Ägypten hat die Welt überrascht

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Der Prozess gegen Hosni Mubarak bestimmt zurzeit Ägyptens "hohe“ Politik. Die Koptin Dina Bakhoum erzählt aus dem Alltag im "Revoultionsland“ am Nil.

Zurzeit fesselt der Mubarak-Prozess Ägyptens Öffentlichkeit. Konflikte zwischen Muslimen und Christen sind aber nicht vergessen. Die Koptin Dina Bakhoum im Gespräch.

Die Furche: Dina Bakhoum, Sie verbringen als Technikerin fast Ihre gesamte Arbeitszeit auf Baustellen. Ist das nicht sehr ungewöhnlich für eine Frau in Kairo?

Dina Bakhoum: Es ist lustig, das ist immer die erste Frage von westlichen Journalisten! Es ist gar nicht ungewöhnlich, dass Frauen als Ingenieurinnen arbeiten, aber es stimmt schon, dass es eher die Ausnahme ist, dass eine Ingenieurin die meiste Zeit auf Gerüsten verbringt und auch voll verantwortlich ist für die Baustellen und ihre Arbeiter. Die meisten meiner Kolleginnen arbeiten in Büros.

Die Furche: Gehören Sie zur ersten Frauengeneration, die sich beruflich frei entfalten kann?

Bakhoum: Nein, meine Mutter war auch Ingenieurin. Aber mir wurde von meinen Eltern völlig freigestellt, welchen Beruf ich ergreife.

Die Furche: Hat es Ihre Entwicklung beeinflusst, dass Sie eine koptische Christin sind?

Bakhoum: Entscheidend für mich war in erster Linie, wie mich meine Eltern erzogen haben, dass sie mich gelehrt haben eine eigene Meinung zu haben und unabhängig zu sein. Ob ihre Einstellung daran liegt, dass sie Kopten sind oder einfach daran, dass sie offene Menschen sind, weiß ich nicht. Prägend für meine Entwicklung war zudem die Entscheidung meiner Eltern, mich auf die "Deutsche Schule der Borromäerinnen“ zu schicken. Dort habe ich gelernt, Dinge zu hinterfragen und meiner Meinung Ausdruck zu verleihen. Außerdem musste ich fürs deutsche Abitur drei Fremdsprachen lernen. Unsere Eltern haben uns nicht dazu erzogen, unser gesamtes Leben in koptisch-christlichen Zusammenhängen zu verbringen. Wir gehen zwar in die Kirche, aber für unser soziales Leben spielten immer Muslime und Christen eine gleichwertige Rolle.

Die Furche: Haben Christen gleiche Chancen wie Muslime?

Bakhoum: Das kann ich nicht mit Ja oder Nein beantworten. Wenn wir über den Zugang zu Schulen und Universitäten im Allgemeinen reden, dann ist die Antwort Ja. Leider hängt es von der Schichtzugehörigkeit ab, welche Schule man besucht. Ein armer Muslim und ein armer Christ können sich nur öffentliche Schulen leisten, die kein hohes Niveau haben.

Aber wenn es darum geht, bestimmte öffentliche Positionen in Institutionen oder in Universitäten zu besetzen, dann haben Christen und Muslime nicht die gleichen Chancen. Es gibt Fälle, wo Christen nicht angestellt wurden. In diesem Zusammenhang fühlen sich Kopten als Bürger zweiter Klasse. Warum ist es notwenig, dass die Religionszugehörigkeit im Personalausweis steht?

Die Furche: Spitzen sich die interreligiösen Konflikte zu?

Bakhoum: Christen und Muslime lebten und leben immer noch friedlich zusammen. Jedoch ist es so, wenn es zwischen zwei Familien Streit gibt und eine Familie ist christlich und die andere muslimisch, verwandelt sich dieses Problem zwischen zwei Familien in einen interreligiösen Konflikt, wie zum Beispiel in Koschek in Oberägypten 1990 und 2000.

Die Furche: Und wie haben die Regierungen bisher darauf reagiert?

