"Wir sind lebende Tote"

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Peter Huemer: Ich kann mich nicht erinnern, dass mir die Vorbereitung auf ein Thema so ekelhaft gewesen ist wie die Todesstrafe. Ich vermute, es ist Ihnen beim Schreiben Ihres Buches "Leben und Sterben im Todestrakt" ebenso gegangen. Verschärft kommt bei Ihnen ja noch dazu, dass Sie Huntsville in Texas kennen, wo noch bis vor kurzem die meisten Hinrichtungen in den USA stattgefunden haben.

Margrit Sprecher: Als ich das erste Mal nach Huntsville gekommen bin, habe ich mir geschworen, hierher komme ich nie wieder! Es ist das schrecklichste Städtchen, das ich kenne. 30.000 Einwohner, 70 Kirchen, 15.000 Gefangene und 450 Todeskandidaten. Huntsville wirkt durchaus als Touristenstadt und bietet auch sogenannte Gefängnistouren an. Man kann dabei mit dem Auto alle Gefängnisse abfahren und der Höhepunkt ist dann natürlich das Hinrichtungsgebäude in der Mitte der Stadt. Weiters kann man auch das Museum besichtigten. Dort steht der Elektrische Stuhl im Original, auf dem 361 Menschen gestorben sind. Man kann sich dort in eine Zelle sperren lassen und das ganze ist eine große Gaudi.

Huemer: Sie erheben den Vorwurf, dieses Land sei "barbarisch". Dieser Vorwurf richtet sich sowohl gegen die Exekutive als auch gegen die Justiz und die Politik, die solche Gesetze macht - letztlich in Person des Gouverneurs, der durch Begnadigung oder Ablehnung über Leben und Tod entscheidet.

Sprecher: In Texas und vor allem in den Südstaaten kommen nur diejenigen in ein politisches Amt, die für die Todesstrafe sind. Jemand, der sozusagen ein Herz für Kriminelle hat oder versucht, den Hintergrund einer Tat zu verstehen, der hat von Anfang an keine Chance. Das heißt, dieses System wird auch vom Volk getragen. Vor allem im sogenannten "bible belt" des Südens Amerikas, im "Bibelgürtel", sind fast 90 Prozent für die Todesstrafe. Und die anderen wagen es kaum, den Mund aufzumachen. Man wird sofort abgestempelt, im Betrieb oder auch in der Familie. Der Süden denkt, was die Todesstrafe betrifft, bestimmt barbarisch. Im Norden, wo - jetzt vom Süden aus gesehen - die sogenannten Softies und die Liberalen wohnen, dort ist diese Einstellung nicht ganz so vorherrschend.

Huemer: Daher finden die meisten Exekutionen auch im Süden statt?

Sprecher: Ja, etwa zwei Drittel. Allerdings muss man dazu sagen, dass die Staaten im Norden, die eigentlich 20 Jahre verzichtetet haben, jetzt wieder beginnen.

Huemer: Der jüngste Hingerichtete in letzter Zeit war zur Tatzeit 16 Jahre. Es gibt offensichtlich eine panische Angst vor kriminellen Kindern.

Sprecher: Ja, die Angst besteht. Aber die Todesstrafe ist das schlechteste Mittel dagegen. In Amerika sitzen in den Todestrakten 70 Menschen, die ihre Tat begangen haben, bevor sie 18 Jahre alt waren. Sie dürfen hingerichtet werden. Deshalb hat Amerika auch nicht die UN-Resolution für Kinderrechte unterschreiben. Jetzt will man diese Grenze noch weiter nach unten verschieben. In Texas besteht zum Beispiel der Antrag eines Politikers, dass schon Elfjährige zur Rechenschaft gezogen werden sollen. Die Begründung lautet: Wer alt genug ist zum Töten, ist auch alt genug zum Sterben.

Huemer: Seit 1976 sind 95 Menschen aus der Todeszelle entlassen worden, weil sie unschuldig waren. Zum Teil sind sie sogar erst nach vielen Jahren freigekommen. Die Frage ist, wie geht es diesen Menschen? Sie haben ja einige von Ihnen beim ersten Kongress der irrtümlich zum Tode Verurteilten in Chicago kennen gelernt.

