Zwei-Klassen-Recht beim Kinderschutz

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Seit 25 Jahren soll die UN-Konvention über Kinderrechte die Schwächsten schützen. In Österreich werden die Rechte von einigen Kindern aber wiederholt missachtet. Ein neues Salzburger Gesetz will die Diskriminierung nun erstmals festschreiben.

Für manche ist es besonders schwer. Einer von ihnen war 13, als er in Österreich ankam. Nennen wir ihn Ali, ein Bursche wie er, der aus Afghanistan kommt, könnte so heißen. Ali also war gerade ein Teenager geworden, als er in Salzburg auftauchte, alleine, mit nicht viel mehr als einem fürchterlichen Trauma. Er kam im Clearing-house, einer Betreuungsstelle des SOS Kinderdorf für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, unter. 26 Burschen leben dort zusammen, werden sozialpädagogisch betreut, lernen Deutsch, bekommen Hilfe im Alltag und Ansprech- und Bezugspersonen. Sie alle sind alleine nach Österreich geflohen, aus Afghanistan, Syrien oder Somalia. Sie haben es gut in Salzburg, besser als in ihrer Heimat, besser auch als viele andere Kinderflüchtlinge in Österreich. Trotzdem kommen nicht alle gut mit der aktuellen Lebenssituation zurecht. Für Ali war es besonders schwer.

Am 20. November feiert die UN-Konvention über die Rechte der Kinder ihren 25. Geburtstag. Bei einer parlamentarischen Enquete vergangene Woche betonte Nationalratspräsidentin Doris Bures die Verbesserungen, zu denen der völkerrechtliche Vertrag geführt hat. Und sie mahnte: "Man darf nicht die Augen davor verschließen, dass Kinder- und Jugendrechte weltweit immer noch mit Füßen getreten werden.“ Auch in Österreich werden die Rechte von Kindern wie Ali gebrochen.

Spielball zwischen Bund und Land

In der großen Gruppe kam Ali nicht gut zurecht. "Ich habe noch keinen Jugendlichen gesehen, der so zerstört war wie er“, erinnert sich Bernhard Spiegel, der Leiter des Clearing-house. Ali kam auf die Kinder- und Jugendpsychiatrie, temporär, kein Ort zum Bleiben. Man bemühte sich um ihn, fand einen Platz in Wien mit einer anderen, engmaschigeren Betreuung. Umziehen konnte Ali aber nicht - das Bundesland Wien, das seine Betreuungsquote erfüllt, wollte keinen zusätzlichen Asylwerber aufnehmen.

Wäre Ali ein österreichisches Kind, wäre die Kinder- und Jugendhilfe für ihn zuständig. Es gäbe zusätzliche therapeutische Möglichkeiten, er könnte in eine kleinere Wohngruppe wechseln, die Kinder- und Jugendhilfe würde sich um Stabilität bemühen.

Wäre Ali ein österreichisches Kind, würde die Kinder- und Jugendhilfe des Bundeslandes mindestens 120 Euro pro Tag für seinen Betreuungsplatz ausgeben. Weil er aber ein afghanisches Flüchtlingskind ist, zahlt das Land gar nichts, sondern der Bund aus dem Topf der Grundversorgung - je nach Betreuungsintensität - zwischen 39 und 77 Euro pro Tag.

"In Österreich sieht man in Kinderflüchtlingen in erster Linie Flüchtlinge, und erst in zweiter Linie Kinder“, kritisiert Katharina Glawischnig von der Asylkoordination. Weil Kinderschutz Landessache ist, Flüchtlingsbetreuung aber Aufgabe des Bundes, werden Kinderflüchtlinge zu einem Problem, für das sich im Zweifelsfall niemand verantwortlich fühlt: "In der Betreuung kämpfen wir mit diesen Rahmenbedingungen. Oft werden wir im Kreis geschickt,“ weiß Bernhard Spiegel aus Erfahrung.

Manchmal funktioniert die Kooperation gut. In Wien, Niederösterreich und Oberösterreich gibt es Einrichtungen, in denen die Grundversorgungsstelle und die Kinder- und Jugendhilfen kooperieren, sich Kosten teilen. In Kärnten werden in einer Einrichtung Flüchtlingskinder zum selben Tagsatz betreut wie österreichische Kinder. Und in Graz wurden sogar schon minderjährige Asylwerber in Pflegefamilien untergebracht.

In anderen Fällen, in Alis Salzburg zum Beispiel, funktioniert die Kooperation nicht: "Es ist unwürdig, dass die Betreuung wie auf einem Bazar ausgehandelt werden muss. Wer Glück hat, kommt zu einem engagierten Sozialarbeiter. Wer Pech hat, in ein Grundversorgungsquartier, wo der einzige Ansprechpartner der Fernseher ist“, empört sich Michael Gnauer, der bei SOS Kinderdorf für Anwaltschaft zuständig ist. Ali hatte zwar engagierte Sozialarbeiter, aber trotzdem kein Glück.

Ausschlussklausel für Flüchtlinge

Pünktlich zum 25-Jahres-Jubiläum der UN-Kinderrechtskonvention bringt Salzburg nun eine Novelle zum Kinder- und Jugendgesetz auf den Weg. Das Budget wird um sieben Prozent aufgestockt, Präventionsarbeit und frühzeitige Hilfe sollen forciert werden. "Ich habe großes Lob bekommen“, sagt der grüne Soziallandesrat Heinrich Schellhorn.

Ein Passus seines Gesetzesentwurfs aber erntet Empörung: Für Kinder wie Ali, Kinderflüchtlinge, sollen all die neuen Regelungen nicht gelten. Paragraph 8 schreibt explizit fest, dass eine Leistungsgewährung nicht in Betracht kommt "für unbegleitete minderjährige Fremde, die Anspruch auf Grundversorgung (…) haben“.

"Dieser Gesetzesentwurf ist eine Schande“, sagt Katharina Glawischnig. Auch wenn es faktisch bereits eine Diskriminierung von Kinderflüchtlingen gibt - so explizit niedergeschrieben war sie bisher noch nie. "Das ist ein verheerendes Signal, weil sogar die wenigen Kooperationen und Kontakte, die es gibt, wegfallen würden“, fürchtet Michael Gnauer.

Landesrat Schellhorn verteidigt seinen Gesetzesvorschlag: In seinem ursprünglichen Entwurf hätte es keine Ausschlussklausel gegeben. Gegen den wehrten sich aber Gemeinde- und Städtebund, die in Salzburg 50 Prozent zum Jugendwohlfahrtstopf beisteuern. Bei ihnen liege der Ball. "Man kann nicht ein ganzes Gesetz kippen, weil ein Punkt nicht akzeptiert wird“, rechtfertigt sich Schellhorn. Asylwerberbetreuung sei schließlich Aufgabe der Grundversorgung. "Sobald sie anerkannte Flüchtlinge sind, greifen sofort alle Leistungen der regulären Sozialhilfe“, sagt Schellhorn.

Die Kinder- und Jugendhilfe betrifft das allerdings selten. Bis die Kinderflüchtlinge nämlich einen Asylbescheid bekommen, sind sie oft keine Kinder mehr. Ihre Verfahren dauern häufig so lange, dass ihr 18. Geburtstag sie für Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe disqualifiziert. Von den 20 jugendlichen Flüchtlingen, die in den zwei Minderjährigen-WGs des Wiener Integrationshauses leben, haben derzeit nur drei einen positiven Bescheid bekommen. Drei weitere warten seit einem Jahr auf ein Schreiben. 14 wurden noch nicht einmal zur Einvernahme geladen, stehen also noch ganz am Anfang des Asylverfahrens.

In Alis Fall, er ist mittlerweile 14, wird es noch dauern, bis er volljährig ist. Die Kinder- und Jugendhilfe wird, wenn das Salzburger Gesetz in der Form angenommen wird, trotzdem nicht für ihn zuständig sein. Sein Weg führte ihn zuletzt in eine Notschlafstelle für obdachlose Jugendliche. Und Ali ist kein Einzelfall. Die Salzburger Kinder- und Jugendanwältin Andrea Holz-Dahrenstaedt (siehe rechts) kennt ähnliche Geschichten: "Wenn die Unterbringung in einer Einrichtung für minderjährige Asylwerber aus welchen Gründen auch immer nicht möglich ist, bleiben nach dem derzeitigen System nur mehr Notschlafstellen oder Einrichtungen für Erwachsene: Beides Orte, wo Jugendliche definitiv nicht hingehören.“

Vergangenen Freitag endete die Begutachtungsfrist für das Salzburger Kinder- und Jugendhilfegesetz.

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