekommen weniger Unterstützung. Als Soziale Unternehmen sagen wir dazu: Nein. Langzeitarbeitslose Personen dürfen wir nicht im Regen stehen lassen.

DIE FURCHE: Wohin führen die Kürzungen durch das AMS?

Pühringer: Sie führen zu einer Zweiklassengesellschaft in den Unternehmen -auf der einen Seite Angestellte, auf der anderen Seite Trainees, die hier nur wenige Wochen arbeiten und danach keine Anschlussperspektive haben. Mit diesen Maßnahmen wird die Arbeit der Sozialen Unternehmen ausgehöhlt statt ausgebaut.

DIE FURCHE: Als Scheinjobs bezeichnen einige Politiker die Arbeitsplätze in Sozialen Unternehmen, da sie von der öffentlichen Hand gefördert werden. Was sagen Sie dazu?

Pühringer: Arbeitslosigkeit ist kein Honiglecken. Nur ein Bruchteil der arbeitslosen Menschen will nicht arbeiten. Soziale Unternehmen bieten Transitarbeitskräften echte Arbeit zu KV-Löhnen. Die Mitarbeiter sind zugleich Konsumenten, die die Wirtschaft ankurbeln. Außerdem gewinnen sie durch ihre Arbeit wieder mehr Selbstbewusstsein, lernen etwas dazu und können dadurch am Arbeitsmarkt wieder leichter Fuß fassen. Daher finde ich es irreführend und falsch, die von Sozialen Unternehmen angebotenen Jobs in der Öffentlichkeit als "Scheinjobs" zu diskreditieren.

DIE FURCHE: Wohin können sich Soziale Unternehmen entwickeln?

Sie haben Vorbildwirkung für alle Unternehmen in einem sich verändernden Arbeitsmarkt der Zukunft -besonders in Hinblick auf die Digitalisierung. Sie sind in Berufsfeldern tätig, die diese Entwicklungen weniger tangieren, weil sie etwa Dienstleistungsjobs anbieten. Jetzt wäre die Zeit, viel in den Arbeitsmarkt zu investieren. Ich vermisse einen öffentlichen Diskurs und eine echte Zukunftsvision zum Thema Arbeit. Die Sozialen Unternehmen sind ein wichtiges Experimentierfeld, um aktive Arbeitsmarktpolitik zu betreiben. Diese Chance sollte man nützen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung