Zwischen Josephinismus und Populismus

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Bürger? In welcher Gesellschaft? Provokant-kritische Anmerkungen zum neuen Buch von Andreas Khol "Durchbruch zur Bürgergesellschaft" (siehe Furche 29, Seite 2 und 3).

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Bürger? In welcher Gesellschaft? Provokant-kritische Anmerkungen zum neuen Buch von Andreas Khol "Durchbruch zur Bürgergesellschaft" (siehe Furche 29, Seite 2 und 3).

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Es erstaunt festzustellen, daß es unter Politikern noch Idealisten gibt, Andreas Khol offenbart sich in seinem neuesten Buch "Durchbruch zur Bürgergesellschaft" als ein solcher. Persönliche Befindlichkeit und katholisches Bewußtsein scheinen Triebkraft seines Engagement für die "Bürgergesellschaft" zu sein - die Bürgerin ist allerdings nur "mitgedacht". Dies gibt dem ganzen Manifest eine Schlagseite. Wenn Andreas Khol auf Grund von Studien zu dem Schluß kommt, Männer und Frauen seien für die Gemeinschaft in gleicher Weise engagiert, so zeigt es nur eines: worauf man nicht schaut, das sieht man auch nicht. Es wäre doch interessant zu erfragen, in welchen Initiativen vorwiegend Männer tätig sind und in welchen vorwiegend Frauen, wer in Leitungsposition ist und wer die Arbeit macht und so weiter ... Idealismus kann die Analyse der gesellschaftlichen Gesamtzusammenhänge nicht ersetzen. Auch die Gegenüberstellung von kaltem staatlichen Wohlfahrtsapparat und mitmenschlicher Initiative, die Wärme ausstrahlt, ist ja wohl doch eine sehr simple Sicht der Dinge.

Die Katholische Aktion, ein engagierter Teil der Zivilgesellschaft, nutzt ein bewährtes Instrumentarium um an Probleme heranzugehen. "Sehen - Urteilen - Handeln" heißen die drei Schritte, die zu gehen sind, um am kirchlichen und öffentlichen Leben teilzunehmen, ohne in allzugroße ideologische Fallen zu tappen. Sehen bedeutet, sich einen klaren Blick für die gesellschaftliche Realität zu bewahren, Urteilen heißt die seriöse Analyse dieser Realität und als dritter Schritt erfolgt erst das Handeln.

Neue Zauberworte Schauen wir also einmal hin, auf die "Bürgergesellschaft" wie Andreas Khol sie sich wünscht. Welche Rahmenbedingungen findet sie vor? Es ist zumindest in großen Teilen der Bevölkerung unbestritten, daß das herrschende Wirtschaftssystem das einzig erfolgreiche ist. Dieses System geht davon aus, daß der Mensch ein aus Eigennutz handelndes Wesen ist und in steter Konkurrenz zu anderen steht. Durch diese Konkurrenz der Menschen untereinander entwickelt sich durch die unsichtbare Hand des Marktes ein Gleichgewicht mit optimalem Nutzen für alle - soweit die Theorie.

Ist es nun möglich, diese Theorie nur auf den Bereich der Wirtschaft und der Arbeitswelt gelten zu lassen und die individuelle Lebenswelt ganz anderen Gesetzen zu unterwerfen? Ist die Individualisierung und Entsolidarisierung der Gesellschaft tatsächlich Frucht eines überbordenden Sozialstaats wie konservative Kritiker meinen, oder vielleicht doch eher eine Anpassung an wirtschaftliche Rahmenbedingungen? Flexibilisierung der Arbeitswelt, aber Heimat Bürgergesellschaft? Das dürfte schon rein praktisch für viele Pendler, Arbeits- und Lebensplatz Wechselnde schwer zusammengehen.

Die Organisation der Arbeitswelt und die wirtschaftlichen Interessen prägen die Lebenswelten der Menschen. Wo sich diese Welten nicht nur berühren, sondern ineinander massiv verflochten sind, gibt es enorme Reibungspunkte. Nicht die "Bürgergesellschaft" wirkt in die Wirtschaft hinein, sondern wirtschaftliche Kriterien erfassen zunehmend die engagierter Bürgerinnen und Bürger.

Als ehrenamtlich arbeitende Frau erlebe ich zunehmenden Druck in Richtung "Professionalisierung" sozialer Dienstleistungen. Kirche und staatliche Institutionen sind unter dem vorgeblichen Diktat der leeren Taschen eben dabei, Nicht-Regierungs-Organisationen marktwirtschaftlichen Kriterien zu unterwerfen. Überspitzt ausgedrückt - jede Pfarre ein eigenes Profit-Center und jede NGO ein quality-gemanagter Musterbetrieb. Vorausdenkende Beratungsfirmen haben den Braten längst gerochen, denn wenn es nur professionell klingt, tun sich öffentliche Brieftaschen weit auf. Qualitätssicherung, Professionalisierung, Effizienz, das sind die Zauberworte des New Public Managements - alles wird wäg- und meßbar und was nicht wäg- und meßbar ist, muß meßbar gemacht werden.

Was ist Erfolg?

Wie aber messe ich den Grad an wieder gewonnenem Lebensmut nach einem einstündigen therapeutischen Gespräch? Wie und woran messe ich Bewußtseinsbildung? Was sind die Erfolgskriterien für Familien? Wer hat versagt, wenn Firmen schließen, Männer und Frauen auspendeln müssen und das Familienleben vielleicht in Brüche geht? Ist es möglich, erfolgreich im Wirtschaftsleben mitzuspielen und gleichzeitig alle dort geltenden Spielregeln vergessend sich im Privatleben für die Bedürfnisse anderer Menschen einzusetzen? Ist es nicht so, daß ich oft sogar persönliche Nachteile habe, wenn ich bei der Mitgestaltung der Lebenswelt vor allem das gerechte Miteinander ins Auge fasse?

Damit sind wir aber schon beim zweiten Schritt - bei der Analyse. Die wird beim Thema "Staat" besonders heikel. Andreas Khol betont zwar, daß er den Staat nicht aus seiner Verantwortung entlassen möchte, er spricht aber leider mit seinen oft simplen staatskritischen Ansichten nur zu vielen Menschen aus der Seele, die ihre unliebsamen Erfahrungen mit der Bürokratie auf den "Staat" übertragen. Der demokratische Staat als der durch die Verfassung garantierte Ort des gesamtgesellschaftlichen Diskurses ist Schauplatz der Zivil- oder nach Khol Bürgergesellschaft. Zu fragen ist allerdings, wie Teilhabe und Mitbestimmung der Menschen eines Staatsgebietes, eben der "Staats-Bürger", geregelt und praktisch gestaltet werden. Zu fragen ist weiters, wie die Machtverteilung in diesem Staat ist und wie transparent die Vollzüge sind.

Es muß wohl klar sein, daß Mitgestaltung materielle Grundsicherung braucht. Schon im alten Griechenland setzte Teilhabe am öffentlichen Leben eine gesicherte Existenz voraus. Erst der Wohlfahrtsstaat gab die Chance, daß Untertanen zu Staatsbürgern wurden. Diesen Staat und seine Aufgaben aber einerseits zu untergraben, wie es momentan weltweit geschieht und andererseits auf eine selbstbewußte breite "Bürgergesellschaft" zu bauen, ist ein Widerspruch. Deren gibt es mehrere in Andreas Khols Manifest. Seine Bürgergesellschaft als Produkt von Parteipolitik ähnelt einer Mischung von Josephinismus und Populismus. Zivilgesellschaftliches Engagement braucht eine andere Machtverteilung in der Gesellschaft, eine anders zusammengesetzte Sozialpartnerschaft, wo sozial Ausgegrenzte in den gesellschaftlichen Diskurs miteinbezogen werden. Soziale und kulturelle Belange auf einen zweiten, schlecht bezahlten Arbeitsmarkt auszulagern, entwertet nicht nur diese Bereiche, die nach hoher Qualifikation verlangen, sondern auch die dort tätigen Menschen.

Gravierend ist auch, daß Andreas Khol keinen Blick dafür hat, wie unterschiedlich die Machtverhältnisse und damit auch die Rollen in der Gesellschaft zwischen Frauen und Männern sind. Da Frauen für die Grundversorgungen des Alltagslebens überwiegend zuständig sind, ist die aktive Teilnahme und das ehrenamtliche Engagement von Frauen sehr oft vom gesicherten Einkommen eines Partners abhängig. Alleinerziehende und Mehrfachbelastungen ausgesetzte Frauen haben kaum den familiären Background für ein zivilgesellschaftliches Engagement.

Armensuppen Bei Männern ist es größtenteils doch so, daß neben Beruf auch noch Teilnahme in diversen Vereinen möglich ist, weil ihre Grundversorgung, wie Ernährung, Pflege und so weiter durch die Frauen und auch Mütter sichergestellt ist. Die "Bürgerinnengesellschaft" im Sinne Andreas Khols wäre also noch in einem höheren Maße eine Gesellschaft des oberen Mittelstandes. Die in allen Bereichen funktionierende Arbeitsteilung, nämlich die Männer an den Schalthebeln und die Frauen als die brav Zuarbeitenden funktioniert ja auch momentan im ehrenamtlichen Sektor schon recht gut und würde sich, wenn man keinen Blick dafür hat, noch verfestigen. Frauen in schlechter wirtschaftlicher Lage, Langzeitarbeitslose und "working poor" können am gesellschaftlichen Wohlstand und am politischen Leben kaum teilhaben. Sie werden im besten Fall zu Betreuten und Bevormundeten. Wie sehr häufig in den USA und Großbritannien. Jeder Managergattin ihre eigene Armensuppenküche kann kaum Lösung des Problems sein.

