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Alles schaute nach Genf

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Sind unsere heutigen Automobile so perfekt, wie es nach dem derzeitigen Stand der Technik verlangt werden könnte? Diese Frage drängt sich nicht nur deshalb auf, weil sie jeden, der Auto fährt, direkt berührt, sondern weil sie —ob bewußt oder unbewußt — zum Beispiel auch vom letzten und bedeutendsten der Frühjahrsalons, von der 36. Genfer Automobilausstellung, gestellt wurde. Dieser Salon nannte sich nämlich „Salon der Perfektion“. Wir haben diese etwas anspruchsvolle Bezeichnung dahingehend ausgelegt, daß die Ausstellung wie immer ein nahezu vollständiges Programm der Weltproduktion an Automobilen darbot, nicht aber so, daß unsere Fahrzeuge nicht mehr verbesserungsfähig wären. Davon kann leider keine Rede sein; im Gegenteil, gerade diese Ausstellung bewies, wieviel noch zu tun ist, um unsere Fahrzeuge vor allem in bezuig auf Sicherheit zu vervollkommnen.

Mit Fug und Recht kann man feststellen, daß Genf diesmal im Zeichen der „Sicherheit durch Konstruktion“ stand, und es ist für uns in Österreich besonders erfreulich, daß sich vinie Vorkehrungen im Interesse der Sicherheit auf Patente zweier Landsleute, des Forschungsingenieurs Bėla Barėnyiund des Direktors Karl Wilfert, stützen. Diese beiden darf man mit Recht als Pioniere des Fortschritts bezeichnen. Beide arbeiten im technischen Führungsstab der Daimler Benz AG.; ein Teil ihrer Entwicklungstätigkeit, nach unserer Ansicht der für die Auto fahrenden Rangordnung aller jener Maßnahmen festgelegt, die notwendig sind, um ein Automobil sowohl durch aktive Sicherheit (Verhinderung von Unfällen durch gute Straßenlage, wirksame Bremsen, ledchtgängige Lenkung usw.) als auch durch passive Sicherheit (Milderung von Unfallfolgen durch energieverzehrende Bug- und Heckpartien, aber steifen Fahrgastraum, Vermeidung von Verletzungen herbeiführenden Hebeln, Schnallen usw.) so vollkommen wie möglich zu machen. Besagte Transparente demonstrierten mit Leuchtschrift und eindrucksvollen Bildern alles, was Mercedes seilt Jahren (eines der Pionierpatente wurde bereits 1951 erteilt) zur allgemeinen Hebung der Verkehrssicherheit beiträgt.

Bevor wir uns mit weiteren Betrachtungen über den heutigen Stand der Automobiltechnik befassen, seien kurz alle jene Autotypen gestreift, die typisch für die Entwicklung unserer Fahrzeuge sind, eine genaue Schilderung erübrigt sich wohl, da Tages- und Fachzeitschriften bereits eingehend über die übrigens spärlich gesäten Neuheiten von Genf berichtet haben. Der Renault 16 verdient besonders hervorgehoben zu werden, nicht nur deshalb, weil er zu einem der vielen „Autos des Jahres“ erklärt wurde, sondern weil er zwei wesentliche Merkmale aufweist, die als Haupttendenzen des gegenwärtigen Autobaues bezeichnet werden dürfen: Frontantrieb (17 Marken haben sich zur Zeit dieser Bautendenz verschrieben, sei es, daß sie schon immer wagen im Vormarsch ist. Die Konjunktur erlaubt den Käufern nicht nur kostspieligere Coupės und sportliche Varianten, sondern auch Mehrzweckaufbauten anzuschaffen. Das ist erfreulich, und die zahlreichen Stationswagen, auch Estate, Break oder Familiäre genannt, gewinnen immer mehr Freunde. Das zeigte sich auch in Genf durch eine Reihe neuer Wagen dieser Art. Fortschrittliche Firmen, unter anderem Renault, gehen sogar einen Schritt weiter, indem sie eine ideale Form schaffen, die gewissermaßen zwischen von Großkonzernen, in erster Linie von General Motors, lanciert werden. In Frankfurt sah man bekanntlich ein Opel-Coupė, welches ursprünglich bloß der Meinungserforschung seitens des Publikums dienen sollte; nunmehr hört man, nur wenige Monate nach dieser bedeutendsten Herbstausstellung, dieser Wagen habe soviel Anklang gefunden, daß man ihn entgegen der ursprünglichen Absicht, wenn auch in kleiner Serie, erzeugen wird. Ein ähnliches Schicksal darf man wohl auch dem XVR von Vauxhall prophezeien, Fronttriebler gebaut oder aber neu in ihr Programm aufgenommen haben) und die Form der Karosserie.

Es ist allgemein bekannt, daß der KombiMenschen wichtigste, wurde in zwei instruktiven Transparenten auf dem Stand von Mercedes demonstriert: Zum ersten Male wurde vor einer breiteren Öffentlichkeit eine echteder normalen Limousine und dem ausgesprochenen Kombiwagen liegt, dessen Form vielleicht nicht jedermanns Sache ist. In dieser Beziehung ist also der 16er, ebenso wie die Straßenkreuzer Barracuda und Dodge Charger bei den Amerikanern, ein Vertreter des Autos der Zukunft, was die äußere Form anbelangt. Fiat wartete in Genf ebenfalls mit einer vielbeachteten Kombiwagenversion des Modells 1100 R (Familiäre) und übrigens mit einem interessanten 850er mit Automatik auf, wie überhaupt die automatischen Getriebe nicht nur die europäische Mittelklasse erobert haben, sondern, wie man sieht, auch in „niederere Sphären“ einzudringen beginnen. Zahlenmäßig waren die Italiener und die Engländer mit Neuheiten wohl führend, insbesondere die manchmal traumhaft karossier- ten italienischen Sportwagen erregten Bewunderung, für uns dürften jedoch der neue BMW 1600, der Audi-Variant (ebenfalls ein ideales Mehrzweckfahrzeug) und die sportlichen Versionen von NSU von größerer Bedeutung sein. Daß der NSU-Wankelmotor langsam, aber sicher seiner Serienreife auch in Fahrzeugen für den Normalverbraucher entgegengeht, konnte in Gesprächen mit Fachleuten in Genf abermals bestätigt werden.

