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In Krimis setzen sich heldenhafte Ermittler immer wieder über Anordnungen hinweg. In der Realität ist das leider nicht der Fall.

Simon Polt hätte Natascha Kampusch gerettet. Das glaubt zumindest der niederösterreichische Autor Alfred Komarek, der seinen Protagonisten Polt, einen einfachen Dorfgendarm aus dem Weinviertel, in bisher vier Kriminalromanen in Ermittlungen geschickt hat. Wäre er jener anonyme Polizist gewesen, der etwa sechs Wochen nach der Entführung Kampuschs im Jahr 1998 den "Eigenbrötler" Wolfgang Priklopil mit "einem sexuellen Hang zu Kindern" im Visier hatte, hätte er sich diesen Hinweis wohl kaum von oben vom Tisch wischen lassen.

Wo aber ist in der Realität der einzelkämpferische, sture und hartnäckige kleine Polizist, der in der Fiktion tagtäglich seinen Helden steht? Der, der nicht davor zurückschreckt, sich Anordnungen zu widersetzen, um kleinsten Hinweisen nachzugehen. Der, der mehr auf Instinkte als auf Vorgesetzte hört, wenn es darum geht, das entführte Mädchen zu finden?

In der Fiktion gibt es diese Helden. Oder besser gesagt, ohne sie gäbe es die Fiktion nicht. Rasch drängt sich die Frage auf, ob Kommissar Rex, Trautmann, Wallander, Brunetti oder eben Simon Polt Natascha Kampusch finden hätten können. Und direkt auf die logische Antwort "Ja, natürlich!" folgt die nächste Frage: "Warum?"

Komarek sieht den Grund schlicht und einfach in der idealistischen Grundhaltung seines Protagonisten. "Der Konflikt zwischen Polts Gerechtigkeitssinn und seinem Beruf als Gendarm zieht sich durch alle vier Romane. Er verträgt Ungerechtigkeit einfach nicht, selbst wenn er selbst Risiken eingehen muss. Polt kann einfach mit Menschen gut umgehen, er hat ein Gefühl für Unstimmigkeiten. Wenn er je die Chance gehabt hätte, mit einem Entführer wie Priklopil in Kontakt zu treten, hätte er gemerkt, dass da etwas nicht stimmt."

Phönix aus der Asche

Drehbuchautor Martin Ambrosch (SOKO Kitzbühel) sieht das ähnlich: "In der Fiktion stellen sich die Leute außerhalb des Gesetzes und ermitteln auf eigene Faust. Sie werden suspendiert, müssen die Waffe abgeben und machen trotzdem weiter. Dann kommen sie persönlich beinahe unter die Räder, doch am Schluss steigen sie heldenhaft wie Phönix aus der Asche empor. In der Realität ist dieses Risiko einfach zu groß. Es ist unüblich, einen Drang zu folgen, seine Karriere aufs Spiel zu setzen, um der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen."

Haben also reale Ermittler zu wenig Gerechtigkeitssinn, sind sie zu wenig idealistisch? Oberst Gerald Hesztera, Sprecher des Bundeskriminalamts, bestreitet dies. Er sieht den Grund für die scheinbar gleichgültige Trägheit manchen Ermittlers im Gesetzbuch. "Jeder Schritt muss rechtens sein, sonst würde uns das der Verteidiger im Prozess sofort vor die Füße knallen." Überhaupt, so Hesztera, sei das Bild vom einzelkämpferischen Helden in der Fiktion recht weit hergeholt. "In der Realität geht es mehr um Teamarbeit. Bei C.S.I. schaut es immer nach einer One-Man-Show aus. Der Ermittler weiß immer alles, in Wahrheit ist er auf zahlreiche Experten angewiesen."

