Ziegen für die Ärmsten von Trasmosnica

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200.000 Kilometer im eigenen PKW durchs Kriegsgebiet gefahren, acht Millionen Schilling an Geld-, ebensoviel an Sachspenden aufgetrieben. Das ist die Erfolgsbilanz der ganz privaten Hilfsaktion einer ehemaligen Wiener Krankenschwester.

Der Pater sagte : "Dobar dan !" - Guten Tag! Und dann: "Hvaljen Issus!" - "Gelobt sei Jesus Christus!" - für die Katholiken. Und "Selam alejkum!" - "Der Friede sei mit euch!"- für die Muslime. Und "PomoÇzi Bog!" - "Gott möge helfen!" - für die Serbisch Orthodoxen.

Die Europaschule im Katholischen Zentrum in Tuzla (Bosnien) ist für Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 18 Jahren aus allen Volksgruppen und Religionen des Landes errichtet. Pater Guardian Petar Matanovic vom Franziskanerkloster in Tuzla begrüßte im November sie alle, die gekommen waren, die Einweihung des neuen Hauses mitzufeiern: Kardinal Puljic und Weihbischof Sudar aus Sarajewo, den Päpstlichen Nuntius, die Vertreter der deutschen Spenderwerke - aber auch den Bürgermeister von Tuzla wie den Vizepräsidenten des Parlaments, beide Muslime.

Und eine bescheidene ältere Dame aus Wien, Annemarie Kury, die gerade ihre 138. Fahrt im privaten PKW mit Hilfsgütern nach Bosnien absolvierte. Am 27. November 1991 hatte sie die alte Schwesterntracht aus ihrer Zeit im Wiener Rudolfinerhaus angezogen, hatte ihren VW Golf mit Kleidern, Lebensmitteln, Medikamenten vollgepackt und hatte sich aufgemacht nach Kroatien, um den Opfern des Kriegs zu helfen. Sie berichtete zuhause, sprach in Pfarren und Schulen, Freunde spendeten.

In diesen zehn Jahren hat Annemarie Kury 8,5 Millionen Schilling in bar und wertmäßig mindestens ebenso viel an Sachspenden verteilt. Nach Kroatien kam Bosnien, sie half Kriegsopfern aller Parteien, aller Nationen und Konfessionen.

Die Spuren des Kriegs sind noch lange nicht beseitigt, die Folgen noch viel weniger. Tausende Frauen, deren Männer ermordet wurden, bekommen keine Witwen- und Waisenrente ausbezahlt, solange die Leichen nicht gefunden und identifiziert worden sind Wenn wieder einmal ein Massengrab entdeckt wird, kommen die menschlichen Überreste in einen Sack, die Kleider werden darüber gebreitet, der Tascheninhalt in einem Plastikbehälter dazu - und dann ziehen Schlangen von Frauen langsam, schweigend vorbei. Bis ein Aufschrei ertönt: "Das hat er angehabt, als sie ihn abholten ...!" In Kotor Varos warten noch tausend Frauen darauf, dass ihre Männer gefunden werden. In Dabovci 163.

50 DM pro Monat

Diesen Frauen galt von Anfang an Annemarie Kurys besondere Aufmerksamkeit. In Wien warb sie um Paten, die monatlich 50 DM bereitstellen. 41 solcher Patenschaften kann sie heute vergeben, drei an Vollwaise, zehn an Halbwaise, 13 an Behinderte, 15 an Arbeitslose.

50 D-Mark - Bosniens offizielle Währung - , 350 Schilling, 25 Euro, sind viel Geld, wenn die Mindestrente 114 DM netto beträgt, die Hälfte aller Rentner nur Mindestsätze erhält, aber das Brot eine Mark kostet. Zwölf Familien bekamen diesmal aus ihrem Spendeneingang einen Herd zum Einzelpreis von 250 DM, 72 Familien je zwei Kubikmeter Holz zu 35 DM.