Ein weiterer Schwerpunkt von Genf waren die verschiedenen Experimentalwagen, auch Traumwagen oder „Ideacars“ genannt, dieeinem zweisitzigen Sportcoupė der englischen Tochter des größten Autokanzerns der Welt, der als Stilexperiment verschiedene Ideen für die Zukunft ebenso wie seinerzeit der Firebird und jetzt auch der Mako Shark propagiert. (Teleskopartige Lenksäule, verstellbare Pedale bei festen Sitzen, besonders niedriger Schwerpunkt usw.)

Der zweitgrößte Gigant der amerikanischen Industrie, Ford, bedient sich seiner deutschen Tochtergesellschaft, um auf der Basis des Taunus 20 M ein Fahrzeug von besonders ansprechenden Formen, ebenfalls als eine Art Stilübung, herauszustellen. Es ist aus der Zusammenarbeit der italienischen OSI-Werke und Köln entstanden und hat neben sehr gefälligen, eleganten Linien eine vornehme Innenausstattung (Leder und ein Holzlenkrad).

Ein Bericht über Genf, auch wenn er sich mehr auf die allgemeinen Tendenzen als auf die Schilderung bereits bekannter neuer Modelle konzentriert, wäre wohl nicht vollständig, würde man der Exponate aus Österreich nicht gedenken, die zum Teil sogar sensationell wirkten, gehörte doch der in Zusammenarbeit mit unserem Landesverteidigungsministerium konstruierte leichtgängige, allradgetriebene 1,5- bis 2,5-Tonner, Type Husar, der ÖAF (österreichische Automobilfabriks A. G.) zu den sogenannten „Weltpremieren“ das heißt, er wurde in Genf zum ersten Male überhaupt gezeigt, während es auch zahlreiche „Schweizer Premieren“ gab, also Fahrzeuge, die bei den Eidgenossen ihr Debüt feierten, aber auf früheren Ausstellungen bereits präsentiert wurden. Angeblich interessiert sich für den Husar auch die Schweizer Armee, die ja für österreichische Erzeugnisse einiges übrig hat, sie nimmt bekanntlich den Haflinger der Steyr-Daimler-Puch AG. in großer Zahl ab; dieser war übrigens als Sanitätswagen neben dem bekannten Typen 760 und 680 am Steyr-Stand zu sehen. Eine weitere österreichische Firma verdient besonderes Lob, versteht sie es doch, alljährlich ihre Erzeugnisse, die auch tun Ausland einen ausgezeichneten Ruf haben, immer durch einen originellen Stand zu propagieren: Die Sem- perit-Ausstellung stand im Zeichen der Raumfahrt, womit die Firma symbolisch andeuten wollte, daß sie auch für außerordentliche Aufgaben der Zukunft gerüstet ist: Eine Mondlandschaft mit Raketen und Astronauten war zu sehen, als Exponat für die Fachwelt wurde der „gezähmte Gürtelreifen“, ein Volltextilreifen VTT, präsentiert. Ebenfalls der Fachwelt wurde von Semperit dadurch gedient, daß zum erstenmal ein deutschenglisch-französisches, eigens für die Reifenindustrie geschaffenes Wörterbuch herausgebracht wurde.

Viele Marken verstanden es, durch geschickte Aufmachung des Standes auf Besonderheiten ihrer Fahrzeuge oder auf Neuerungen hinzuweisen. Als Beispiel sei Simca angeführt, wo wir eine sehr anschauliche Darstellung der Automatik fanden. Bekanntlich wird sowohl der 1500 als auch der 1000 auf Wunsch mit automatischem Getriebe geliefert, beide Kraftübertragungen zeichnen sich durch Verläßlichkeit und große Annehmlichkeiten für den Fahrer aus.

Zusammenfassend kann vom Genfer Salon gesagt werden: Er brachte eine Fülle von Anregungen, insbesondere in Richtung der Verkehrssicherheit, er zeigte deutlich das Vordringen von Mehrzweckfahrzeugen, die Vorteile des Frontantriebes und der Scheibenbremse (zugegeben, daß beide auch ihre schwachen Punkte haben), das Überhandnehmen automatischer Kraftübertragungen auch bei kleinen Wagen. Unsere Fahrzeuge sind bei fast gleichbleibenden Preisen geräumiger,

wirtschaftlicher, mit Einschränkungen auch sicherer und, ebenfalls nicht unbedingt, immer schöner geworden, sie gewinnen auch alljährlich an Spitzengeschwindigkeit. Obwohl dieser Faktor nicht mehr die frühere Bedeutung hat, Beschleunigungsvermögen ist wichtiger als Spitze im heutigen Verkehr. Wenn nun auch die in Genf propagierten Sicherheitsmaßnahmen Allgemeingut werden sollten, dann ist das heutige Automobil auf dem richtigen Weg.

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