Oberst Albert Struber, Leiter des Landeskriminalamtes Salzburg, teilt diese Meinung. "Polizeiarbeit ist knochenharte Ermittlungsarbeit, ein mühsamer Prozess. In Krimis sieht es immer so leicht aus, die Fälle werden sehr schnell gelöst, in Wirklichkeit ist das sehr selten. Polizisten schmunzeln manchmal, wenn die Ermittlungsarbeit einfach so in ein anderes Land führt und der Ermittler dann einfach dorthin reist und weitermacht. So spielt es sich in der Realität einfach nicht ab." Die Polizei könne von Krimis also nichts lernen, eher umgekehrt. Denn auch was die Kriminaltechnik angehe, stehe man C.S.I. und Co um nichts nach.

Früher, meint Hesztera dazu, hätte man sogar befürchtet, dass mögliche Täter aus der Krimi-Fiktion lernen könnten. "Vieles davon hat sich nicht bewahrheitet. Zum Beispiel, dass Täter nur mehr Handschuhe tragen würden, das war in den 80er Jahren eine große Befürchtung, die aber nicht eingetroffen ist. Es werden nach wie vor genügend Spuren und Fingerabdrücke hinterlassen."

Der perfekte Mord

Auch in der Gerichtsmedizin gibt es solche Befürchtungen. So wurde Drehbuchautor Ambrosch im Zuge seiner Recherche schon der perfekte Mord verraten. Er ist allerdings dazu verpflichtet, zusätzlich zu jenen Fehlern, über die die Ermittler ihren Mörder stellen, noch weitere einzubauen, um nicht eine Vorlage für mögliche Nachahmungstäter zu liefern.

Mord, da sind sich die Praktiker Struber und Hesztera einig, sei überhaupt in der Krimi-Fiktion stark überrepräsentiert. "In der Realität ist Mord eigentlich ein seltenes und relativ einfach zu lösendes Delikt", so Hesztera. "Die Wahrheit ist einfach fad, so spannend wie im Krimi sind die Delikte in Wahrheit eben nicht. Man hat es meist mit organisierter Kriminalität zu tun, mit Wirtschaftskriminalität, mit sehr komplizierten, langwierigen, staatenübergreifenden Delikten."

Der dumme Uniformierte

Was für Struber wie Hesztera allerdings die größte Abweichung von der Realität darstellt, sind die klassischen Klischeebilder - sowohl des heldenhaften Ermittlers, als auch des einfachen Uniformierten. Während die Alkohol- und Beziehungsprobleme der meist sehr schrulligen Protagonisten zwar aus der Realität gegriffen, aber doch stark überzeichnet seien, würden die normalen Polizisten meist vollkommen zu Unrecht als dümmlich oder tollpatschig dargestellt. "Die Uniformierten haben das Ohr am Ort des Geschehens. Sie wissen sehr viel, kennen das Umfeld etc. Nur wenn diese Zusammenarbeit passt, können Ermittlungen erfolgreich sein", so Struber.

Auch Komarek stimmt hier zu: "Ich denke, dass man viel weniger von einfachen Polizisten hält, als sie eigentlich verdienen. Sie suchen einfach keine Probleme, weil sie ohnehin schon genug haben. Ich habe viel Mitleid mit der realen Polizei. Diese Leute stehen stark unter Druck und unterliegen einer Vielzahl von Sachzwängen. Sie werden sich hüten, in Fettnäpfchen zu treten oder Dinge zu tun, die ihnen Probleme bereiten könnten."

Nicht jeder ist ein Simon Polt. Scheinbar fällt der Idealismus in Wirklichkeit oft fehlender Risikobereitschaft zum Opfer. Und das sei auch völlig verständlich und niemandem zum Vorwurf zu machen, wie die Krimiautoren andeuten. So sagt beispielsweise Martin Ambrosch: "Definitiv würde die Polizeiarbeit besser funktionieren, wenn sich die Polizisten mehr trauten." So etwas wie einen kriminalistischen Instinkt gebe es sehr wohl, so auch Oberst Hesztera. Diesen auch zu nutzen, wenn es dadurch Probleme gibt, ist jedoch schwieriger, als es im Fernsehen aussieht oder sich in einem Buch liest. Mitarbeit: bog

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