Zwischen muttis Küche und Co-Working-Space

19451960198020002020

Arbeiten, wo andere urlauben: Die Wirklichkeit ist davon oft so weit entfernt wie Österreich vom Pazifik. Weniger spannend und wegweisend für die Zukunft der Arbeitwelt ist sie deshalb aber bestimmt nicht.

19451960198020002020

Arbeiten, wo andere urlauben: Die Wirklichkeit ist davon oft so weit entfernt wie Österreich vom Pazifik. Weniger spannend und wegweisend für die Zukunft der Arbeitwelt ist sie deshalb aber bestimmt nicht.

Werbung
Werbung
Werbung

Viel von Malaysia bekommt er nicht zu sehen. Mitten in George Town auf Penang, wo Reisende normalerweise Kolonialbauten bewundern oder Tempelanlagen besichtigen, sitzt Matthias Zeitler im Co-Working Space "ACAT Penang" am Computer. Natürlich war er schon beim Tauchen und auf Penang Hill, aber sein Alltag sieht anders aus: Der 40-Jährige arbeitet an einem Hardware-Produkt, mit dessen Hilfe Strom übers Internet mess-und steuerbar werden soll. Seit drei Jahren aber tut er das nicht von seiner Wahlheimat Salzburg aus, sondern stellt seinen Laptop dort auf, wo andere Urlaub machen. Zumindest ein Monat lang - bis er wieder kurz nach Salzburg reist, neue Kleidung in den Koffer packt und weiterzieht.

Einzige Voraussetzung: Internet

Matthias Zeitler ist ein digitaler Nomade, wie er im Buche steht. Unter den Begriff fallen Freelancer, Unternehmer und vereinzelt Angestellte, die überwiegend ortsungebunden am Computer tätig sind. Ihr Arbeitsplatz ist dort, wo Internetzugriff besteht. Ursprünglich stammt der Begriff aus der jungen Technologiewelt, mittlerweile umfasst er alle Altersgruppen und Berufssparten: Von Grafik-Design, Beratung, Fotografie bis hin zu klassischen Import/Export-Geschäften. Erstmals hat der Medien- und Kommunikationsforscher Marshall McLuhan in den 1960und 1970er-Jahren das Bild der neuen Nomaden gezeichnet; in den 1990er-Jahren haben Tsugio Makimoto und David Manners als Erste ein Buch über die "digital nomads" geschrieben. Sie promoten das, was Zeitler für sich herausgefunden hat: "Es ist nicht wichtig, ob ich heute oder morgen arbeite. Um produktiv tätig zu sein, brauche ich nur ein schnelles Internet, einen großen Tisch und Ruhe - das ist die Freiheit, die ich suche."

Ortsungebundenheit und freie Zeiteinteilung sind nicht nur für Zeitler verführerisch. "Jeder zweite Mitarbeiter würde die nächste Gehaltserhöhung gegen die Einführung eines mobil-flexiblen Arbeitens tauschen", weiß Michael Bartz von der IMC Fachhochschule Krems. 51 Prozent wären zufriedener, wenn sie ihre Zeit zumindest am Tagesrand freier einteilen könnten, so die Ergebnisse der alljährlichen Studie zu "Arbeitsweisen im Wandel", die die Fachhochschule gemeinsam mit dem Next Generation Enterprise Institut, dem Report und HMP Beratungs GmbH durchführt. "In Großbritannien bieten rund 50 Prozent der Unternehmen eine Art des flexiblen, ortsunabhängigen Arbeitens an", so der Professor, "in Österreich sind es nur 15 Prozent. Da sieht man das Potenzial." Letzteres belegen auch die Zahlen, die Pieter Levels vom Nomadenhandbuch "nomadlist.com" im Sommer 2015 in Berlin präsentiert hat: Anfang der Nullerjahre haben in den USA nur 15 Prozent der Berufstätigen freiberuflich gearbeitet, heute sind es 30 Prozent. Seinen Schätzungen zufolge werden es in zwanzig Jahren über 50 Prozent im Westen sein. 2035 könnte jeder Dritte Freiberufler der Welt ein digitaler Nomade sein. Geht es nach Levels und anderen Gurus der Digitalen-Nomaden-Szene sind das eine Milliarde Menschen, die von einem exotischen (und kostengünstigen) Paradies wie dem thailändischen Ko Samui oder Ubud auf Bali ins Nächste ziehen und ihre Träume verwirklichen.

Wenig romantischer Alltag

"Natürlich gibt es Fotos, wo ich mit dem Laptop am Strand sitze", bestätigt Matthias Zeitler, räumt aber ein: "Doch da kannst du kaum etwas auf dem Bildschirm sehen, und das Internet ist auch nur so lala." Tatsächlich hat der Alltag eines Digitalen Nomaden wenig mit der romantischen Vorstellung vom lebenslangen Touristen mit 4-Stunden-Arbeitswoche zu tun oder gleicht gar den schönen Bildern auf Facebook und Instagram. Schließlich müssen und wollen die meisten Geld verdienen. Dauerreisende, die in Hippie-Manier von der Hand in den Mund leben, sind nur ein Modell von vielen. Noch dazu eines, das in der Minderheit ist. Ob man im "Home Office" auf der Küchenbank bloggt oder in Singapur im Co-Working-Space programmiert, ob man in der eigenen Stadt in Kaffeehäusern arbeitet oder zwischen Bangkok, Berlin und Buenos Aires pendelt - welches Modell gewählt wird, bleibt jedem selbst überlassen und kann sich je nach Lebenslage ändern. Dann etwa, wenn die Kinder aus dem Haus sind und Home Office nicht mehr notwendig ist. Oder wenn man des ewigen Ortswechsels müde wird. "Ich kenne viele, die zwei oder drei Jahre herumreisen und sich dann niederlassen", erzählt Zeitler, "wenn man zum zwanzigsten Mal am Strand in Thailand ist, ist der nicht mehr so aufregend. Irgendwann hat man alles gesehen. "

In einer Zwischenphase befindet sich auch der psychologische Psychotherapeut Alexander Klose. Neben seiner Praxis ist er als Supervisor in Schleswig-Holstein unterwegs und bietet Online-Coaching an. "Mir ist es wichtig, als Segler auch vom Boot aus arbeiten zu können", berichtet der Familienvater. Darum hat er sich dem "Citizen Circle" angeschlossen, einer Online-Community für Digitale Nomaden, und dabei festgestellt, dass die Zielgruppe besonderen Herausforderungen gegenüber steht: Die Ortsunabhängigkeit kann Katalysator dafür sein, dass Persönlichkeitskonflikte schneller an die Oberfläche treten. "Gerade, wenn ich allein in einer fremden Kultur bin, bin ich immer mit mir selbst konfrontiert", meint Klose, "wer bin ich, warum bin ich allein -das sind Fragen, die ich mir nicht ständig beantworten muss, wenn ich mich nach einem nine-to-five-Job abends zuhause aufs Sofa fallen lasse." In solchen Krisenzeiten braucht der Mensch Halt und Sicherheit. Und genau das ist die Herausforderung: "Ortsunabhängiges Arbeiten ist mit vielen Freiheiten verbunden. Gleichzeitig gehen Halt und Struktur verloren", so der Experte, der mittlerweile Digitale Nomaden coacht, "es kommt zu einer Überforderung. Sich selbst aber Struktur zu schaffen, das erfordert eine persönliche Stabilität." Deshalb plädiert der Psychologe dafür, von Anfang an gewisse Routinen und Rituale einzuhalten, sich Auszeiten und Schlaf zu gönnen, sich gut zu ernähren und zu bewegen. Als Faustregel gilt: Je exotischer oder fremder der Ort, desto mehr Struktur und Halt muss man sich schaffen. "Es ist nicht sinnvoll, alle Anker gleichzeitig zu lösen", sagt der Segler, "ich brauche Anker, die mich im Vakuum halten, damit es nicht zu anstrengend wird und es zu Erschöpfungszuständen kommt." Das muss kein Ort sein, das können auch Partnerschaften und drei bis fünf verbindliche, langjährige Freundschaften sein: "Ich brauche Menschen mit gemeinsamer Geschichte für meine Identität."

Home Office: Paradies oder Einzelhaft?

Was für die persönliche Ebene gilt, das macht sich auch beruflich bemerkbar: "Alle Studien zeigen: Menschen brauchen sozialen Kontakt und Interaktion im Job", so Michael Bartz von der IMC Fachhochschule Krems, "Untersuchungen belegen, wenn man konsequent im Home Office arbeitet, wird es nach drei Wochen wie Einzelhaft empfunden." Das scheinen auch die Digitalen Nomaden erkannt zu haben: Seit einiger Zeit schießen Co-Working-Spaces wie Schwammerl aus dem Boden, und immer häufiger finden sich Menschen unterwegs zusammen, um auf Booten, in Häusern oder umgebauten Wohnwägen gemeinsam zu leben und zu arbeiten.

Auch Matthias Zeitler hat ein "Coworking Camp" mit-gegründet und verbringt mehrmals im Jahr sechs Wochen mit anderen Ortsunabhängigen. Dass dabei Kooperationen und Freundschaften entstehen, ist gewollt: "Im letzten Camp hat ein kanadischer Teilnehmer zwei andere motiviert, eine Firma zu gründen", berichtet er, "weitere Camp-Mitglieder haben sich gemeinsam ein Haus auf Bali gemietet." An Letzterem arbeitet auch Zeitler zurzeit: Im bulgarischen Wintersport-Ort Bansko soll eine Base für Digitale Nomaden entstehen. Dann möchte er seinen Wohnort von Salzburg nach Bansko verlegen. Ob der Münchner dort länger und öfter ist, als in der bisherigen Wahlheimat, kann er nicht versprechen. Muss er ja auch nicht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung