Wucher nicht ausgeschlossenasdasdasd

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Veranlagungen, diehohe Zinsen versprechen, sind moralisch oft zweifelhaft, meint der liberale, katholisch engagierte Ökonom Erich Streissler. Erich Streissler: "In einer globalisierten Wirtschaft ist es unmöglich, denjenigen zu sehen, dem man hilft oder schadet"

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Veranlagungen, diehohe Zinsen versprechen, sind moralisch oft zweifelhaft, meint der liberale, katholisch engagierte Ökonom Erich Streissler. Erich Streissler: "In einer globalisierten Wirtschaft ist es unmöglich, denjenigen zu sehen, dem man hilft oder schadet"

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dieFurche: Mit dem Weltspartag werden immer noch Symbole wie der Sparefroh und fleißige Bienen verbunden. Sind solche Bilder in unserer reichen Gesellschaft überhaupt noch zeitgemäß?

Professor Erich Streissler: In gewissem Sinne ist das skizzierte Bild immer noch richtig ...

dieFurche: ... dazu wird auf Weisheiten wie "Spare in der Zeit, dann hast du in der Not" hingewiesen ...

Streissler: Auch das war zu allen Zeiten so. Manche Gruppen haben immer alles verputzt, wie man so schön sagt. Andere Gruppen haben gespart. Aber eines ist sicher: in einer reicheren Wirtschaft nimmt die Bedeutung des Sparens zu. Die Menschen haben mehr zu verlieren, und sie wollen natürlich ihren Lebensstandard sichern.

In der heutigen Zeit kommt noch hinzu - das ist nicht anders als im 18. oder 19. Jahrhundert -, daß wieder größere Unsicherheiten bezüglich der Beschäftigungsmöglichkeiten herrschen und daher die Menschen in erhöhtem Maße vorsorgen wollen. Obwohl wir Arbeitslosenunterstützungen haben, bringt gerade die Arbeitslosigkeit einen ganz schweren Einkommensabfall mit sich, für den man vorsorgen will. In der heutigen Zeit interessieren sich auch viele Menschen für die Möglichkeit, ihren Beruf zu wechseln. Das bedeutet, daß man vielleicht eine Lernphase einlegen muß, in welcher man ein halbes Jahr nichts verdient.

dieFurche: Aber Sparen können setzt doch voraus, daß bestimmte Tugenden eingeübt werden: Askese, Wünsche zurückstellen und abwarten können ... Sieht es nicht eher danach aus, daß inzwischen gegenteilige Leitideen vorherrschen? Konsum um jeden Preis. Man will alles, und das sofort und ähnliches.

Streissler: Zu allen Zeiten hat selbst bei gleichem Einkommen immer nur ein Teil der Menschen gespart, ein anderer Teil nicht.

dieFurche: Andererseits hat das Nachdenken über die eigene Zukunft schon lange nicht mehr so große Angst und Unsicherheit ausgelöst. Wackelnde Arbeitsplätze, unsichere Pensionen, brüchige soziale Sicherheiten.

Streissler: Ich glaube, es ist noch nicht klar, ob wir auch objektiv in einem Zustand zunehmender Unsicherheit leben. Aber wenn es subjektiv so gefühlt wird, dann wird das Sparen erst recht aktuell.

Ich glaube, daß die Unsicherheit heutzutage besonders auch den Mittelstand, teilweise den oberen Mittelstand, getroffen hat. Das sind die Leute mit hoher Bildung. Gerade sie haben das Problem, von dem ich vorhin gesprochen habe: Es tritt mehr und mehr die Notwendigkeit auf, alle 15 bis 20 Jahre den Beruf zu wechseln. Und dazu bedarf es natürlich einer finanziellen Sicherung, die es ermöglicht, sich neu zu orientieren.

dieFurche: Der Zweck des Sparens besteht heute hauptsächlich darin, die berufliche Zukunft abzupolstern?

Streissler: Das Vorsorgen für das Alter ist ein weiterer wichtiger Aspekt. Wir werden immer älter und - was vielleicht noch wichtiger ist - das Altwerden bringt zunehmende Kosten mit sich. Pflegebedürftigkeit ist teuer. Das Sparmotiv für Altersvorsorge sollte man nicht vernachlässigen. Wenn Sie noch dazu gut leben wollen im Alter, werden Sie auf alle Fälle heute schon sparen müssen.

dieFurche: Es geht bei der Angst vor dem finanziellen Absturz nicht nur darum, daß man vielleicht einen anderen Beruf ausüben muß. Die Frage ist: Wird es überhaupt einen Job geben, von dem man auch halbwegs leben kann und der soziale Absicherung bietet?

Streissler: Diese Sicherheit wird man in Zukunft nicht mehr haben. Wir müssen uns darauf einstellen, im Alter einen schlechteren Job zu bekommen. Das erfordert natürlich erst recht Sparleistungen im mittleren Lebensalter.

dieFurche: Bereiten sich die Österreicher auf diese Entwicklungen schon entsprechend vor?

