"Zwischen Mitgefühl und Abwehr"

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Wieso sich manche Menschen von Flüchtlingen derart bedroht fühlen und wie es um das Gewissen von Asylgegnern steht, erklärt der Sozialpsychologe Klaus Ottomeyer. Das Gespräch führte Sylvia Einöder

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Wieso sich manche Menschen von Flüchtlingen derart bedroht fühlen und wie es um das Gewissen von Asylgegnern steht, erklärt der Sozialpsychologe Klaus Ottomeyer. Das Gespräch führte Sylvia Einöder

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Einerseits Bilder von frierenden und weinenden Kindern - andererseits von raffgierigen Flüchtlingen? Der Psychologe, Traumatologe und Ethnopsychoanalytiker Klaus Ottomeyer erklärt die Ambivalenz in der Wahrnehmung der Flüchtlingsdebatte.

Die Furche: Wieso posten Leute, die in ihrem gemütlichen Heim sitzen und einen guten Job haben auf Facebook gegen Flüchtlinge?

Klaus Ottomeyer: Durch die moderne Kommunikation und Verkehrstechnik kommt der Krieg hierher. Kriegsflüchtlinge gehen durch unsere Straßen und stören unsere Herbstausflüge. Die Menschen kriegen mit, dass ihre Gemütlichkeit nicht mehr selbstverständlich ist. Wir sind zwar durch die Politik der USA und mancher EU-Staaten an diesen Kriegen nicht unbeteiligt, aber jetzt sind sie uns an den Leib gerückt. Ein Teil dieser Gemütlichkeit beruht auf Abwehr und Verleugnung: Wir tun so, als wäre die Welt in Ordnung - und beschuldigen die Kriegsopfer, dass unsere Ruhe gestört wird.

Die Furche: Die Angst, die Flüchtlinge könnten einem etwas wegnehmen, findet sich nicht nur bei Arbeitslosen und Hilfsarbeitern, sondern in allen Schichten. Wieso?

Ottomeyer: Einerseits gibt es eine Realangst - es gibt ja große Probleme zu managen: die gesamte Logistik, der Grenzverkehr, die Unterbringung, die Veränderungen am Arbeitsmarkt. Doch eine klug gemanagte Einwanderung muss mittelfristig nicht zu Massenarbeitslosigkeit führen, da sind die Wirtschaftsbosse optimistisch. Auf diese Realangst muss man mit realistischer politischer Planung antworten. Da wird viel zu schnell eine Endzeitstimmung propagiert von einigen Medien und rechten Politikern. Dann gibt es auch noch die künstlich geschürten, neurotischen Ängste, die eher mit unseren inneren Konflikten und Fantasien zu tun haben. Die Angst vor dem sexuellen Übergriff, die Schmutzphantasie, dass die Flüchtlinge Dreck machen und Krankheiten bringen, die Vorstellung, dass die Flüchtlinge gierig plündern - all das spiegelt eher einen inneren Anteil von uns selber wider. Solche Projektionen erweisen sich regelmäßig als unzutreffend.

Die Furche: Wie steht es bei aller Abwehr mit dem Gewissen der Asylgegner?

Ottomeyer: Es gibt auch die Angst vor dem eigenen Gewissen. Die Leute wissen ja, dass man weinenden und frierenden Kindern eigentlich helfen sollte. Und dann wird diese Gewissenszumutung aggressiv abgewehrt auf Kosten der Hilfsbedürftigen. Folglich wird auf die sogenannten Gutmenschen und Tugendterroristen geschimpft. Sämtliche Projektionsmechanismen funktionieren quer durch alle Schichten. Auch dieses Gefühl: "Ich wurde in meinem Leben schlecht behandelt, musste immer hart arbeiten, und was habe ich jetzt davon?" Das könnte man eine chronische Gratifikationskrise nennen, dass man die erhoffte Belohnung nicht bekommen hat. Dann entsteht die Phantasie, die Flüchtlinge würden sofort alles bekommen, ohne arbeiten zu müssen - und man fühlt sich ungerecht behandelt. Dahinter stecken familienbiografische Probleme.

Die Furche: Viele Asylgegner regen sich auf, dass Flüchtlinge ein Handy haben, etc. Wie kann man auf Flüchtlinge aus einem Bürgerkriegsland neidisch sein?

Ottomeyer: Es gibt einen oralen Versorgungsneidwie wenn man auf kleine Kinder neidisch ist, die gut versorgt werden, aber nix dafür tun müssen. Das ist ein Geschwister- oder Kleinkinder-Neid. Die Handys tragen wesentlich zur Entspannung der Situation bei. Die Leute können sich im Internet informieren und Kontakt nach Hause halten. So sind die Wartenden beschäftigt und auch die Kinder können damit spielen.

Die Furche: Wie sehr ist die Stimmung gegen Migranten ein hausgemachtes Problem, ein Versagen der Politik?

Ottomeyer: Die Politik hat auf die Massenwanderung nicht rechtzeitig reagiert. Es wird sich nur etwas zum Guten bewegen, wenn man die Flüchtlinge als Menschen in Not sieht, die uns auf eine Krise aufmerksam machen, die wir alle gemeinsam lösen müssen - mit Hilfe der Politik und internationaler Organisationen und vielleicht sogar mittels Militär. Das Problem lässt sich nicht an der Grenze eindämmen und unter den Teppich kehren. Die Flüchtlinge in Internierungslager zu stecken und ruhig zu stellen, wäre nur ein Kurieren an den Symptomen.

Die Furche: Um die Idee und den Begriff des "Grenzzauns" gab es ein bizarres Hin und Her. Ein Zeichen totaler Überforderung der Innenministerin und der Regierung?

Ottomeyer: Mikl-Leitner hat opportunistisch ein paar Zugeständnisse an die Rechten gemacht. Doch vor einer solchen Grenzsperre würde das Warten immer länger werden, Menschen könnten erfrieren. Österreich titelte bereits mit: "Warnung vor erfrierenden Kindern!" Dieser Kampf zwischen Mitgefühl und Abwehr wird weitergehen. Der Mensch ist eigentlich ein mitfühlendes Wesen. Deshalb muss die Abwehr mit Übertreibungen und Erfindungen arbeiten. Dieser innere Konflikt arbeitet in vielen. Warnen muss man vor jenen, die die Gelegenheit nutzen, ihre Hasspostings unterzubringen und Leute zu erniedrigen - da gehört das Strafrecht angewendet.

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