Charity kann Gerechtigkeit nicht ersetzen. Da sind die Ansätze in Frankreich, die Andreas Khol geflissentlich verschweigt, schon viel interessanter. Streiks in Multis, um EU-weite gleiche Standards in deren Betrieben durchzusetzen. Das demokratiefeindliche Multilaterale Investitionsabkommen MAI wurde unter Frankreichs Federführung von der weltweiten Zivilgesellschaft zu Fall gebracht. Für die Zivilgesellschaft in einer global vernetzten Welt gilt nämlich nicht mehr allein "global -denken - lokal handeln". Es muß auch global gehandelt werden. Die Jubilee 2000 Aktion zur Entschuldung der ärmsten Länder ist ein gutes und hoffentlich auch erfolgreiches Beispiel dafür.

Andreas Khol geht hingegen bei seiner Vorstellung von einer interessensgeleiteten Trennung aus - hier Staat - dort das lokale Engagement der Bürger. Das kann für die Demokratie sogar gefährlich werden, da sie zu einer Interesselosigkeit der herbeigesehnten Bürgergesellschaft für weltweite Zusammenhänge führt. Engagierte Staatsbürger organisieren sich ihre kleine Lebenswelt selbst und brauchen den Staat immer weniger - und wo bleibt die zivilgesellschaftliche politische Meinungsbildung, wo die Gesellschaftskritik, wo der Druck auf die Verantwortlichen? Wer bringt die relevanten Themen in den gesellschaftlichen Diskurs ein, wenn die Bürger und Bürgerinnen mit ihrer Lebenswelt so beschäftigt sind, daß sie gar nicht mehr sehen, wer wirklich an den Schalt- und Machthebeln sitzt und welche Entscheidungen dort getroffen werden?

Die Beteiligung und das Hinhören auf die Bürger könnte doch auch schon bisher in den von der ÖVP geführten Ministerien geübt werden. Die stärkere Unterstützung der privaten Entwicklungszusammenarbeit im Außenministerium, das Transparentmachen der WTO-Verhandlungen im Wirtschaftsministerium und die Politik Richtung NATO im Verteidigungsministerium sind nur Beispiele dafür.

Engagiert & unbequem Als jahrzehntelange ehrenamtliche Mitarbeiterin in der Entwicklungszusammenarbeit erfahre ich immer wieder, wie wenig durchdacht die Wünsche und Vorstellungen politischer Entscheidungsträger gerade im Bereich der Zivilgesellschaft sind. Es wird auch von Andreas Khol nicht unterschieden zwischen zivilgesellschaftlichen Selbsthilfe-, Freizeit- und Servicegruppen, die durch Eigeninitiative das Budget entlasten und zwischen gesellschaftspolitisch engagierten Unbequemen, die die Politiker herausfordern, den Diskurs in Gang halten und vor allem höchst unberechenbar und unbequem sind. Einerseits bauen Politiker darauf, daß es Menschen gibt, denen ihr solidarisches Handeln viel wert ist, nämlich viel Zeit und Geld, andererseits aber werden gerade diese engagierten Menschen in keiner Weise ernst genommen, wenn es um Einfluß und strukturelle Veränderung im staatlichen Entscheidungsprozeß geht.

Die Frage der Macht und ihre Verteilung ist keine, der sich Andreas Khol stellt und damit wären wir beim dritten Schritt, bei "Handeln" - also bei den konkreten Aktionen der "Bürgergesellschaft". Jede Initiative, die langfristig wirksam sein soll, braucht eine Struktur. Strukturen kosten Geld. Wenn Beratungsstellen ein Projekt nach dem andern mühsam ausarbeiten müssen, um in den Genuß der Basisfinanzierung von Miete und minimaler personeller Ausstattung zu kommen, geht viele produktive Energie allein in fundraising. Da so verlockende Angebot steuerlicher Absetzbarkeit von Spenden für gemeinnützige Vereine kann ein Schuß sein, der nach hinten los geht. Potente Spender, die aus steuerlicher Absetzbarkeit Nutzen ziehen, werden kaum gesellschaftskritische Kleinprojekte unterstützen.

Entwicklungspolitische Initiativen sind wenig interessant für das Gros der Spender. Frauen sind sowohl als Spenderinnen als auch als Nutznießerinnen keine Zielgruppe für das große Geld. Große Spendenmultis und Interessensvertretungsorgane werden die Hauptgewinner einer steuerlichen Absetzbarkeit sein. Die Verdienste der Caritas werden ja kaum geschmälert, wenn man anspricht, daß staatliche Mittel das Fundament für ihre Arbeit sind. Wenn man erlebt, wie gerade zur Zeit vielen Initiativen der Boden unter den Füßen weggezogen wird, weil massiv gekürzt wird, erscheint das Plädoyer für mehr Bürgerengagement sogar zynisch. Wer hat die Regierungspartei ÖVP bis jetzt gehindert, den Sektor ehrenamtlicher Sozialarbeit zu stärken?

Trotz allem, es ist Andreas Khols Verdienst, die Diskussion um den zivilgesellschaftlichen Sektor wenn nicht eröffnet, so doch angeheizt zu haben. Die Beteiligung an dieser Diskussion wird Zeichen für die Reife unserer Staatsbürger und Staatsbürgerinnen sein ...

Die Autorin ist Diözesanleiterin der Katholischen Frauenbewegung Wien (ehrenamtlich).

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