Streissler: Diese Frage ist schwer zu beantworten, weil das immer eine Wertungsfrage ist. Aber eines ist sicher: die Österreicher haben eine sehr hohe Sparleistung. Wir haben Sparquoten aus den Masseneinkommen von etwa zwölf Prozent. Diese sind zeitweilig durch die Sparpakete auf acht Prozent heruntergegangen. Aber jetzt liegen wir wieder bei etwa zehn Prozent.

dieFurche: Sind Angst und Unsicherheit die Gründe, weshalb sich die Mehrheit der Europäer in die Arme der Sozialdemokraten flüchtet? Erwartet man sich von den "rosaroten" Regierungen, daß sie es noch einmal richten und den Status quo bewahren werden?

Streissler: Das mag schon sein. Die Sozialdemokratie präsentiert sich ja als die große konservative Partei in Europa. Sie garantiert die sozialpolitischen Ansprüche aller jener, die bereits welche haben und nun fürchten, daß sie etwas verlieren könnten.

Heute gängig ist die erstaunliche Vorstellung, daß der Wohlfahrtsstaat im Rückgang begriffen ist. Dabei sind gerade in Österreich die Gesamtausgaben für die soziale Sicherung noch immer steigend, und zwar auch relativ steigend zum Sozialprodukt. Das Problem ist heute nur, daß bei sehr vielen Personen die erhofften Sozialleistungen erforderlich werden. Ursprünglich hat man vielen etwas versprochen, aber es gab nur wenige, die anspruchsberechtigt waren. Nun werden mehr und mehr Menschen anspruchsberechtigt. Das bedeutet aber, daß selbst ein wachsender Wohlfahrtsstaat dem einzelnen nicht mehr so viel geben kann als dieser vielleicht erwartet.

Wir sehen in Deutschland, daß die scheidende Regierung Kohl bereits unumgängliche Kürzungen der Pensionen beschlossen hatte. Diese werden nunmehr von der sozialdemokratisch-grünen Koalition zurückgenommen. Dabei waren lediglich Pensionskürzungen im Ausmaß von nicht ganz zehn Prozent vorgesehen Eine solche Politik der Kürzungsrücknahme heißt in Wirklichkeit aber nur, daß die Schwierigkeiten in der Zukunft umso größer werden.

dieFurche: Eine alte These der Katholischen Soziallehre lautet: Eigentum verpflichtet. Man muß sein Erspartes auch in den Dienst der Allgemeinheit und des allgemeinen Wohlstandes stellen. Geld auf die Bank zu tragen heißt, Unternehmen finanzieren, Arbeitsplätze schaffen usw. Ist das nicht inzwischen eine hoffnungslos veraltete Vorstellung, wenn man bedenkt, daß mit dem Geld oft nur mehr spekuliert wird?

Streissler: Indem man beim Sparakt auf Konsumgüter verzichtet, stellt man diese auf alle Fälle der Allgemeinheit zur Verfügung. Die Katholische Soziallehre sieht den Wirtschaftsprozeß viel zu sehr als eine persönliche Beziehung. Aber gerade in einer globalisierten Wirtschaft gibt es sehr viele indirekte, anonyme Beziehungen. Natürlich ist eine persönliche Beziehung zwischen dem Kreditgeber und dem Kreditnehmer auch wichtig. Aber die Kanäle der Sparmittelzuführung an Investierende sind meist sehr schwierig zu überblicken und zu durchschauen. Das gilt für eine globalisierte Wirtschaft in ganz besonderem Maße. Natürlich soll man versuchen, über solche Institutionen zu sparen, die in einer gewissenhaften Weise das Kapital anlegen werden. Aber es gehört zum Wesen der globalisierten Wirtschaft, daß man vielfach nicht erkennen kann, was man eigentlich finanziert.

Aber bleiben wir bei der Katholischen Soziallehre: für mich gehört zum Eindrucksvollsten in den Evangelien die Geschichte vom Barmherzigen Samariter. Aber ich deute sie auch wie folgt: Der Priester, der Levit, so heißt es, sah den Überfallenen und ging vorüber. Es ist erforderlich, denjenigen, dem man helfen kann, "sehen" zu können. Und in einer globalisierten Wirtschaft ist es vielfach einfach unmöglich, denjenigen zu sehen, dem man hilft oder dem man vielleicht schadet.

dieFurche: Ist das Spekulieren für Sie etwas moralisch Anstößiges?

Streissler: Als solches nicht. Zukunftsbezogenes Wirtschaftshandeln ist notwendig immer "Spekulation". Aber als Christ muß man sicherlich eines mitbedenken: Veranlagungen, die besonders hohe Zinsen versprechen, sind nicht nur mit außerordentlich viel Risiko verbunden. Es werden bei so hochverzinsten Krediten oft auch moralisch problematische Anlagen, sogenannter Wucher, gefördert.

dieFurche: Sind im Grunde nur die Staatsanleihen moralisch tadellos?

Streissler: Im allgemeinen haben wir das meistens angenommen. Aber im Grunde könnte man auch hier sagen, der Staat vergeudet nicht selten auf unmoralische Art und Weise Geld.

Das Gespräch führte Elfi Thiemer.

Was den Österreichern Sorgen bereitet ... Sicherheit der Renten/Pensionen 48% Soziale Sicherheit 40% Ausbildung der Kinder 37% Sicherheit des Arbeitsplatzes 28% Wirtschaftswachstum/Rezession 22% Persönliche Sicherheit 21% Quelle: market/SN

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