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Viel wurde in den letzten Tagen zurückgeblickt: zum 70. Mal jähren sich die unseligen, folgenschweren Ereignisse des Februar 1934; vor vier Jahren, am 4. Februar 2000, wurde die erste schwarz-blaue Regierung unter hinlänglich bekannten Umständen angelobt; und zusätzlich sorgte noch das Erscheinen der Memoiren von Altbundeskanzler Franz Vranitzky für mediale Reminiszenzen an die jüngere und jüngste Zeitgeschichte. Es besteht kein innerer Zusammenhang zwischen diesen drei Dingen, überdies handelt es sich bei letzteren beiden um keine wirklich "großen" Anlässe. Doch in der Zusammenschau lässt sich ein nicht unwesentliches Stück Österreich vergegenwärtigen.

Der Bürgerkrieg vor 70 Jahren hat bis weit in die Zweite Republik hineingewirkt: Die jeweilige Sicht auf die damaligen Ereignisse stiftete für SPÖ und ÖVP, gewiss in unterschiedlicher Weise, auch Identität, der Rückgriff auf diese Zeit wurde nicht selten in der parteipolitischen Auseinandersetzung instrumentalisiert. Über und vor all dem aber stand die Lehre, die man aus 1934 und der darauf folgenden, größeren Katastrophe zu ziehen sich vorgenommen hatte: Das "Nie wieder" zog den Impetus zur parteiübergreifenden Versöhnung, zur Suche nach dem Gemeinsamen, zum "Gespräch der Feinde" (F. Heer) nach sich, es bildete die Grundlage für die spezifisch österreichische, sozialpartnerschaftliche Konsensdemokratie, die dem Aufstieg des Landes äußerst förderlich war, die aber letztlich in die Lähmung und Stagnation der Großen Koalition der neunziger Jahre mündete.

Hier sind wir mitten in der Ära von Franz Vranitzky angelangt: ein machtbewusster, von kühler Arroganz nicht freier, doch durch und durch kultivierter Sozialdemokrat. Ähnlich wie Sinowatz' Sager von der Kompliziertheit der Dinge erscheint auch Vranitzkys Bekenntnis, er wolle nicht der "Aufreger der Nation" sein, heute in mildem Licht: Der sich darin ausdrückende Pragmatismus mutet angesichts der Hysterisierung polit-medialer Prozesse wohltuend an - ganz abgesehen davon, dass sachorientierte Politik in Wahrheit ja eine unspektakuläre Angelegenheit ist, ihr Unaufgeregtheit daher gut ansteht.

Ungeachtet seiner Verdienste (z. B. EU-Beitritt, Rede in der Knesset) war entschlossenes Handeln jedoch nur bedingt Vranitzkys Sache; als "Moderator des Übergangs" (in radikal sich ändernde Zeiten) hat ihn die Furche anlässlich seines Rücktritts, 1997, bezeichnet. Dies sowie der steigende Widerwille der ÖVP, sich als ewiger Zweiter zu verschleißen, ließ die SPÖ-ÖVP-Regierung zunehmend alt aussehen und musste wohl fast zwangsläufig zu jenem "Wendeprojekt" führen, für das es seit 1986 eine parlamentarische Mehrheit gegeben hätte.

Der politische Preis für dieses Projekt war freilich im Lauf der neunziger Jahre in schier astronomische Höhen geschnellt, zu Beginn von Jörg Haiders Laufbahn hätte man dagegen fast von einem Schnäppchen sprechen können.

Wolfgang Schüsssel war bereit, den Preis zu zahlen - und er hat auch bereits hübsche Summen hingeblättert; die Endabrechnung liegt indes noch nicht vor. Inhaltlich sehen sich heute Vranitzky, ebenso wie Erhard Busek, in ihrer Überzeugung, mit einer von Haider dominierten FPÖ (und eine andere gibt es seit 1986 nicht) sei kein Staat zu machen, zu Recht bestätigt. Ob es strategisch klug gewesen wäre, die FPÖ auf immer von der Regierung fernzuhalten, ob dies nicht die FPÖ auf mittlere Sicht zur stimmenstärksten Partei gemacht hätte, ist eine andere Frage.

Das Land hat seit dem 4. Februar 2000 einige Reformansätze erlebt, im Kern oft plausibel, in der konkreten Umsetzung wie auch in der Kommunikation nicht selten unprofessionell und peinlich ("unnötiger Pallawatsch", A. Rohrer, Furche 1/04). Zentrale Fragen, wie etwa die nach dem möglichen und wünschenswerten Ausmaß des Sozialstaats, werden von der Politik nicht diskutiert, sondern mit Ruck-Zuck-Maßnahmen "beantwortet". Der Kanzler selbst wird unterdessen Vranitzky in der Endphase immer ähnlicher: Mehr und mehr beschränkt er sich aufs Moderieren, immer weniger scheinen ihn die Dinge zu tangieren. Die Zeichen stehen auf Wechsel - aber welchen?

rudolf.mitloehner@furche.at

Wenn nicht alles trügt, stehen die Zeichen schon wieder auf Wechsel. Aber auf welchen?

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