Bakhoum: Es wurden Familienzusammenkünfte einberufen, wo die Familienmitglieder zusammengebracht wurden, um am Schluss zu sagen, jetzt sind wir Freunde, aber die Wunden sind ja geblieben. Bisher gab es behördlich verordnete interreligiöse Versöhnungen, aber keine gesetzlichen Verfolgungen. Und das zeigt, dass das Problem nicht ernst genommen wurde. Es gab auch heuer einige gewaltsame Übergriffe, mit der Bombardierung der Kirche in Alexandria am 1. Jänner, der Zerstörung der Kirche in Atfih bei Kairo im März und dem Niederbrennen zweier Kirchen in Imbaba/Kairo im Mai. Ich sage nicht, dass das der Islam ist: Jeder gläubige Muslim wird versichern, dass nirgendwo im Koran dazu aufgefordert wird, Kirchen niederzubrennen. Das behaupten nur die Fanatiker und Extremisten. Die aber sind gefährlich.

Die Furche: Wird das nun besser?

Bakhoum: Die Frage ist, wie die Regierung mit solchen Verbrechen umgeht. Nur mit "Versöhnungen“ wie in der Vergangenheit? In all den genannten Fällen gab es keine ordentlichen Gerichtsverhandlungen, niemand wurde für schuldig erklärt, es kam nur zu verordneten Versöhnungen zwischen den Parteien. Das Gesetz muss verschärft werden, egal ob eine Kirche oder ein Privathaus angegriffen wird. Das Gesetz muss jeden Bürger, ob Christ oder Muslim, schützen und dafür sorgen, dass man als Bürger gleiche Rechte und Pflichten hat. Wenn das nicht der Fall ist, dann gibt es ein Problem.

Die Furche: Nun gehen die Kopten auf die Straße und demonstrieren.

Bakhoum: Es ist gut, dass sie sich jetzt für ihre Rechte einsetzen, vor zehn Jahren kamen Übergriffe und Gewalt gegen Kopten nicht einmal ans Tageslicht. Aber ich bin nicht damit einverstanden, dass sie das nur aus einem religiösen Standpunkt tun, als Kopten. Meiner Meinung nach müssten sie als Ägypter auf die Straße gehen. Denn eine Kirche niederzubrennen, ist nicht nur eine koptische Angelegenheit, sondern eine ägyptische: Denn wenn sie heute diejenigen nicht bestrafen, die eine Kirche anzünden, dann wird demnächst ein Geschäft oder eine Schule angezündet, weil irgendjemandem irgendetwas nicht passt.

Die Furche: Welche Rolle spielen die Medien in dieser Hinsicht?

Bakhoum: Das öffentlich-rechtliche Fernsehen und moderate Privatsender unterstützen die Ägypter im Bemühen um wirkliche Demokratie und Bürgerrechte. Aber es gibt neue religiöse Privatsender, die strikt christlich oder muslimisch ausgerichtet sind. Die Menschen fangen an, mehr an ihrer Religion zu hängen, sie verbringen viel Zeit mit diesen Programmen! Meiner Meinung nach sind diese Sender eine Katastrophe, denn sie tun alles, um das Bild der jeweils anderen Religion zu verdunkeln, sie sind aggressiv und daran interessiert, Gräben zu vertiefen. Es geht da nicht um die Substanz einer Religion. Sie wird für politische Zwecke missbraucht.

Die Furche: Inwiefern?

Bakhoum: Nehmen wir an, es entsteht eine Partei mit einer religiösen Ideologie und daneben eine liberale Partei, die für eine gleichberechtigte Zivilgesellschaft steht.Das Problem ist, dass das Wort liberal falsch ausgelegt wird. Die religiöse Muslim-Partei behauptet dann, dass die Liberalen gegen unsere Traditionen sind. Man denke dabei an die einfachen Leute: Wenn jemand eine Tochter hat und die religiöse Partei behauptet, dass diese Liberalen durchsetzen wollen, dass Frauen und Männer vor der Ehe zusammenleben dürfen, dann werden sich diese Leute für die ägyptische Tradition entscheiden. Wenn Religion so für politische Belange missbraucht wird, dann geht das in eine gefährliche Richtung. Wird Religion aber nicht instrumentalisiert und können die Leute zwischen politischen Konzepten wählen, dann kann es eine positive Überraschung geben. Schließlich haben die Ägypter mit der friedlichen Revolution, die übrigens noch andauert, die Welt schon einmal überrascht!

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