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Schröder wollte Kanzler bleiben. Das darf er jetzt. Viel mehr wissen wir nicht.

Die Pose des Siegers wirkte von Anfang an gekünstelt: Als Edmund Stoiber vor die Öffentlichkeit trat und verkündete. "Eines steht fest - wir haben die Wahl gewonnen", war er sichtlich um Lockerheit und Leutseligkeit bemüht. Aber bei dem preußischen Bayern erinnert das eben noch immer an Kamillentee im irdenen Maßkrug - was Stoiber sich bekanntlich bei diversen Volksfesten zum Zwecke der Wahrung des Scheins kredenzen lässt.

Bei Gerhard Schröder war es genau umgekehrt: Als er sich das erste Mal nach der Wahl dem Publikum zeigte - da lag die Union noch recht deutlich vor der SPD -, konnte der Kanzler seine gedämpfte Stimmung zwar nicht verbergen; gleichwohl ließ er sich seinen augenzwinkernden Optimismus, Marke Woll' mir mal seh'n, nicht nehmen.

Zuletzt und damit am besten lachte jedenfalls Schröder: Er darf, gemeinsam mit Joschka Fischer, für vier Jahre weitermachen. Der Einschub ist wichtig: Denn der deutsche Außenminister - vor dem Hintergrund seiner schillernden Biographie zum Star der deutschen Politik avanciert - rettete dem Kanzler die rot-grüne Mehrheit. Von so einem Partner konnte Stoiber nur träumen: Die FDP blieb weit hinter den Erwartungen zurück. So kann's gehen, wenn man die angestrebten Stimmprozente als zentrale Wahlkampf-Botschaft präsentiert: Das "Projekt 18" (18 Prozent peilte man an) war von Anfang an windig; dass man aber nicht einmal in den zweistelligen Bereich vorstieß und nur rund ein Prozent mehr als 1998 erreichte, ist wohl dem Wiederholungstäter Jürgen Möllemann zu verdanken, der neuerlich und ohne Not an der Grenze zwischen Antiisraelismus und Antisemitismus spazierte. Mochte man Möllemann seinerzeit noch zugestehen, ursprünglich aus der Defensive heraus unklug gehandelt zu haben (wenngleich er dann recht eifrig Öl ins Feuer goss), so muss man ihn nun des gezielten schäbigen Kalküls bezichtigen. Edmund Stoiber kann sich vor allem bei Jürgen Möllemann dafür bedanken, dass er nun nicht von der Isar an die Spree übersiedeln wird.

Gezieltes Kalkül war natürlich auch das Vor-den-Kopf-Stoßen der Amerikaner durch Schröder. Nicht der inhaltliche Dissens in der Irak-Frage ist das Problem, sondern der polternde Ton, mit dem sich Schröder aus der Rolle eines ernstzunehmenden Gesprächspartners der USA herauskatapultiert hat.

Man kennt das bereits: etwa als es darum ging, einen "blauen Brief" aus Brüssel wegen des steigenden Budgetdefizits abzuwenden. Da haut dann der sich sonst betont ruhig gebende Kanzler schon mal kräftig mit der Faust auf den Tisch: Die Leute mögen das und nicken - und Brüssel ist weit, von Washington gar nicht zu reden. Vermutlich geht Gerd ("Dranbleiben!") dann mit George W., Romano oder wem auch immer einfach auf ein Bier und regelt die Angelegenheit. Die "närrische Logik des deutschen Weges'" nennt das Henryk M. Broder im Standard bitter.

Vom Problem FDP abgesehen, war für den Wahlausgang wohl ausschlaggebend, was Hans Werner Kilz in der Süddeutschen Zeitung schon vorab konstatiert hatte: Es gebe genügend Gründe, Schröder abzuwählen, schrieb der Chefredakteur des Blattes sinngemäß, aber zu wenige, für Stoiber zu stimmen. Dieser "sagte, mit Zeitverzögerung, alles so ähnlich wie Schröder - nur umständlicher". Wohl wahr: Stoiber erweckte nicht wirklich den Eindruck einer überzeugenden Alternative. Schon nach dem ersten TV-Duell brachte die Frankfurter Allgemeine, nicht eben der Befürwortung von Rot-Grün verdächtig, die Stimmung der Bevölkerung auf den Punkt, indem sie fragte. "Muss wirklich einer von diesen beiden Kanzler werden?"

Damit sind wir beim eigentlichen Problem, das weit über Deutschland hinausgeht: Nichts sind Wahlen heute weniger als Richtungswahlen, auch wenn uns Politiker und ihre Strategen gerade das glauben machen wollen. Es gibt unterschiedliche Akzente, gewiss: Tendenziell kann man von einer Mitte-Rechts-Regierung in Kontinentaleuropa mehr Schritte in Richtung Eigenverantwortung im Sozialbereich (Pensionen, Gesundheit, Bildung), stärkeres Beharren auf Budgetdisziplin erwarten; von einer Mitte-Links-Regierung mehr Bereitschaft zur staatlichen Intervention, zur Aufnahme neuer Schulden zu Gunsten als vorrangig erklärter Ziele. Hinzu kommen noch ideologische Duftmarken für die jeweilige Klientel: etwa für die Familien auf der einen, für gleichgeschlechtliche Beziehungen auf der anderen Seite - oder in Fragen der Migration.

Vieles davon ist jedoch Rhetorik. Bei Licht besehen, nehmen sich die Unterschiede schon weit geringer aus: Auch Linksparteien können es sich nicht leisten, Familien gegen sich aufzubringen, umgekehrt gibt es kaum noch Konservative, die in Fragen der Homosexualität radikale Standpunkte vertreten. In der Migrationspolitik haben sich rechts wie links die Prinzipien "Integration vor Zuwanderung" und "Zuwanderung ja, aber geregelt" durchgesetzt.

Das Gleiche gilt auch für die Fragen, die den Menschen unter den Nägeln brennen - Wirtschaft, Arbeitslosigkeit, Sicherung der sozialen Systeme: Schröder wird in die selbe Richtung gehen, in die auch Stoiber gegangen wäre - ein bisschen behutsamer vielleicht und mit viel Sozialstaatsgerede verbrämt. Desgleichen würden Gusenbauer und Van der Bellen in Österreich "nicht alles anders" als die Regierung Schüssel machen, so wie Tony Blair nicht hinter die Ära Thatcher zurückgegangen ist.

Dieses Fehlen wirklicher Alternativen ist wohl die Ursache für die große Müdigkeit hinter dem inszenierten Spektakel der Wahlkämpfe. Die politische Agenda zu benennen, bleibt Leitartiklern und abtretenden Politikern vorbehalten.

rudolf.mitloehner@furche.at

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