Zwischen Quote und Bevormundung

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Bei vielen Tagungen über Migration sitzen Betroffene eher in den Zuschauerbänken als auf dem Podium. Eine Analyse über mögliche Ursachen.

Tagungen und runde Tische zum Thema Migration haben nicht nur in Österreich Hochkonjunktur: in Foren und auf hochkarätigen Podien diskutieren Fachleute das ambivalente Feld von Integration und Migration. Zumeist ist die Rede über Migranten, seltener kommen Menschen mit Migrationshintergrund selbst zu Wort.

"Auch in Deutschland sind auf den spezifischen Tagungen Migranten bei weitem noch nicht ihrem Anteil gemäß repräsentiert. Aber es wird meiner Erfahrung nach stärker als in Österreich darauf geachtet, dass sie repräsentiert sind", zieht die Expertin Ursula Boos-Nünning, Institut für Migrationsforschung, interkulturelle Pädagogik und Zweitsprachendidaktik der Universität Duisburg-Essen, Bilanz.

Bildung als Schlüssel

Sie hat im Rahmen einer Migrations-Tagung, die kürzlich in St. Virgil in Salzburg stattgefunden hat, klare Worte für den Ist-Zustand, die Misere im Bildungsbereich, gewählt: "Wir lassen die Migrationsfamilien allein, um dann festzustellen, es sind problematische Gruppen." Es werde zu wenig nach dem "Warum" des schlechten Abschneidens der Kinder aus Zuwandererfamilien im Vergleich zu Gleichaltrigen aus eingesessenen Familien gefragt, denn "die Ursachen liegen im Schulsystem. Weder das deutsche noch das österreichische Schulsystem kompensieren Unterschiede, bedingt durch soziale Herkunft und Migrationshintergrund. Türkischen Schüler geht es beispielsweise, das belegen Studien, in Dänemark in Bezug auf ihre Leistungen besser als in Deutschland und Österreich", erklärt die Pädagogin.

"Trotz aller Mängel des Schul- und Bildungssystems steigt die Zahl der Akademiker mit Migrationshintergrund, sie nehmen Positionen ein, in denen sie sich automatisch zu Wort melden können. Noch ist es weder in Deutschland noch in Österreich eine Selbstverständlichkeit, dass Migranten auf, Augenhöhe' gehört und gesehen werden," sagt Boos-Nünning. Menschen, die an Diskussionsrunden teilnehmen, um ihr persönliches Schicksal zu erzählen, verändern, so die Expertin, den Verlauf dieser Diskussionen. So habe etwa eine Frau aus einem muslimischen Frauen- und Mädchenzentrum einmal bei einer politischen Gesprächsrunde durch ihr Einzelschicksal verdeutlicht, was kopftuchtragende Frauen und Mädchen in Deutschland ertragen müssen. "Das war dann mehr als das Schicksal einer Einzelnen", betont die Pädagogin. Außerdem gebe es genügend Menschen mit Migrationshintergrund, die eloquent berichten können und auch hier gelte es wieder, zu hinterfragen, ob die Gleichung "gebrochenes Deutsch ist gleich uninteressante Aussage" nicht diskriminierend und unrichtig ist. Es sei von Bedeutung, wo und wie persönliche Sichtweisen, biografische Notizen von Betroffenen platziert sind, "an der falschen Stelle diskreditieren sie ja auch. Menschen mit Migrationshintergrund können ja nicht nur mit ihrer Geschichte punkten, sie arbeiten professionell, haben wissenschaftliche Argumente, sind eloquent."

Yasmina Be´ciragi´c hat auf der genannten Tagung in St. Virgil den Generalsekretär des Roten Kreuzes vertreten. Die 1971 in Wien geborene Akademikerin - "ich habe nach der Matura fast durchwegs gearbeitet und bin sehr spät mit meinem Studium fertig geworden" - freut sich über diese positive Diskriminierung seitens des Roten Kreuzes: "Die Runde in St. Virgil war hochkarätig, das Rote Kreuz hat entschieden, mir, einer Mitarbeiterin mit Migrationshintergrund, eine Plattform zu bieten. Das ist ein wichtiges öffentliches Zeichen und steht für Authentizität im Umgang mit dem Thema."

"Positive Diskriminierung"

Be´ciragi´c hat nach ihrer Geburt sechs Jahre in Wien gelebt, anschließend die ersten drei Volksschulklassen in Bosnien besucht: "Als ich mit zehn Jahren nach Wien zurückkam, ist mir bewusst geworden, dass ich einige Sprachprobleme hatte. Meine Eltern sind sehr stolz auf mich, darauf, dass ich studiert und eine verantwortungsvolle Arbeit habe; dieser "Stolzfaktor" macht mir aber noch Schwierigkeiten."

Be´ciragi´c, Dolmetscherin und Expertin aus dem Innenministerium, sieht Menschen mit Migrationshintergrund sehr wohl auf der lokalen bzw. regionalen Ebene gut repräsentiert, auf nationaler Ebene sei die Präsenz geringer. Yasmina Be´ciragi´c bemerkt den Trend, dass junge Akademiker aus Migrantenfamilien einfach ihren beruflichen Weg gehen und mit dem Thema "Migration" nichts zu tun haben wollen. "Sie wollen ein so genanntes normales Leben führen, bei einer Bank, einer Versicherung arbeiten. Sie möchten keine Galionsfigur, keine Quotenmigranten abgeben, sie haben einerseits genug von der Bevormundung seitens der Aufnahmegesellschaft und andererseits kein Interesse mehr am Thematisieren der Unterschiede."

Vorträge der Tagung: www.virgil.at

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