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Agrarpolitik und „grüne Planung“

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In ganz Europa, innerhalb und außerhalb der EWG, ist die Landwirtschaft gegenwärtig in einer gewaltigen Umstellung, in einem in diesem Ausmaß nie zuvor dagewesenen Strukturwandel begriffen. Dieser Prozeß hat bereits ein geradezu revolutionäres Ausmaß erreicht. Er wurde durch die Integrationsbestrebungen zwar nicht ausgelöst, wird durch sie wohl aber noch beschleunigt. Im nationalen und übernationalen Bereich geht es dabei vor allem um die Anpassung der Agrarwirtschaft und des Bauerntums an die Erfordernisse des Industriezeitalters. Wirtschaftliche und soziologische Aufgaben größten Umfanges sind hier zu bewältigen.

Wandel der Wirtschaftsstruktur und Umschichtung der Bevölkerung

Mechanisierung und Arbeitskräftemangel, Aufnahmefähigkeit und Qualitätsanspruch des Marktes fordern und fördern Grundaufstok- kungs-, Strukturbereinigungs- und Umstellungs- maßnahmen in der Landwirtschaft; die Expansion der industriell-gewerblichen Wirtschaft holt weiterhin Menschen aus der bäuerlichen Bevölkerung und verlagert in wachsendem Ausmaß ihre Produktionsstätten in den Lebensbereich dieser Menschen. Auf diese Weise geht eine berufsständische Umschichtung vor sich, die in den Volkszählungsergebnissen eindeutig ersichtlich wird.

Ein immer kleiner werdender landwirtschaftlicher Bevölkerungsanteil hat für die Ernährung von immer mehr nichtbäuerlichen Menschen zu sorgen, einen wachsenden Konkurrenzkampf zu bewältigen und gleichzeitig um die Sicherung seines Einkommens bzw. seiner Existenz zu kämpfen. Denn überall in der zunehmenden industrialisierten Welt ist das Zurückbleiben des landwirtschaftlichen Einkommens, die vielzitierte „Einkommensdisparität“, im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen ein nicht wegzuleugnendes Faktum.

Es hat sich nun in der freien Welt bereits allgemein die Erkenntnis durchgesetzt, daß die Landwirtschaft in dem gewaltigen Umstellungsprozeß, den sie zu bewältigen hat, nicht allein und hilflos dem freien Spiel der Kräfte überantwortet werden darf. Die Folgen würden sich schließlich auch allgemein bemerkbar machen und müßten letzten Endes von allen getragen rd. werden. Zur absolut notwendigen i bäuerlichen Selbsthilfe muß die Hilfe des Gesetzes, der All- gėmeihheit, des Staates, treten. Die Agrarpolitik muß die Möglichkeit, aber auch die Mittel erhalten, um den vor sich gehenden Wandel der Landwirtschaft in die richtigen Bahnen lenken zu können, weil er andernfalls ins Chaos führen würde.

Weltkampf agrarpolitischer Bemühungen

Wie die verschiedenen „Grünen Pläne“ und sonstigen Agrargesetze jeweils auch heißen mögen, man ist überall in der freien westlichen Welt in vielfältigster Weise darum bemüht, die Umstellung und Anpassung der Landwirtschaft zu erleichtern und ihre Existenz zu festigen. Auch in diesen Bemühungen herrscht bereits ein heißer Wettkampf, in dem jene Bauern am meisten gefährdet sind, deren Volk und Staat das geringste Verständnis für die Landwirtschaft aufbringen.

In Österreich hat es viele Jahre gedauert, ehe alle Bevölkerungsteile und politischen Gruppen von der Notwendigkeit eines Landwirtschaftsgesetzes und eines „Grünen Planes“ überzeugt werden konnten. Man beschwor in diesem Zusammenhang noch das Gespenst der „totalen

Planwirtschaft“, ja der „Kollektivierung“ zu einer Zeit, da freie, musterhaft demokratische Nachbarstaaten bereits längst über ähnliche Gesetzeseinrichtungen und Maßnahmen verfügten. Gerade der Landwirt muß ja in seiner Betriebsund Produktionsausrichtung vielfach für Jahrzehnte, ja — z. B. in der Forstwirtschaft — für Generationen vorausplanen. Soll es nicht zu Fehlplanungen gigantischen Ausmaßes kommen, bedarf es unbedingt einer richtungweisenden Förderungsarbeit der Agrarpolitik; bedarf es der Beratung und Schulung ebenso wie der materiellen Förderung. Ob man nun von Plan oder Programm, Planung oder Programmierung sprechen will, ein klares Konzept ist für die moderne Agrarpolitik unentbehrlich.

Die Umstellung der Landwirtschaft, bei der stets die naturgegebenen Verhältnisse Berücksichtigung finden müssen, braucht viel Zeit und Geld. Mehr Geld jedenfalls, als die Landwirtschaft aus eigener Kraft aufzubringen vermag. Das gilt ganz besonders auch für die österreichische Land- und Forstwirtschaft, die immer stärker mit Ländern in Wettkampf zu treten hat, die zum Teil über wesentlich günstigere geographische, klimatische und strukturelle Produktionsvoraussetzungen verfügen als sie selbst. Bekanntlich sind rund zwei Drittel der Fläche Österreichs dem Bergbauerngebiet zuzurechnen, tausende Bergbauernbetriebe verfügen noch nicht über entsprechende Zufahrtswege und weit mehr als drei Viertel aller Betriebe bewirtschaften eine Fläche von weniger als 20 Hektar.

