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Trotz oder wegen permanenter gegenteiliger Beteuerung leben wir längst in einem Klima des Generalverdachts. Medial gesteuerte Aufgeregtheit ersetzt staatsbürgerliches Interesse, Unterhaltung ersetzt Aufklärung.

Derzeit gefallen sich zahlreiche Kommentatoren darin, möglichst oft den Satz „Es gilt die Unschuldsvermutung“ in ihre Meinungsgewebe einzuflechten – um sich dann in Glossen über den inflationären Gebrauch des Satzes „Es gilt die Unschuldsvermutung“ zu mokieren. Auf der Metaebene der Essayisten wird daraus gleich ganz Österreich zum „Land der lächelnden Unschuldsvermutung“.

Aber wie hätten wir es denn sonst gern? Soll die „Schuldsvermutung“ gelten? In Wahrheit könnte der Satz „Es gilt die Unschuldsvermutung“ gar nicht oft genug gesagt werden, wenn er nicht das Gegenteil ausdrückte und gleichzeitig verstärkte. Denn in Wahrheit gilt die Unschuldsvermutung natürlich längst nicht mehr – wir leben vielmehr in einem Klima des permanenten und pauschalen Generalverdachts gegen alles und jeden. Vor allem gegen „die anderen“, die meistens irgendwie „oben“ sind und jedenfalls „es sich richten“ können.

Schwierige Gratwanderung

Gezielt werden Verdachtsmomente ausgestreut – und, siehe da, mit der Zeit kommt den Leuten alles verdächtig vor. Misstrauen wird geschürt – und, tatsächlich, die Menschen verlieren zunehmend das Vertrauen. Institutionen und Personen des öffentlichen Lebens werden angeschüttet – und, o Wunder, irgendwann rufen die Leute: „Es stinkt!“.

So ist das – aber es ist leider nur der eine Teil der Wahrheit. Denn tatsächlich bewegen sich die handelnden Personen auf einem schmalen Grat – eben zwischen Unschuldsvermutung und Generalverdacht, zwischen Bagatellisierung und Alarmismus, zwischen Präventiventlastung und Vorverurteilung.

In einer massenmedial gesteuerten, noch dazu wohlstandssatten Gesellschaft ist freilich der Absturz vorprogrammiert. Der aufklärerische Impetus verkommt zum Imperativ der Unterhaltung, medial induzierte Aufgeregtheit ersetzt staatsbürgerliches Interesse. Eine gelangweilt blinzelnde Öffentlichkeit will ständig neu stimuliert werden.

Ungeachtet dessen gilt es an all den dubiosen Machenschaften, die uns nun seit Wochen, teilweise schon seit Jahren um die Ohren fliegen, dranzubleiben. Die Forderung nach möglichst vollständiger Aufklärung – zu der auch verantwortungsvoller Journalismus einen Beitrag leisen kann – ist ebenso billig wie recht.

Illusorisch wäre es freilich anzunehmen, mit dem allfälligen Austrocknen des „Systems Haider“ (siehe auch „Presse international“, Seite 8) brächen nun gänzlich neue Zeiten an. So lustig und journalistisch dankbar es sein mag, alles rund um ein Bundesland, eine Partei (samt diverser Derivate) und einen Politiker mit seinem changierenden und schillernden Umfeld zu fokussieren, so wenig entspricht diese Wahrnehmung der Realität. Was wir hier sehen – einschließlich seiner Auswirkungen auf bundespolitischer Ebene –, ist ja nur eine durch spezifisches Lokalkolorit angereicherte, operettenhafte Version einer generellen Krise. Diese wiederum nur als „Krise des Systems“ (des Kapitalismus oder wessen auch immer) zu beschreiben, greift indes zu kurz. Denn dadurch wird verdeckt, dass „das System“ entgegen der landläufigen Meinung eben nicht immer nur „die anderen“ sind, sondern wir alle.

Bodenlosigkeit

Das soll und darf nicht den Blick auf jeweilige Verantwortlichkeiten verstellen. Ganz konkret: Natürlich sind nicht „alle“ an der Hypo-Alpe-Adria-Causa schuld. Aber Mangel an Anstand, fehlendes Gespür für das, was (nicht) geht, Maßlosigkeit im Wortsinn sind auch kein Alleinstellungsmerkmal einzelner Manager oder Politiker. Sie sind nicht denkbar ohne ein gesamtgesellschaftliches Unterfutter und spiegeln die allgemeine Halt- und Bodenlosigkeit wider.

Die Krise, mit deren Anzeichen wir tagtäglich konfrontiert werden, besteht letztlich darin, dass uns das Bewusstsein für die unhintergehbaren Voraussetzungen von Demokratie und Rechtsstaat abhanden gekommen ist.

* rudolf.mitloehner@furche.at

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