7113021-1996_05_01.jpg
Digital In Arbeit

1996 - ein Jahr der Angst?

19451960198020002020

1996 wird ein Jahr der Angst, so die Unkenrufer. Wovor müssen wir uns fürchten?

19451960198020002020

1996 wird ein Jahr der Angst, so die Unkenrufer. Wovor müssen wir uns fürchten?

Werbung
Werbung
Werbung

Angst ist Einengung des Bewußtseins. Jeder kennt zumindest annähernd den Zustand, gelähmt vor Angst zu sein. Angst kann aber auch eine Triebfeder sein, ungewöhnliche Leistungen zu vollbringen, um ihr zu entkommen. Angst spielt in der Politik eine zentrale Rolle. Im Umgang mit ihr werden Wahlen gewonnen oder verloren, Weltreiche geschaffen und Mächtige entmachtet. Gerade haben wir einen Wahlkampf hinter uns, der stark von Angstparolen geprägt war: Angst vor Schwarz-Blau, Angst um die Renten, Angst um den Wirtschaftsstandort Osterreich, Angst vor Veränderung, Angst vor einem noch höheren Budgetdefizit, Angst vor Überfremdung, Angst vor einer „Verschlechterung". Zugleich mit den Angstparolen werden immer Therapievorschläge der Parteien mitgeliefert, allerdings meist unspezifisch aufbereitet, im klugen Hinweis endend, die jeweilige Partei werde der Angst durch entschlossenes Handeln beikommen. Nach der Wahl werden die Angstparolen von den Parteien etwas zurückgenommen, nun gilt es zu kooperieren, da stört die Angstparole.

Dieser funktionelle Umgang der Parteien mit jenen Ängsten, die sie vorher den Bürgern zu suggerieren versuchen, ist sicherlich einer der Gründe für das Mißtrauen, das Bürger den Parteien entgegenbringen. Öffentliche Angstparolen bieten selten wirklich Anlaß zur Realangst.

Sehen wir uns einige dieser öffentlich geschürten Ängste an: Angst vor Überfremdung beispielsweise bezieht sich immer auf jene Personen, die aus ärmeren Ländern bei uns einreisen wollen. Niemand regt sich beispielsweise über Nordamerikaner, Schweden und Franzosen auf. Es geht also in Wahrheit um die Phantasie, der Arme könnte mir etwas wegnehmen. Faktum ist, daß die Gastarbeiter aber mehr zum Bruttoinlandsprodukt beitragen, als sie daraus erhalten. Bleibt also nur mehr die Frage der Anzahl der Neuzugänge und die läßt sich jenseits von Angstparolen vernünftig lösen. Wozu also wird eine Äusländerangst geschürt?

Der Rentenklau: Österreich zählt zu den reichsten Ländern der Erde (spürbar erst, wenn man ins Ausland fährt, insbesondere in die zweite und dritte Welt). Die Angst vor wirtschaftlichen Schwierigkeiten ist daher ziemlich irreal. Das Problem liegt eigentlich nur in der Gewichtung privaten und staatlichen Vermögens: Kleine Umschichtungen, die niemanden ruinieren, würden hier alle Probleme lösen und keiner brauchte sich um seine Pension zu ängstigen. Ähnlich verhält es sich mit der fixen Idee von den zu hohen Lohnkosten, die uns in den wirtschaftlichen Ruin treiben. Auch hier wieder die Angstmacherei, die im Kern nur dazu dient, bei den Tarifverhandlungen entsprechend eingesetzt zu werden nach dem Motto „Lerne klagen ohne zu leiden".

Die wirklichen Gefährdungen werden ebenso gezielt im öffentlichen Bereich heruntergespielt und publizistisch verharmlost, daß es beinahe schon abgedroschen klingt, wenn man diese Gefahren aufzählt. In Österreich werden beispielsweise jedes Jahr zirka 1.300 Menschen durch zu schnelle Killerautos getötet. Das heißt, jedes Jahr wird ein österreichisches Dorf komplett ausgerottet. Wären diese Toten Folgen einer politischen Auseinandersetzung, würde man von Österreich als Bürgerkriegsland sprechen. Hier wäre Angst angesagt und daraus resultierende Konsequenzen wie etwa Autos, die nicht schneller fahren als 90 Stundenkilometer. Für das Ego entsprechend Bedürftiger könnte man ja die Innenräume der Autos noch eleganter, prestigeträchtiger ausgestalten. Außerdem - wäre ein autofreies Wien oder Linz nicht wunderbar, wo unsere Kinder wieder auf den Straßen spielen könnten, angstfrei?

Die Verpestung (kommt von Pest!) der Luft schreitet munter voran. Jede Woche wische ich eine dichte Staubschicht von meinem Fahrradsattel, zugleich wische ich auch Dioxinpartikel und anderes giftiges Zeug damit herunter, aber nicht weg. An das Sommerozon haben wir uns schon beinahe gewöhnt. Leuchtdioden in der Wiener Innenstadt zeigen den Vergiftungsgrad genau an, man kümmert sich also darum! Würden wir diese Ängste ernstnehmen, ergäben sich rasch neue Lebensformen und neue Lebensentwürfe. Ein Leben mit neuen Fortbewegungsmitteln würde neben der positiven Umweltbilanz vielleicht auch ein anderes Verhältnis zur Natur hervorbringen, von der wir abhängig sind.

Es ist eine schwer zu bändigende Angst, wenn wir bemerken, daß wir nicht nur nicht Herr im eigenen Hause unserer Seele sind, sondern auch nicht

Herrscher über die sogenannte Natur. Diese Natur schickt uns das Alter und den Tod. In einer Zeit des Glaubensverlustes verschwindet auch die Vorstellung eines persönlichen Weiterlebens nach dem Tode (ach war es doch schön!) immer mehr. Was bleibt, ist ein Hedonismus nach dem Motto: nach mir die Sintflut. Diese Jagd nach dem Glück, und wenn sich dieses nicht einstellt, wenigstens nach dem Erlebnis, ist wohl zu deuten als ein Versuch, die existentielle Angst zu verdrängen, solange es noch geht.

Angst ist eine Kraft, sie gibt uns wertvolle Information über einen Zustand, den es zu verändern gilt. Nicht immer aber ist damit Aktivismus gemeint, manchmal liegt die Kunst, mit der Angst umzugehen, darin, sie auszuhalten, zu ertragen. Lösungen sind nicht immer machbar, wie manche Politiker uns immer wieder vorgaukeln wollen, Lösungen bedürfen der Zeit und des Dialogs. Die Sprache hilft uns, Angst zu bewältigen durch ihr symbolhaftes Probehandeln. Angst läßt sich am besten in Lösung verwandeln, wenn wir Vertrauen entwickeln in uns selbst. 1996 unterscheidet sich daher von 1995 dadurch, daß alte Ängste sich mit neuen Ängsten tummeln werden, daß aber jene, die sich den Ängsten stellen, auch heuer vermutlich reüssieren werden, zumindest vor sich selbst.

Der Auter

ist Psychotherapeut in Wien.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung