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Dr. Peter Hummer vom Fachbereich Linguistik der Universität Salzburg über die hoch entwickelten Gebärdensprachen.

Die Furche: Können sich österreichische und deutsche Gebärdensprechende problemlos miteinander verständigen?

peter hummer: Das kann ich anekdotisch beantworten: Bei einem deutschen Gastvortrag an unserem Institut konnten wir unschwer feststellen, dass die deutsche und die österreichische Gebärdensprache nicht wechselseitig verständlich sind. Es gibt nur einzelne Wörter, die gleich sind. Aber auch nicht alle Gebärden, die man in Wien verwendet, versteht man in Salzburg.

Die Furche: Die Versuche, Gebärdensprache zu standardisieren, sind bislang erfolglos geblieben ...

hummer: Es gab in den usa vor langer Zeit schon Bemühungen, die American Sign Language asl zu standardisieren. Ich halte das nicht für sinnvoll, nicht einmal innerhalb ein- und derselben Gebärdensprache. Wenn man sich vorstellt, wie dialektal unterschiedlich das gesprochene Englisch ist, dann ist es nicht verwunderlich, dass sich auch Variationen der asl herausbildeten. Eine internationale Normierung der Gebärdensprache wäre dasselbe, wie alle Lautsprachen aufzuheben und stattdessen nur mehr Esperanto zu sprechen. Das ist völlig aberwitzig, sinnlos und abzulehnen. Man muss davon ausgehen, dass es nicht weniger Gebärdensprachen gibt als Lautsprachen. Es gibt sie in allen Gegenden der Welt. Gebärdensprachen sind individuelle Wesen, wie Lautsprachen auch.

Die Furche: An der Universität Hamburg gab es einen Versuch, Gebärdensprache zu verschriftlichen. Worin liegen die Probleme?

hummer: Die Schwierigkeit ist, dass in der Gebärdensprache sehr viel Information simultan vermittelt wird. Die Laute eines Wortes kann man nur strikt seriell artikulieren. Alle Schriften dieser Welt bilden aber den Lautstrom ab, ein Zeichen nach dem anderen. Für die Verschriftlichung der Gebärdensprache müsste man Mittel und Wege finden, simultan Informationen - etwa auf verschiedenen Zeilen - zu vermitteln. Die Motorik des Gebärdens ist übrigens viel langsamer als die Aufeinanderfolge von gesprochenen Wörtern. Die simultane Vermittlung gleicht das aus. Wenn Sie etwa den zdf-Wochenrückblick anschauen, sehen Sie, dass die Dolmetscherin gleich schnell ist.

die furche: Ein Kind, das nur die Gebärdensprache beherrscht, rutscht zwangsläufig ins soziale Ghetto. Kommt es zu sprachlichen Verzögerungen, wenn ein Kind von Beginn an Laut- und Gebärdensprache lernt?

hummer: Es gibt hier viele Vorurteile und noch wenige Antworten. Ich bin dem Lager zuzuordnen, das sagt, Kinder können von einer parallel angebotenen Gebärdensprache profitieren. Bei Lautsprachen scheint es so zu sein, dass es minimale Verzögerungen gibt, aber diese stehen in keinem Verhältnis zu dem Nutzen und Segen, den diese Leute später aus der Zweisprachigkeit ziehen.

die furche: Das Cochlea-Implantat, eine elektronische Hörprothese, übernimmt im Innenohr die Funktion der Haarzellen, indem es elektrische Reize an den Hörnerv abgibt. Ist Gebärdensprache durch dieses Implantat vom Aussterben bedroht?

