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12. Juni — Lostag fiir Osterreich und Europa

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Die zahlenmäßig größte Berufsgruppe, die am Sonntag über den EU-Beitritt entscheidet, ist jene der Pensionisten.

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Die zahlenmäßig größte Berufsgruppe, die am Sonntag über den EU-Beitritt entscheidet, ist jene der Pensionisten.

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Wenn am kommenden Sonntag die Österreicherinnen und Oster-reicher dazu aufgerufen sind, über den Beitritt Österreichs zur EU zu entscheiden, ist die ältere Generation wesentlich mehr als nur das „Zünglein an der Waage” (- wie dies unlängst im „profil” formuliert wurde). Knapp ein Viertel aller Abstimmungsberechtigten sind Rentner oder Pensionisten; die nächstgrößere Berufsgruppe sind die Arbeiter mit rund 22 Prozent.

Gerade unter der älteren Generation ortet die Meinungsforschung allerdings mit rund 35 Prozent einen besonders hohen Anteil an noch immer unentschlossenen Wählern (je nach _

Umfrage schwankt der Gesamtanteil der Unentschlossenen zwischen knapp unter 30 bis zu 37 Prozent).

Auch Kardinal Franz König bestätigte gegenüber der FURCHE „aus eigener Erfahrung”, daß gerade Angehörige der älteren Generation mit der Flut an Für und Wider sowie durch überzogene Argumente in der laufenden Debatte überfordert wären.

Auch Alt-Bundespräsident Kurt Waldheim ortet unter der älteren Generation „gewisse Ängste” (ausführliche

Interviews mit Kardinal Franz König und Alt-Bundespräsident Kurt Waldheim auf den Seiten 11 und 13).

„Diese Angst der älteren Menschen, daß bei einem Beitritt zur Europäischen Union nun alles auf dem Spiel steht, was nach dem Krieg geschaffen wurde, ist in keiner Weise berechtigt,” meint Waldheim im FlJRCHE-Gespräch: „Im Gegenteil - als Angehöriger jener Generation, die am Aufbau entscheidend mitgewirkt hat, sollte man doch daran interessiert sein, ausreichend sicherzustellen, daß das, was diese Generation geschaffen hat, auch erhalten bleibt.”

Und dies sei als EU-Mitglied eher gewährleistet als bei einer Nicht-Mitgliedschaft, meint der Alt-Bundespräsident: „Ich glaube nicht, daß wir in der Isolation, den Wohlstand und die Errungenschaften erhalten können, die wir in den letzten Jahrzehnten geschaffen haben. Ich wüßte nicht, warum wir das, was wir geschaffen haben, verlieren sollten, wenn wir Mitglied einer größeren Gemeinschaft werden. Im wesentlichen bleibt ja die Selbständigkeit des Landes erhalten.”

Zwar würden gewisse Sou-veränitätssrechte aufgegeben werden - das sei aber bei jeder multilateralen Gemeinschaft so. Waldheim: „Wo man Rechte erwirbt, hat man auch Pflichten, wo man Vorteile erwirbt - und das ist bei einem EU-Beitritt zweifellos der Fall - hat man natürlich auch in gewissen Bereichen Nachteile. Aber insgesamt überwiegen die Vorteile.”

Am 19. Juli wird sich das an diesem Donnerstag (Großbritannien, Irland, Dänemark und Niederlande) und kommenden Sonntag (restliche acht EU-Mitglieder) zum vierten Mal direkt gewählte Europäische Parlament in Straß bürg konstituieren und sogleich mit einer heiklen Angelegenheit betraut sein. Erstmals darf das Parlament (siehe auch Seite 10) den neuen Kommissionspräsidenten, Nachfolger des Franzosen Jacques Delors, bestätigen oder ablehnen.

Um die Delors Nachfolge ist seit dem Treffen des deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl mit Frankreichs

Staatschef Francis _

Mitterrand vergangene Woche im elsässischen Mülhausen ein heftiger Streit entbrannt. Es ist ein offenes Geheimnis, daß sich Kohl und Mitterrand auf den zur Zeit innenpolitisch erfolglosen belgischen Premier Jean-Luc Dehaene geeinigt haben sollen. Kohl hat es sich damit zwar mit den Niederländern verscherzt, die ihren Premier Ruud Lubbers gerne auf dem Kommissionspräsidentenstuhl gesehen hätten, er hat aber damit die Achse Paris-Bonn in der EU gefestigt, zumal

Deutschland im Juli Griechenland an der Spitze des Europäischen Rates ablöst und Frankreich in diesem Gremium Deutschland beerben wird. Paris und Bonn geht es um eine Kontinuität der Europa-Politik - vor allem im Hinblick auf die für 1996 angepeilte Institutionenreform. Die kleineren EU-Länder beklagen jedoch heftig die deutsch-französische Dominanz.

Bleibt die Frage, ob diese Auseinandersetzung Auswirkungen auf die Wahl zum Europäischen Parlament haben wird (es sind rund 300 Millionen Bürger wahlberechtigt, erstmals können auch die etwa fünf Millionen Europäer, die in einem anderen EU-Land leben, dort an die Urne schreiten). In Belgien könnte Dehaenes flämische Christliche Volkspartei (CVP) eine empfindliche Stimmeneinbuße erleiden. Die Holländer wollen nicht mehr nach der deutsch-französischen Pfeife tanzen, und Großbritanniens Premier John Major, ein Foto Reuter Lubbers-Befürwor-ter, hat erst jüngst wieder anti-europäische Töne von sich gegeben.

Bleibt abzuwarten, wie sich das neue EU-Parlament mit seinen künftig 567 Abgeordneten (bisher 518, Österreich wird, falls das Referendum am Sonntag EU-positiv ausgeht, ab 1995 mit 20 Mandataren in Straßburg vertreten sein) in der Frage des Kommissionspräsidenten entscheidet. Beim EU-Gipfel auf Kor-fu müssen jedenfalls die Staats- und Begierungschefs ihre Entscheidung fällen.

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