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Adenauer V—und was weiter?

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Als etwas verfrühte Weihnachtsüberraschung präsentierte sich in der vergangenen Woche das fünfte Kabinett Adenauer. Wer die Regierungskrise als solche für eine Gefahr für die innere Stabilität der Bundesrepublik hielt, wird dieses Kabinett begrüßen; wer aber nach einem Jahr schleichender Krise endlich stabile Regierungsverhältnisse erwartete, sieht sich enttäuscht. War das vierte Kabinett Adenauer von personellen Krisen erschüttert, so enthält dieses Kabinett so viele sachliche Gegensätze, daß man ihm kaum eine längere Amtszeit als ein Jahr einräumen kann. Zu diesem Zeitpunkt will Konrad Adenauer sein Amt zur Verfügung stellen, und es erscheint schon heute als sicher, daß dann auch das Kabinett verändert werden wird, das auch insofern ein Kabinett Adenauer ist, als es die einzige Lösung darstellt, die der alternde, zäh sein Amt wahrende Kanzler noch im Stande war, zu bilden. Grollende CSU

Zu den personellen Gegensätzen des alten Kabinetts, die durch das Ausscheiden von Bundesverteidigungsminister Strauß weitgehend ausgeräumt jind, kommen diesmal sachliche, die darin angelegt sind, daß nicht nur die FDP, sondern auch die CSU, die bayerische Schwesterpartei der CDU, als eigener, höchst unzufriedener Partner aufzutreten gewillt ist. Sie ist der eigentliche Verlierer dieser Kabinettsumbildung. Sie hat zwar rein zahlenmäßig ihren Anteil von drei Ministern bewahren können, verlor aber mit dem Verteidigungsministerium, das an den schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Kai Uwe von Hassel ging, ihre bisherige Domäne. Innenminister Hö-cherl mußte überdies seine Wissenschaftsabteilung abgeben, so daß sein Ministerium nur noch ein Schatten seiner ursprünglichen Bedeutung ist. Wie wenig die CSU und insbesondere Strauß bereit sind, diese Niederlage hinzunehmen, zeigt das Vorgehen gegen den CSU-Bundestagsabgeordneten Karl Theodor Freiherrn von Gutten-berg. Guttenberg, der im Auftrag Adenauers Verhandlungen um eine große Koalition mit der SPD führte, sieht sich einem Ausschließungsantrag eines Parteivorsitzenden gegenüber, der sich bisher nicht geneigt zeigte, das Verfahren vor dem Parteischiedsgericht einzustellen, obwohl sich Adenauer in mehreren Erklärungen vor Guttenberg stellte. Dieses Vorgehen muß als ein Versuch von Strauß gewertet werden, die widerstrebende CSU-Bundestagsfraktion hinter sich zu zwingen. Die schlechte Behandlung des nicht mehr in das Kabinett aufgenommenen CSU-Ministers Balke durch den Kanzler — er erfuhr sein Ausscheiden durch den Portier seines Ministeriums — die Verärgerung bei Höcherl und die vieler anderer CSU-Politiker über Adenauers Vorgehen geben Strauß einige Chancen, seine Fraktion, die bisher in Gemeinschaft mit der CDU vorging, gegen Adenauer zu einen und als eigene politische Potenz einzusetzen. Da Guttenberg als Anhänger Adenauers gilt, zeigt das Vorgehen gegen ihn, daß Strauß diesen Weg auch gehen will. Wieweit ihm das gelingen wird, hängt freilich davon ab, in welchem Maße er sich in der CSU-Fraktion durchzusetzen vermag. Eine seltsame Ehe

Das Verhältnis der CDU zur FDP hat sich entscheidend durch den im Auftrag Adenauers von Bundeswohnungsminister Lücke und Guttenberg unternommenen Versuch verschlechtert, mit der SPD unter der Bedingung eine große Koalition einzugehen, daß diese der Einführung des Mehrheitswahlrechts zustimmt, was praktisch das Ende der FDP bedeutet hätte. Die jetzige Koalition CDU/FDP gleicht daher einer Ehe, in der der Ehemann nach dem vergeblichen Versuch, seiner Frau das Lebenslicht auszublasen, so tut, als wäre nichts geschehen. Die Tatsache, daß die SPD, mit Ausnahme des Abgeordneten Wehner, diese Forderung zurückwies, hat, wie der FDP-Vorsitzende Erich Mende in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ klar zum Ausdruck brachte, diese beiden Parteien einander genähert. Damit steht das neue Kabinett unter der Drohung des konstruktiven Mißtrauens, wobei Mende bereits als möglichen gemeinsamen Kanzlerkandidaten den SPD-Abgeordneten Friu Erler nannte. Adenauer sieht sich also in seinem neuen Kabinett zwei ungebärdigen Partnern gegenüber, die freilich, was seine Lage erleichtern kann, heftig miteinander verfeindet sind.

Zwiespalt um den „Großen Alten Mann“

Betrachtet man die Zusammensetzung des neuen Kabinetts, so fällt das verstärkte Engagement der CDU auf, die mit dem Verteidigungsministerium eine weitere Schlüsselposition besetzt hält. Ob das einen Machtzuwachs für die CDU bedeutet, ist allerdings fraglich, da sie ja von den beiden Koalitionspartnern abhängig ist, die sie sich beide in diesen Koalitionsverhandlungen zu Feinden gemacht hat. Das heißt praktisch, daß die CDU mehr noch als bisher für alles verantwortlich ist, ohne doch den Kurs des Kabinetts allein bestimmen zu können. Damit hat sie sich von Adenauer in eine überaus gefährliche Lage manövrieren lassen,, in der alle Fehler des alternden Kanzlers auf ihre Kosten gehen. Daran ändert es auch nichts, daß Adenauer bei der Zusammensetzung seines Kabinetts sichtlich auf unbedingte Anhänger aus dem zweiten Glied zurückgreifen mußte.

Es hat sich in der CDU eine Fronde der Abwartenden gebildet. Es wird sich aber zeigen müssen, ob es ihr, nachdem sie die Chancen dieser Kabinettsumbildung aus der Hand gegeben hat, noch gelingen wird, den zu erwartenden Prestigeverlust Adenauers von der Partei fernzuhalten. Dabei wird man freilich berücksichtigen müssen, daß sich die CDU in einer Zwangslage befindet. Der eigentümliche Fall, daß zwar die Minister, nicht aber der Kanzler zurückgetreten war, brachte es mit sich, daß Adenauer gegen seinen Willen nur über ein konstruktives Mißtrauen hätte gestürzt werden können, das die CDU nicht ohne Prestigeverlust gegen ihren großen alten Mann hätte einbringen können.

Strauß' Nachfolger

Die eigentliche Überraschung der Kabinettsumbildung war die' Ernennung Kai Uwe von Hassels zum Bundesverteidigungsminister. Hassels Ambitionen, in Bonn eine Rolle zu spielen, sind seit langem bekannt. Überraschend kam, daß er sich zu diesem Zeitpunkt zur Übernahme eines Ministeriums entschloß. Hassel gilt als unbedingter Anhänger Adenauers. Es wird ihm auch der Ehrgeiz auf die Nachfolge Adenauers nicht ohne Grund nachgesagt. Wenn auch seine betont nach außen zur Schau getragene Korrektheit unbestritten ist, so hat er sich doch nie von dem Zwielicht ganz freimachen können, in das das von ihm regierte Land Schleswig-Holstein durch die Fälle des jährelang in Flensburg unter falschem Namen amtierenden Euthanasieprofessors Heyde, alias Sa-wade, und des ehemaligen BHE-Abge-ordneten Reinefarth geriet, der für grauenhafte Vorgänge bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes verantwortlich gemacht wird, ohne daß er bisher von den zuständigen Gerichten deshalb zur Verantwortung gezogen worden wäre. Diese auffallende Toleranz ehemaligen nationalsozialistischen Kriegsverbrechern gegenüber, von denen dies die auffallendsten einer ganzen Reihe von Fällen waren, belasten Hassel, auch wenn man gerech-

Wehners Fehler

Das Kabinett wird mit seinen Gegensätzen in den eigenen Reihen stärker als bisher vom Bundestag abhängen, der schon allein dadurch an Farbe gewinnen wird, daß Franz Joseph Strauß von hier aus versuchen wird, sich eine neue Position aufzubauen. Die SPD, der in diesen Wochen der entscheidende Durchbruch zu dem von den beiden anderen Parteien ernsthaft in Erwägung gezogenen Koalitionspartner gelungen ist, wird dabei eine wesentliche Rolle spielen. Sie hat in der „Spiegel“-Krise bisher die beste Figur gemacht, was allerdings bei ihrer Rolle als Opposition nicht weiter schwer war.

