Zwischen Kosten und Nutzen

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Wieviel kosten die Flüchtlinge? - Eine ethisch heikle Frage. Deutsche Studien zeigen, dass nach Europa Geflohene auf lange Sicht positive wirtschaftliche Impulse bringen.

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Wieviel kosten die Flüchtlinge? - Eine ethisch heikle Frage. Deutsche Studien zeigen, dass nach Europa Geflohene auf lange Sicht positive wirtschaftliche Impulse bringen.

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Zur Frage, wie viel Geld die Flüchtlinge Europas Aufnahmestaaten in den nächsten Jahren kosten werden, kursieren aktuell sehr unterschiedliche Schätzungen. Doch kann und soll man den ökonomischen Wert eines Menschen beziffern? Darf der "Kosten-Nutzen Gedanke" die politische Debatte rund um das Menschenrecht Asyl dominieren?

Versucht man diese schwierigen Fragen zu beantworten, müssen gleichzeitig viele Aspekte mitgedacht werden: Die europäischen Gesellschaften müssen sich nicht nur mit Fragen der Kapazitäten, der Finanzierung und der Sicherheit auseinandersetzen.

Asylrecht unabhängig von Kosten

Die Asyldebatte müsse auch den rechtsstaatlichen und vor allem den ethischen Blickwinkel mitdenken, meint Margit Ammer, Wissenschaftlerin am Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte: "Die Würde jedes Menschen ist gemäß Artikel 1 der EU-Grundrechtecharta unantastbar. Vor diesem Hintergrund ist die Frage, ab wann sich ein Mensch für die Gesellschaft 'auszahlt', sehr kritisch zu sehen." Das Recht, Asyl zu suchen und zu erhalten, gehe mit der Verpflichtung einher, Flüchtlingen, deren Leben oder Freiheit im Heimatland real bedroht wäre, den Zutritt in ein sicheres Land zu gewähren und ende erst mit einer nachhaltigen Stabilisierung ihrer Lebenssituation.

Die Idee, das emotionale Thema Asyl zu versachlichen, indem man es auf eine ökonomische Ebene hebt, und so die Ablehnung gegenüber asylsuchenden Menschen mit marktwirtschaftlichen Prognosen zu relativieren, ist natürlich problematisch. "Durch Kosten-Nutzen-Überlegungen würde man den Grundgedanken des Asylrechts unterlaufen", so Ammer.

Das deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat dennoch mittels "Zukunftssimulation" untersucht, ob die Integration von Flüchtlingen eine langfristig lohnende Investition sein könnte. DIW-Mitarbeiter haben drei unterschiedlich optimistische Szenarien durchgerechnet. Sie unterscheiden sich in der Zahl der Flüchtlinge, die ins Land kommen, beim Alter und den Qualifikationen, die ihnen unterstellt werden. Je nachdem sind schließlich auch Kosten anzusetzen. Nimmt man an, dass die Menschen Aus- und Weiterbildungen absolvieren und so möglichst bald arbeiten können, werden diese Kosten aber bald kleiner sein als der Nutzen: Das DIW rechnet längerfristig mit einem zusätzlichen BIP-Wachstum von knapp 0,5 Prozent im schlechtesten und knapp eineinhalb Prozent im besten Fall. Zudem hat im Vorjahr eine Untersuchung des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) gezeigt, dass 2012 in Deutschland jene Einwohner ohne deutschen Pass im Schnitt rund 3300 Euro mehr Steuern und Sozialabgaben bezahlt haben, als sie an staatlicher Zuwendung erhalten haben.

Geringe Arbeitsmarkt-Effekte

Zur Situation in Österreich haben die WIFO-Autoren Julia Bock-Schappelwein und Peter Huber die Vor-und Nachteile einer Arbeitsmarktöffnung für Asylsuchende untersucht. Derzeit ist hierzulande nur ein eingeschränkter Arbeitsmarktzugang für Asylwerber nach drei Monaten möglich -entweder eine befristete Saisonbeschäftigung im Tourismus oder in der Landwirtschaft.

Zusammengefasst erkennen die Wirtschaftsforscher bei einer Arbeitsmarkt-Liberalisierung nur geringe Auswirkungen auf Lohn-, Verteilungs- und Verdrängungsaspekte: Die Arbeitslosenrate würde sich bei einer Lockerung nach sechs oder neun Monaten kurzfristig um maximal 0,2 Prozent erhöhen und im Anschluss wieder zurückgehen -allerdings nur langsam. Ein früherer Arbeitsmarktzugang -etwa drei oder sechs Monate nach Zulassung des Asylverfahrens -könnte dagegen später zu einer Ersparnis bei diversen Sozialleistungen und zu positiven Auswirkungen von Migration auf Exporte, Innovationskraft und Beschäftigung führen.

Ganz anders der Tenor eines "Kostenpapiers", das unlängst Ö1 zugespielt wurde: Laut diesem entstehen bis 2019 Asylkosten von 12,3 Milliarden Euro, während die Regierung offiziell von deutlich weniger ausging. Solche Beispiele zeigen, dass bei Kostendarstellungen im Flüchtlingsdiskurs Vorsicht geboten ist. Sie können genauso instrumentalisiert werden wie Bilder und Falschmeldungen im Netz. Sieht man sich die Argumente der Asyl-Gegner an, ist die Kostenfrage zentral. Im Sinn eines Reality Checks kommen da die jüngsten wissenschaftlichen Berechnungen aus Deutschland gerade recht.

Kritischer Ansatz

Die Frage, ab wann sich ein Mensch für die Gesellschaft "auszahlt", betrachtet Margit Ammer, Wissenschaftlerin am Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte, sehr kritisch: "Die Asyldebatte muss auch den rechtsstaatlichen und ethischen Blickwinkel mitdenken."

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