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Aggressoren zielten auf physische Ausrottung
Jusuf Mulic, Ex-Rektor der Universität Sarajewo, legte ein düsteres Bild von der Situation der bosnischen Intelligenz vor.
Jusuf Mulic, Ex-Rektor der Universität Sarajewo, legte ein düsteres Bild von der Situation der bosnischen Intelligenz vor.
Der Anteil der serbischen Lehrkräfte am Hochschulunterricht in Bosnien im Vergleich mit jenem der Bosniaken (Moslems) und Kroaten war vor dem Krieg unproportionell hoch. Das zeuge, so Mulic, von der privilegierten Lage der Serben auch in der Kulturpolitik des Landes. Von einer Bedrohung des Serbentums, wie die Belgrader Propaganda behauptete, konnte also keine Rede sein.
Wegen Vernichtung ihrer Lebensgrundlagen (Ausfall von Gehältern, Verlust von Wohnungen, existenzielle Unsicherheit) haben viele Intellektuelle das Land verlassen. So sind in Sarajewo von rund 1.200 Hochschullehrern nur ein Drittel daheim geblieben. Der Aggressor habe eine physische Ausrottung der bosniakischen und kroatischen Intelligenz in Bosnien-Herzegowina bezweckt.
VERNICHTETES KULTURGUT
Zerstörungen von Kulturgütern sind enorm groß. Vernichtet wurden der gesamte Bücher- und Handschriftenbestand der National- und Universitätsbibliothek, die Handschriftensammlung des Orientalischen Instituts, die Volksbibliothek in Mostar, die erst kurz vor dem Ausbruch des Krieges errichtete Österreich-Bibliothek.
Eine kleine Kontroverse zwischen dem intervenierenden Botschafter in der Türkei und dem Vortragenden gehört vermerkt: Mulic meinte, daß die Bosnier im nationalen Sinn, nämlich die Bosniaken, nicht immer gut auf die Türken zu sprechen sind. Ihre Landsleute, die in der Türkei als Kriegsflüchtlinge vorübergehend Bleibe gefunden haben, werden in der Türkei schlecht behandelt. Übri gens waren es die Türken, die die jetzigen Nöte den Bosniern als Erbe hinterlassen haben, sie haben den Großteil der Serben, die heute rebellieren nach Bosnien als eine Art „Gastarbeiter“ jener Zeit gebracht. Für ihre Vergehen zahlen Heute die Bosniaken die Zeche.
Eine Anfrage über den Fundamentalismus in Bosnien konnte in der Kürze der Zeit nicht gebührend gründlich beantwortet werden. Mulic deutete lediglich an, daß das Gerede vom Fundamentalismus in einer irrationalen Angst begründet sei. Leider konnte weder durch den Vorträg noch im Zuge der Diskussion klarer hervorgehoben werden, daß die Islamisierung in Bosnien nicht gleichbedeutend mit der Tür- kisierung ist. Kein Bosniake versteht türkisch. In Türkendiensten standen einst die Serben nicht weniger als die Moslems.
Das Volk der Bosniaken ist auf alle Fälle autochthon und für die Wahrung der bürgerlich-demokratischen Republik Bosnien am meisten sensibilisiert. Der Weiterbestand der zivilisierten Verhältnisse in jenem Teil Bosniens, der sich dem Zugriff der nationalistischen Serben (und der Kroaten in ihrem „Herceg-Bosna“) entziehen konnte, legitimierte sie, sich als Europäer im Sinne der Erwartungen der EU zu betrachten. Ich meine, der Islam der Bosniaken ist damit sehr wohl vereinbar.
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