Um so unverzeihlicher war der Fehler ihres Vorstandsmitgliedes Herbert Wehner, sich in Koalitionsverhandlunterweise zugeben muß, daß er daran sicher nicht aktiv beteiligt war. Hassel gilt als scharfer Gegner der SPD. Er ist auch durch seine unglückliche Neigung bekannt, leicht in den Zungenschlag deutschnationaler Sonntagsreden zu verfallen.

Man sieht ihn daher nicht ohne Unbehagen ein Amt einnehmen, bei dem er die ohnehin schon bestehenden Tendenzen verstärken kann, die Bundeswehr nach der Tradition der ehemaligen Deutschen Wehnnacht auszurichten. Von den anderen neuen Ministern der CDU/CSU ist eigentlich nur Rainer Barzel durch seine unglückliche Aktion „Rettet die Freiheit“ bekannt geworden. Die FDP hat ihren kantigen Finanzminister Starke durch den konzilianten Rolf Dahlgrün und den Justiz-minister Starke durch Ewald Bucher ersetzt, gegen den innerhalb der CDU starke Bedenken bestanden.

So präsentiert sich nach aufregenden Wochen ein Kabinett, das zwar stärker als seine Vorgänger ein Kabinett Adenauer ist, das aber gerade deswegen ganz im Zeichen des schwindenden Ansehens des Bundeskanzlers steht. Mit ihm wird Deutschland in das Jahr 1963 gehen, und es reizt an der Jahresschwelle, die in diesem Kabinett steckenden Möglichkeiten zu analysieren. gen mit der .CDU einzulassen, bei denen das Mehrheitswahlrecht die Bedingung für den Eintritt der SPD in die Regierung war. Wehner fiel damit, entgegen den Beteuerungen des SPD-Vorstandes, der FDP bei ihren Koalitionsverhandlungen mit der CDU in den Rücken, und nur der Umstand, daß die SPD-Fraktion diese Abmachung mißbilligte, rettete ihr Ansehen. Wehner, der bei vielen schon vorher in dem Verdacht stand, die Schwenkung der SPD nicht aus grundsätzlichen, sondern aus taktischen Erwägungen eingeleitet zu haben, bewahrheitete diesen Vorwurf auf eine wenig eindrucksvolle Art. Er gehört offenbar zu den Leuten, die es bereits für ein erstrebenswertes Ziel halten, wenn die SPD, unter welchen Bedingungen auch immer, an der Regierung beteiligt wird. Wie die Niederlage Wehners, der als Motor des neuen Kurses gilt, sich innerhalb der SPD und auf ihren künftigen Kurs auswirken wird, bleibt abzuwarten.

„Große Koalition“ bleibt im Gespräch

Die Verhandlungen haben aber die SPD bei CDU und FDP ins Gespräch gebracht und stellen damit einen wichtigen Wendepunkt in der deutschen Nachkriegsgeschichte dar. Mit Erstaunen beobachtet man seither in der CDU eine zunehmende Tendenz zur großen Koalition. Bei der CDU wird der Wunsch nach einer großen Koalition in dem Maß wachsen, in dem CSU und FDP sich als unbequeme Partner erweisen. Dazu kommt, daß in der „Spiegel“-Affäre noch immer genügend Zündstoff vorhanden ist, um die CDU einer Verständigung mit der SPD geneigter zu machen, deren Opposition hier nicht ungefährlich ist. Im selben Maß wird sich aber auch die FDP um die SPD bemühen, die sich bei einer großen Koalition, ganz gleich, ob das Mehrheitswahlrecht dabei diskutiert wird oder nicht, in die Rolle einer ohnmächtigen Opposition gedrängt sieht. Es wird daher im Jahre 1963 sehr viel auf die SPD und besonders darauf ankommen, ob es ihr gelingt, das Vertrauen neuer Wählerkreise zu gewinnen, die reines Taktieren in Deutschland noch nie honoriert haben.

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