hummer: Dass durch technologische Fortschritte die Bedeutung der Gebärdensprache abnehmen wird, halte ich für unbestritten. Das steht auch hinter der aggressiven Einstellung, die von beiden Seiten mehr oder minder prononciert vertreten wird: Manche Leute, die dem Cochlea-Implantat-Spektrum nahe stehen, verdammen die Gebärdensprache. Die gebärdende Gemeinde wiederum hält das ci für Teufelswerk. Das Implantat gewinnt an Perfektion stetig dazu, nach meiner Erfahrung bauen Kinder, die früh implantiert wurden, perfekte oder praktisch perfekte Lautsprachkompetenz auf. Allerdings nicht alle Kinder: Das Leistungsspektrum ist breit. Es hängt auch von Faktoren, wie etwa dem elterlichen Umfeld und Fördermaßnahmen, ab. Außerdem gibt es - allerdings seltenere - Formen der Gehörlosigkeit, für die ein CochleaImplantat keine Hilfe bietet. Neurowissenschaftler wiederum versuchen, die Haarzellen zu regenerieren, um Gehörlosigkeit eines Tages auf dem biotechnologischen Weg zu behandeln. Trotzdem glaube ich: Gebärdensprache wird es immer geben.

Das Gespräch führte Elke Salomon.

S ie träumen in Gebärden. In ihrer Muttersprache werden sie niemals laut, auch wenn sie völlig die Fassung verlieren. Ein Armbruch ist für sie so ähnlich wie für andere eine Kehlkopfentzündung: Wenn Gehörlose Gebärdensprache sprechen, haben sie Tiroler oder Niederösterreichischen Dialekt. Sie sprechen mit Armen, Händen, Fingern, Gesicht. Fragen stellen sie über ihre Mimik. Wenn sie jung sind, werfen sie schon mal mit Modewörtern um sich.

Grammatik pauken heißt es auch in der Gebärdensprache: Die Aneinanderreihung von Gebärden folgt einer bestimmten Systematik. Aber im Gegensatz zur Lautsprache passieren in der Gebärdensprache viele Dinge gleichzeitig: "Mit der nichtdominanten Hand zum Beispiel zeigt man etwas an, die dominante Hand führt die Gebärde aus", erklärt Barbara Gerstbach, Obfrau des Österreichischen Gebärdensprach-DolmetscherInnen-Verbandes. Die Österreichische Gebärdensprache ögs ist die offizielle österreichische Hochsprache. "Vorarlberger Gehörlose verstehe ich besser als Vorarlberger Hörende", meint die diplomierte Sozialarbeiterin schmunzelnd. Es gäbe zwar keine massiven grammatikalischen Unterschiede, aber bestimmte Redewendungen, bestimmte Vokabel, die anders sind. Ansonsten jedoch sind Gebärdensprachen unabhängig von jeweiligen Lautsprachen: So hat die Gebärdensprache der usa zum Beispiel strukturell nichts mit dem Englischen zu tun. Italienisch hingegen ist ihr ähnlich.

Weltweit existieren nach Schätzungen von Sprachwissenschaftlern genauso viele Gebärdensprachen wie Lautsprachen. Trotzdem würden Gebärdensprechende innerhalb von Europa schnell eine Form finden, sich "mit Händen und Füßen" zu verständigen, meint Gerstbach. Mit asiatischen Ländern könne man als Europäer freilich nicht kommunizieren: "Durch die starken kulturellen Unterschiede sind auch die Gebärden völlig anders als in europäischen Ländern."

Anfang Juli wurde die Gebärdensprache in Österreich endlich verfassungsrechtlich anerkannt: Eine symbolische Geste für die rund 10.000 gehörlosen und 500.000 hörbeeinträchtigten Menschen, die laut Österreichischem Gehörlosenbund öglb hier leben. Denn die Nachteile in Beruf und Ausbildung sind damit noch lange nicht gelöst.

"Ein positiver gesellschaftlicher Mainstream" sei aber in letzter Zeit zu erkennen, lobt die Gebärden-Dolmetscherin. "Die eu hat auf Österreich Druck ausgeübt, vorher war die Situation wie am Mond."Und obgleich Österreichische Gebärdensprache viel zu wenig erforscht sei, gäbe es "im Dolmetsch-Bereich massiv positive Entwicklungen". Über 60 geprüfte Dolmetscherinnen und Dolmetscher gibt es inzwischen in Österreich. In Graz und Linz kann man seit kurzem Gebärdenssprach-Dolmetsch studieren. "Die Städte profitieren davon, ländliche Regionen haben von dieser Entwicklung noch nichts mitbekommen", sagt Gerstbach.

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