"Zusammensitzen und reden wie früher bringt nichts"

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Der Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Lorenz Fritz, verteidigt die Forderung seines Präsidenten nach längerer Arbeitszeit. Karl Klein, christlicher Gewerkschafter und ÖGB-Vizepräsident, hat dafür kein Verständnis. Mit einem Nachgeben in diesen Fragen hätten die Gewerkschaften immer nur schlechte Erfahrungen gemacht, sagt Klein.

Die Furche: Die Industrie in Österreich ist laut eigenen Aussendungen gerade in einer Hochkonjunkturphase. Warum wird von dieser Seite jetzt trotzdem die Forderung nach längeren Arbeitszeiten laut?

Lorenz Fritz: Die Frage ist berechtigt, weil es geht uns nicht so schlecht wie Deutschland, wo dieses Thema auf der Tagesordnung steht, genauso wie in Belgien oder Holland. Wir haben diese Diskussion angestrengt, weil uns in Zukunft noch viel Schlimmeres bevorsteht: Noch konzentrieren sich Wachstumsmärkte wie China in ihren Exportbemühungen allein auf die USA. In wenigen Jahren wird aber Europa und vor allem Deutschland in das Blickfeld dieser Märkte geraten. Und auf diese Herausforderungen eines globalen Wettbewerbs müssen wir uns rechtzeitig einstellen.

Karl Klein: Als Arbeitnehmervertreter habe ich den Verdacht, dass die deutsche Diskussion, die man dort unter anderen wirtschaftlichen Voraussetzungen führt, nach Österreich herübergezogen wird. Frei nach Wilhelm Busch: Man merkt die Absicht und ist verstimmt. Zu einer Diskussion über den Industriestandort Österreich sind wir bereit. Die Verlängerung der Arbeitszeit ist dafür nur der falsche Ansatz. Damit die Diskussion nicht in Schlagworten untergeht, muss so ein Thema durch Fachleute, z.B. den Wirtschafts- und Sozialbeirat, vorbereitet werden.

Fritz: Das klingt ja gut: Setzen wir uns zusammen, lassen wir unsere Fachleute arbeiten, so wie wir es früher gemacht haben, und kommen wir zu Zukunftslösungen... - Kommen wir nicht, Herr Klein, das wissen Sie. Da gibt es einen Schulstreit unter unseren Experten: bei der Arbeitszeit und beim Thema Wachstum - und da sind die Positionen absolut gegensätzlich. Leider!

Klein: Das sehe ich nicht so: Wir sind an diese Diskussion immer schon anders herangegangen als unsere deutschen Freunde. Die deutschen Gewerkschafter haben immer geschaut, aus der Industrie das herauszuholen, was herauszuholen ist. Das haben wir in Österreich nie gemacht.

Fritz: Stimmt!

Klein: Wir haben immer eine vernünftige Lohnpolitik gemacht, und wir haben immer geschaut, dass die Arbeitszeitflexibilisierung eine sehr, sehr branchenbezogene ist. Manche Branchen sind ja über die jetzige Ansage der Industriellenvereinigung absolut verblüfft: Für viele ist Arbeitszeitverlängerung derzeit ja gar kein Thema, sondern Flexibilisierung und nachfrageorientiertes Arbeiten.

Fritz: Arbeitszeitverkürzung oder -verlängerung - das ist doch der Schulstreit. Warum verlangen wir denn eine Verlängerung? Damit wir von der Verkürzungsthematik wegkommen. Frankreich war das einzige Land, das auf die 35-Stunden-Woche umgestiegen ist - gebracht hat es nichts, im Gegenteil. Die Gewerkschaft sitzt aber nach wie vor auf diesem Thema drauf. Damit wir da überhaupt eine Diskussion starten können, müssen wir das Gegenteil fordern. Vielleicht kriegen wir schließlich eine verbesserte Flexibilisierung heraus, denn so gut, wie Sie, Herr Klein, die schildern, schaut es nicht aus. Da werden viele Notwendigkeiten von Ihrer Seite nach wie vor massiv blockiert.

Klein: Die Arbeitszeitfrage war aber die ungeeignetste Methode, um diesen Schulstreit, von dem Sie reden, sinnvoll auszutragen. Denn die Nettolohnquote sinkt seit den 80er-Jahren in allen westeuropäischen Ländern, während die Arbeitslosigkeit permanent steigt. Also die Rechnung - geringere Löhne, mehr Arbeitsplätze - geht in Westeuropa nicht auf.

Die Furche: Als entscheidende Wettbewerbsfaktoren gelten doch Bildung, Kreativität, Innovation - ist da die Arbeitszeit überhaupt das entscheidende Kriterium?