Sprecher: Wenn diese Menschen rauskommen, haben sie natürlich zunächst ein überwältigende Gefühl der Freiheit und das Gefühl, wieder selbst eine Türe verschließen zu können, statt immer selbst eingeschlossen zu werden. Dann kommt aber sehr rasch der große Katzenjammer. Einer hat mir gesagt, es ist für ihn, wie wenn die innere Uhr abgelaufen ist. Der Lebenswille will sich gar nicht mehr einstellen. Ein anderer hat mir gesagt: Wir sind zwar alle am Leben, aber wir sind in Wirklichkeit lebende Tote ...

Die Menschen in den Todestrakten werden gar nicht mehr als Menschen angesehen. Sie werden ganz gezielt zu Tieren gemacht. Niemand darf mit Ihnen reden. Jedes persönliche Gespräch ist verboten. Wenn sie einen solchen Menschen dann soweit haben, können sie mit ihm umgehen wie mit einem Hund.

Huemer: Wie kann sich ein Mensch nach dieser völligen Entwürdigung wieder im Leben zurechtfinden?

Sprecher: Einer hat mir erzählt, dass sie Mühe haben, einen ganzen Satz zu Ende zu bringen. Wenn sie den Klang von Schlüsseln hören, dann bekommen sie Anfälle. Sie können keine persönlichen Beziehungen mehr aufbauen und sind, wie gesagt, im Grunde lebendig tot.

Huemer: George W. Bush hat einmal über einen, der er als Gouverneur von Texas hatte hinrichten lassen, gesagt: "Gott möge ihn segnen". Sie beschreiben auch in Ihrem Buch, wie die Befürworter der Todesstrafe immer ein Bibelwort auf den Lippen haben.

Sprecher: Gerade die christlichen Fundamentalisten Amerikas sind stramme Befürworter der Todesstrafe. Das meistgebrauchte Bibelwort in diesem Zusammenhang ist natürlich "Auge um Auge, Zahn um Zahn". Aber die Bibel erweist sich als Quelle, sowohl für die Befürworter als auch für die Gegner der Todesstrafe. Wenn Sie ins Internet schauen, da schmeißen die einander die Bibelzitate nur so um die Ohren.

Huemer: Die christlichen Wurzeln der Todesstrafe sind unverkennbar.

Sprecher: Die heftigsten Befürworter sind protestantische Splittergruppen aus dem "bibel belt" im Süden. In den dortigen Kirchen werden Sie zum Beispiel kaum Schwarze sehen. Das sind meist rein weiße Gemeinschaften. Die sehen in der Todesstrafe eine Art vorgezogene Reinigung, indem sie sagen: Wenn die Menschen schon hier auf Erden büßen, dann kommen sie nachher in den Himmel. Die Todesstrafe wird christlich verbrämt nach dem Motto: Wir helfen denen, in den Himmel zu kommen, indem wir sie jetzt schon die Hölle auf Erden durchmachen lassen.

Huemer: Wo sehen Sie generell den Unterschied zwischen den Justizsystemen von Europa und Amerika?

Sprecher: Wir in Europa haben gelernt, den Richtern zu misstrauen. Wir wissen, dass sie sehr oft mitgeholfen haben, unrechtmäßige Regime durch ihre Urteile zu stützen. In Amerika ist der Glaube an die Justiz hingegen unendlich groß. Das fördert die Allmacht der Richter, wenn auch nicht unbedingt ihre Glaubwürdigkeit.

Zusammengestellt und redigiert von Elfi Thiemer.

Todesstrafe: Grauenhafter Alltag Die renommierte Schweizer Journalistin Margrit Sprecher hat über den grauenhaften Alltag in amerikanischen Todeszellen ein eindrucksvolles und bedrükkendes Buch mit dem Titel "Leben und Sterben im Todesstrakt" geschrieben. Detailgetreu wird darin nicht nur das Warten auf die Hinrichtung beschrieben, sondern auch geschildert, nach welchen Kriterien in den USA über Leben und Tod entschieden wird. Peter Huemer sprach mit ihr kürzlich in der Sendung "Im Gespräch" (Ö1) über "Amerikanische Hinrichtungen". Wir bringen auszugsweise die interessantesten Passagen dieses Interviews.

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