Hebung der Konkurrenzfähigkeit nach außen und innen

Ziel und Absicht der österreichischen Agrarpolitik bzw. der Agrargesetzgebung und agrarischen Programmierung ist es, die Konkurrenzfähigkeit der österreichischen Landwirtschaft gegenüber den übrigen Wirtschaftszweigen im Rahmen der nationalen Volkswirtschaft, aber auch gegenüber der Landwirtschaft anderer Staaten nachhaltig zu stärken. Dieser Aufgabe dienen vor allem auch die Mittel des „Grünen Planes", die durchaus kein Geschenk der Allgemeinheit oder des Staates an die Bauern darstellen. Dort, wo weder der einzelne Bauer noch die bäuerliche Selbsthilfe allein mit den naturgegebenen Schwierigkeiten fertigwerden kann, muß es vielmehr Verpflichtung aller sein, helfend einzuspringen, um die Entwicklung in eine für alle erwünschte Richtung zu lenken. Darüber hinaus sind die großen Aufforstungs- und Erschließungsmaßnahmen, der Ausbau des Verkehrs- und Stromnetzes und viele andere Begebungen des „Grünen Planes“ durchaus allgemeine Anliegen, zu deren Verwirklichung die Allgemeinheit daher auch ihren angemessenen Anteil zu leisten hat.

Aktivposten: junge Bauemgeneration

Eine sehr wesentliche Aufgabe im Entwicklungsprogramm der Landwirtschaft kommt der Schulung, Ausbildung und Beratung der bäuerlichen Bevölkerung zu. Vor allem die heran- wachsende, fortschrittswillige und fachlich immer mehr und besser geschulte junge Bauernge- neration bildet einen großen Aktivposten in der Rechnung und den Plänen der österreichischen Agrarpolitik. Erhebliche Mittel wurden und werden für die Fachausbildung und Beratung in der Landwirtschaft aufgewendet und tragen bereits allgemein sichtbare Früchte. Viel bleibt jedoch auch auf diesem Gebiet noch zu tun.

Gerade die junge, fachlich geschulte Bauerngeneration ist mit gutem Erfolg dabei, sich — gefördert durch die agrarische Gesetzgebung — den Erfordernissen der Zeit anzupassen und den immer schärfer werdenden Konkurrenzkampf mutig aufzunehmen. Obwohl aber gegenwärtig ein bäuerlicher Bevölkerungsanteil von nur noch sechzehn Prozent mehr erzeugt, als je zuvor in

Österreich an Agrarprodukten hervorgebracht wurde, stehen den Rationalisierungsbemühun- gen der Landwirtschaft oft schier unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen, die mit den Mitteln der Agrarpolitik allen nicht beseitigt werden können.

Raumordnung und regionale Wirtschaftspolitik

Eine gesunde Raumordnung, eine gutdurchdachte regionale Wirtschaftspolitik, die die Interessen aller Wirtschaftszweige sinnvoll koordinieren, sind entscheidende Voraussetzungen auch für das Wirksamwerden der agrarpolitischen Zielsetzungen. Was nützen etwa dem fortschrittlichen Landwirt alle Bemühungen um eine rationelle Wirtschaftsführung und eine marktgängige Qualitätsproduktion, wenn der Hof weder einen Elektroansohluß noch einen mit Lastkraftwagen befahrbaren Zufahrtsweg besitzt, der ihn mit dem Markt verbindet. Mancher Kleinbauer würde sich gerne sein bescheidenes Eigentum erhalten, könnte er durch eine Nebenbeschäftigung für seinen Betrieb und seine Familie ein zusätzliches Einkommen erwerben. Er selbst kann sich jedoch die Voraussetzung für einen Nebenerwerb nicht schaffen, wenn der bisherige Ausbau der Verkehrswege in seinem Wohnbereich weder die Anlage eines entsprechenden gewerblichen oder industriellen Betriebes noch die Förderung des Fremdenverkehrs gestattet.

Aber nicht nur auf wirtschaftlichem, sondern auch auf kulturellem Gebiet sind im ländlichen LebensbeTeich weithin noch erhebliche Sanierungsmaßnahmen erforderlich, die zwar auch, aber keineswegs allein mit Mitteln der Agrarpolitik verwirklicht werden können. Gutdurchdachte Raumordnungspläne, Programmierungen im regionalen Bereich, sind hier notwendig.

Wo bleiben die Gegenleistungen?

Die Staaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft schenken ihren regionalen Wirtschafts- und Entwicklungsprogrammen zunehmend Aufmerksamkeit und Förderung. Das dürfte auch bei uns nicht übersehen werden. Zehntausende bäuerliche Menschen verlassen alljährlich das Landgebiet und bringen ihr Erziehungskapital sowie erhebliche ideelle und materielle Werte mit in die Städte und Industriegebiete. Spürbare Gegenleistungen zur Sanierung des ländlichen LeSensbereiches sind bisher ausgebldeben. Und doch kämen sie fürwahr nicht nur den Bauern, sondern allen Bevölkerungsschichten in den Landgebieten und somit schließlich wieder dem gesamten Volk zugute.

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