Fritz: Im High-Tech-Bereich kann man mit Innovation im Wettbewerb bestehen. In Österreich gibt es aber bei weitem nicht nur Hochtechnologie-Betriebe sondern jede Menge an Medium- und Low-Tech-Branchen. Wir sind nicht so gut, dass wir nur mit Innovation alles regeln könnten.

Die Furche: Gerade bei High-Tech müssen wir aber zulegen...

Fritz: Stimmt, und irgendwann werden wir die anderen Branchen in der internationalen Arbeitsteilung sowieso verlieren. Die Frage ist nur: Wann? Wenn wir sie noch zehn Jahre halten können, dann haben wir weniger Arbeitslosigkeit, bis um das Jahr 2013 herum sowieso weniger junge Menschen auf den Arbeitsmarkt drängen.

Klein: Uns Gewerkschafter machen unsere Erfahrungen misstrauisch: Wann immer Arbeitnehmer auf ihre Rechte in irgendeiner Form verzichtet haben, hat das zur Standortsicherung kaum etwas beigetragen. Der Betrieb ist halt lediglich zwei Jahre später entweder verlagert oder zugesperrt worden. Unsere Betriebsräte sagen daher zu Recht: Wenn wir anfangen, Löhne zu senken und Verzicht zu leisten, ist das der Anfang vom Ende, eine Spirale, die sich nach unten dreht. Generell kann uns aber nicht vorgeworfen werden, dass wir nicht immer schon auf Notwendigkeiten reagiert haben - auch in der Industrie.

Fritz: Reagieren, jetzt sind wir beim richtigen Wort. Immer nur reagieren. Jetzt müssen wir endlich einmal agieren.

Klein: Aber schauen wir uns doch einmal die Realität an: Wir haben hohes Exportwachstum, wir haben hervorragende Lohn-Stück-Kosten, die noch dazu sinken. Was uns abgeht ist ein bissl mehr Wachstum. Die Hälfte des Wachstums wird aber durch die Inlandsnachfrage produziert. Wenn wir den Menschen weniger Geld in die Hand geben, dann werden sie weniger konsumieren. Und das ist einer Wachstumsstrategie nicht sehr förderlich.

Fritz: Aber auch unsere Leute kaufen die Produkte, die wettbewerbsfähig sind. Und wenn wir strukturell im internationalen Wettbewerb nicht gut genug sind, dann werden ausländische Produkte gekauft. Es ist eine Frage der Abfolge: Wir müssen zuerst wettbewerbsfähig sein, dann greift auch die Binnennachfrage.

Die Furche: IV-Präsident Veit Sorger hat von längerer Arbeitszeit ohne Lohnausgleich gesprochen - wo soll dann mehr Geld für die Binnennachfrage herkommen?

Fritz: Da ist er verkürzt wiedergegeben worden. So wäre das ja nur zum Vorteil der Unternehmer und eine Kampfansage an die Gewerkschaften. Nein, das hat er nicht gemacht. So wollte er sich nicht einführen. Nein, für Sorger und die Industriellenvereinigung geht es um die Frage: Wie teilen wir das Erwirtschaftete neu? Finden wir neue Modelle: nicht nur bei der Arbeitszeit, nicht nur bei den Lohnnebenkosten, sondern generell bei der Frage nach der Zukunft unserer Sozialsysteme? Finden wir da neue, bessere, tragfähige Modelle, wie wir teilen...

Klein: ... darüber können wir schon diskutieren, aber 83 Prozent der österreichischen Betriebe sind keine Industriebetriebe, sondern Klein- und Kleinstbetriebe, für die ganz andere wirtschaftliche Parameter gelten.

Fritz: Wir sollen aber nicht vergessen: Von einem Arbeitsplatz in der Industrie hängen vier andere ab. In einer Papiermaschine z.B. ist sehr viel mehr Elektronik drin als in einem Auto. Und wenn die Papiermaschine weg ist, dann sind die ganzen dazugehörigen Dienstleistungsberufe auch weg. Wenn sich das Industriesterben aufschaukelt, dann können wir das mit Gewerbe und Handwerk nicht kompensieren.

Klein: Herr Generalsekretär, wir kriegen aber andere Industriebereiche dazu, weil die Qualität unserer Arbeitnehmer so gut ist, dass große Unternehmungen wieder nach Österreich gehen.

Fritz: Stimmt schon, aber wir sind in einer Umbruchszeit. Da kommt es auf das richtige Timing an - je länger wir Standorte bei uns halten können, umso besser. Sie haben schon Recht, das Industriemodell wird nicht das Modell für ganz Österreich sein. Aber die Industrie versteht sich ja auch als Vorreiter. Bislang haben wir immer erst versucht, das Haus zu retten, wenn es schon gebrannt hat. Wir haben nur reagiert - verflixt noch einmal, aber so können wir nicht die Zukunft gestalten.

Das Gespräch moderierten Gertraud Eibl und Wolfgang Machreich.

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