Wirtschaft spricht für Krippen

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Eine deutsche Studie rechnet vor, dass sich die Investition in frühkindliche Förderung in jeder Hinsicht lohnt. In Österreich werden Kinderkrippen und -gärten weniger als Bildungs- denn als Verwahrungsstätten betrachtet.

Je früher ein Kind eine qualitativ hochwertige Fremdbetreuung erfährt, desto eher wird es später reif für ein Gymnasium sein. Und damit leichteren Zugang zum akademischen Bildungssektor haben. Was Untersuchungen mit Bezug auf Deutschland besagen, was die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) immer wieder feststellt, das sei durchaus auf Österreich umzulegen, bestätigt Martin Unger vom Institut für Höhere Studien (IHS). Insbesondere Kinder aus Zuwandererfamilien, generell aber der Nachwuchs aus ärmeren Bevölkerungsschichten, profitiere immens von der gemeinsamen Betreuung in Kinderkrippen und Kindergärten.

Eine Studie im Auftrag der deutschen Bertelsmann-Stiftung ("Volkswirtschaftlicher Nutzen von frühkindlicher Bildung in Deutschland“) untersuchte 2008 die Geburtsjahrgänge 1990 bis 1995, von denen jeweils 16 Prozent (frühestens ab dem zweiten Geburtstag) eine Kinderkrippe besucht haben. Ziel war herauszufinden, welchen Bildungsweg diese 16 Prozent im Vergleich zur großen Mehrheit eingeschlagen haben und ob dieser in Zusammenhang mit der Frühförderung außerhalb des Elternhauses zu setzen ist.

Über alle sozialen Schichten hinweg sei zu belegen, dass der Krippenbesuch die Wahrscheinlichkeit, später ein Gymnasium zu besuchen, von durchschnittlich 36 auf rund 50 Prozent erhöhe. Besonders positiv ist der Effekt bei Kindern, die nicht in Deutschland geboren wurden. Ihre Chancen erhöhen sich von 17,2 auf 26,8 Prozent. Das ist ein relativer Anstieg um mehr als die Hälfte. Noch stärker stellt sich das bei Kindern von Eltern dar, die selbst Hauptschulabsolventen sind. Ohne Krippenbesuch gehen sie zu 11,2 Prozent in ein Gymnasium, mit Krippenbesuch zu 20,4 Prozent, was einer Erhöhung um mehr als 80 Prozent gleichkommt.

Bildung ist "erblich“, Frühförderung schafft Chancen

Generell sinkt die Diskrepanz zwischen elterlicher und kindlicher Bildungsbiografie mit zunehmender Höhe des Abschlusses der Eltern. Sprich: Wessen Eltern selbst ein Gymnasium besuchten, der geht mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 75 Prozent (mit Krippe) bzw. über 60 Prozent (ohne) ebenfalls in ein Gymnasium. Bildung ist damit tatsächlich, wie es oft heißt, "vererbbar“. Es ist also im Interesse von Staat und Gesellschaft, möglichst viele Kinder möglichst früh in hochwertige Betreuungsgruppen zu bringen. Nach Unger sollte diese Betreuung bestenfalls kostenlos, zumindest aber sehr günstig, angeboten werden - ein Weg, den Wien vor zwei Jahren einschlug und die Steiermark erst kürzlich verließ. Generell zieht sich durch die Bundesländer aber ein Ungleichgewicht, was die finanzielle Belastung von Eltern in puncto Kinderbetreuung betrifft.

Dabei ist Unger sicher, dass die volkswirtschaftlichen Effekte alle gesellschaftlichen Mehrkosten für Kinderkrippen und Kindergärten rechtfertigen. "Wenn man darüber diskutiert, ob Bildung etwas kosten soll oder nicht“, verweist er auf die jahrelange Debatte um die Studiengebühren, "dann sollte das zu allerletzt die frühkindliche Betreuung treffen.“ Allerdings lege er damit bereits einen Fehler der heimischen Diskussion offen: Im Gegensatz zu Deutschland würden in Österreich Kindergärten eben nicht als Bildungsinstitutionen gesehen, sondern vielfach nur als Verwahrungsstätten.

Dabei kommt die Bertelsmann-Studie auch beim wirtschaftlichen Mehrwert auf ein interessantes Ergebnis und führt für jedes Kind, das wegen des Krippenbesuchs mit höherer Wahrscheinlichkeit ins Gymnasium geht, ein höheres Lebenseinkommen von 21.642 Euro an. Und damit geringere Abhängigkeit von der Gesellschaft samt höherer Kaufkraft.

Auf die Spitze getrieben wird das, wenn "verpasste Ertragschancen durch unzureichende Investitionen in den 90er-Jahren“ vorgerechnet werden: Nimmt man ein Szenario, in dem 35 Prozent der Kinder eines Jahrgangs eine Krippe besucht hätten (anstatt den 16 Prozent), dann wären für die Geburtenjahrgänge 1990 bis 1995 rund 181.000 Krippenplätze zusätzlich nötig gewesen. Pro Jahrgang wäre aber ein Nettonutzen von 2,1 Milliarden Euro generiert worden. Im Jahr 2009 hätte das bis zu 12,6 Milliarden Euro ausgemacht. Immerhin ein gutes halbes Prozent des deutschen BIP.

Der IHS-Experte hält übrigens wenig vom "Zwang“ zur Frühförderung. Im besten Fall seien die Angebote, "so toll, dass sie wie ein Magnet wirken“, wünscht sich Unger. Dass die Situation in Österreich, wo zuletzt eher ein Rückbau von Betreuungsplätzen passierte, "ein Quatsch“ ist, "werden wir in 20 Jahren sehen“. Umso erfreulicher die neuesten Pläne der Regierung: Bis 2014 werden insgesamt 55 Millionen Euro zusätzlich in den Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen investiert. Auch die Bundesländer werden ab 2012 in die Pflicht genommen.

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