Und doch - trotz aller Not gibt es erste Zeichen der Hoffnung. Die Zahl der Minenunfälle ist zurückgegangen. Die Rückkehr der Flüchtlinge geht langsam voran. Etliche Häuser haben heuer wieder ein Dach bekommen. Von Wiesen, die vor vier Jahren noch minenverseucht waren, konnte erstmals Heu und Weizen geerntet werden. Die zurückgekehrten Kroaten von Trasmosnica gaben von ihrer ersten Ernte 3.000 Kilo Weizen an die muslimischen Rückkehrer von Cepak ab. Als Dank für die Türen und Fenster, die die Kroaten im Vorjahr von den Muslimen erhalten hatten.

"Ganz besonders viel Freude machen unsere Ziegen in Bosnien!" schwärmt Annemarie Kury im Furche-Gespräch. Ziegen? Im Vorjahr wurde sie bei einer ihrer Fahrten von einem alten Bosnier angebettelt: Eine Ziege könnte die Grundlage zur Ernährung seiner Familie geben. Die Milch für die Kinder, später einmal Fleisch für sie alle.

Annemarie Kury erzählte davon in einem Interview für die Wiener Kirchenzeitung, in einer Radiosendung: Eine Ziege kostet (unten) 1.000 Schilling - innerhalb weniger Stunden war das Geld für 70 Ziegen zusammen, inzwischen sind es 100. Und das Team der ORF-Abteilung Religion stellte zwei Böcke dazu. "Die Frühjahrsziegen haben sich dank der Bemühungen unserer Böcke vermehrt, die Zicklein springen herum," berichtet Annemarie Kury. "In sechs Dörfern sind unsere Ziegen die Ernährungsgrundlage für eine Familie."

Hilfe von Alois Mock

Zurück zur Europa-Schule in Tuzla, deren Neubau kürzlich eingeweiht wurde. Sie konnte 1997 dank der Förderung durch die deutsche Renovabis-Stiftung ihren Lehrbetrieb aufnehmen. Die Lehrkräfte besoldet der Staat, der Sachaufwand wird vom Förderer getragen - aber Schulgeld, Lehrbehelfe, Bücher müssen die Eltern aufbringen und das ist nur wenigen möglich. Trotzdem besuchen bereits 570 Schüler und Schülerinnen zwischen Volksschule und Matura die Anstalt.

Nach dem Start in Nachmittagsschichten an anderen Schulen warteten die Initiatoren lange auf die Baubewilligung - die Stadtverwaltung war mehrheitlich muslimisch und hatte wenig Interesse an einer von Franziskanern geleiteten Schule. Aber da traf Annemarie Kury bei einer Veranstaltung Alois Mock. Der ehemalige Außenminister sollte Ehrenbürger von Tuzla werden, der damalige Bürgermeister von Tuzla, Beslagic, die Medaille für Toleranz in Wien entgegennehmen. Mock intervenierte - und die Baubewiligung kam. Heute wohnen zwei junge Bosnier bei Annemarie Kury. Sie haben seit 1997 die letzten Klassen der Schule in Tuzla besucht, dort 2000 maturiert und studieren nun in Wien Medizin. Wenn sie nicht gerade Annemarie Kury helfen, ihre 139. Fahrt nach Bosnien vorzubereiten.

"Es gab eine Zeit, da glaubte niemand, dass die Sklaverei aufhören könnte," meditiert Annemarie Kury. "Es gab eine Zeit, da glaubte niemand, dass die Apartheid aufhören, dass der ,Eiserne Vorhang' hochgehen; dass Deutschland wieder vereint werden könnte. Es gab auch eine Zeit, da glaubte niemand, dass in Tuzla eine katholische Schule gebaut würde, oder dass die Bevölkerung Bosniens doch wieder zusammen leben könnte."

Aber immer wieder gab und gibt es Menschen, die doch daran glauben und damit Großes, manchmal auch mit kleinen Schritten, bewegen können.

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