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Alte und neue Politik

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Tatsächlich waren es nicht die sozialen und wirtschaftlichen Argumente der Opponenten Fanfanis, die dem Ministerpräsidenten am meisten zu schaffen machten. Die parlamentarische Schlacht spielte sich hauptsächlich auf außenpolitischer Ebene ab. Die Fragwürdigkeit der „Linksöffnung“ besteht in der Meinung der Gegenredner vor allem in der nicht wegzuleugnenden Tatsache, daß Linkssozialisten und Regierungsparteien eine verschiedene, wenn schon nicht entgegengesetzte außenpolitische Linie verfolgen. Die von Fanfani angestrebte „Gleichgerichtetheit“ der Regierung ist tatsächlich nicht vorhanden. Der von der Nenni-Partei befürwortete Neutralismus ist im Grunde sowjetfreundlich bestimmt; die Sozialisten sind für den Rapacki-Plan, den die Regierungen Italiens bisher abgelehnt haben; sie sind für die Anerkennung der Pankow-Republik, was Italien bisher weit von sich wies; sie sind eigentlich auch gegen die NATO, obgleich sie nicht den Austritt Italiens verlangen, sondern nur, daß die Regierung innerhalb des Paktes pazifistische Initiativen ergreift. Der Widerspruch hat wieder den unaussprechlichen Mar-

lichungen können nicht einfach befohlen werden, sie müssen nach einem genau studierten Plan und vorsichtig gewählten Zeitperioden vor sich gehen, und auch dann noch ist die Gefahr inflationistischer Erscheinungen nicht gebannt. Inflation ist es aber, was die christlichdemokratische Partei mehr als alles andere fürchtet, denn sie würde den Kommunisten ein weites Aktionsfeld öffnen. Darum findet auch das Projekt der Republikaner, den privaten Aktionären der Elektrowirt-schaft für ihre Aktien einfach staatliche Obligationen in die Hand zu drücken, keine rechte Sympathie.

Die in Aussicht gestellte Wirtschaftslenkung hat bisher wenig Ängste hervorgerufen, auch weil man noch nicht sieht, was sich die Regierung darunter vorstellt. Es dürfte sich hauptsächlich um eine Investitionslenkung handeln, mit starker Bevorzugung des unterentwickelten Südens, der sogar die private Industrie keineswegs ablehnend gegenübersteht. Das Geschrei der Rechtsopposition über die Planwirtschaft ist durch das Verhalten der Börse vollkommen dementiert worden. Die italienische Börse hat auf die „Linksöffnung“ durchaus positiv reagiert, die Quotierungen liegen heute nicht unbeträchtlich höher als in den Tagen der heißesten Parlamentsdebatte. Daraus ist zu erkennen, daß Fanfanis These, die Verbündung mit den Sozialisten werde den wirtschaftlichen Aufschwung Italiens nicht zum Einhalt bringen, sondern ihm eher einen neuen Elan verleihen, als gültig akzeptiert worden ist.

tino auf den Plan gerufen: „Entweder Nenni schickt sich an, eine alte Regierungspolitik als neu zu akzeptieren, oder Fanfani bereitet sich darauf vor, eine neue Politik als die alte auszugeben. Tertium non datur.“

Den erneuten Versicherungen Fanfanis, daß Italiens Position gegenüber NATO und europäischer Integration unverändert bleibt, mag man Glauben schenken oder auch nicht. Aber bis zu diesem Augenblick ist von italienischer Seite kein Schritt getan worden, der all den Verdacht und das Mißtrauen berechtigt erscheinen lassen würde, die der neuen Regierung der linkeri Mitte “m den letzten Wochen zuteil geworden sind. Weder hat Italien die weitere Beherbergung von Raketenabschußrampen aufgekündigt, wie Martino behauptet hatte, noch hat es auf der Abrüstungskonferenz in Genf eine Haltung eingenommen, die einem Hinüberwechseln in das Lager der Neutralen gleichkäme. Es gibt mehrere Gründe, warum ein außenpolitischer Stellungswechsel Italiens • schwer möglich ist. Zunächst hat schon die Heftigkeit der Opposition, auch die in der DC selbst, gezeigt, daß sie ein überwacher, hochsensibilisierter Wächter

über eventuelle „Extratouren“ sein würde; ihr Alarmruf würde für Fanfani stets eine ernste Mahnung sein, schleunigst kehrtzumachen. Ferner ist die wirtschaftliche, politische und militärische Verwachsung zwischen den einzelnen NATO-Ländern, und die Italiens mit dem Westen besonders, viel weitgehender, als gemeinhin angenommen wird. Eine den westlichen Verbündeten nicht konforme Politik ist nur in Detailfragen denkbar, nicht aber in grundlegenden Dingen. Die Rücksicht auf die Sozialisten wird freilich mit sich bringen, daß Italien künftig immer dort zu finden sein wird, wo Initiativen für die „Entspannung“ möglich und erlaubt sind, also eher auf der Seite Englands als auf der Adenauers oder de Gaulles.

Abkühlung gegenüber Bonn

Der neue Kurs in Italien bringt mit sich, daß die formal ausgezeichneten Beziehungen mit der Deutschen Bundesrepublik sich weiter abkühlen werden. Es ist geradezu erschreckend, festzustellen, wie gering die Sympathien der italienischen Presse für die Deutschen sind. Ein Blick in die FUm-produktion, ein Blick in die Schaufenster der Buchläden und sogar ein Blick auf den Fernsehschirm berechtigt dazu, sogar von einer neuen antideutschen Welle zu sprechen. Daß von Regierungsseite nichts unternommen wird, um diese unopportune Stimmungsmache gegen einen Verbündeten zu bremsen, hat freilich tiefere Gründe. Italien ist auf der Suche nach einer Staatsideologie und glaubt sie — das Risorgimento hat niemals die großen Massen bewegt — in der Potentialisierung und Valorisierung der Resistance gegen die deutschen Okkupanten gefunden zu haben. Die Unterscheidung zwischen den Verbün-deten,'P0Ti“194- fid-'l960 liegt natür ifchiauf-def Hand,-aber selbst in irrte!--lektuellen Kreisen wird oder will man oft darüber hinwegsehen. So belastet der Resistancegedanke auch ohne Wollen der Regierung die deutsch-italienischen Beziehungen.

Die Aufrichtigkeit der Zusammenarbeit zwischen der katholischen Partei und den Linkssozialisten wird sich jedenfalls auf außenpolitischem Gebiet erweisen. Denn ohne Zweifel wird die Regierung Fanfani früher oder später zu Entscheidungen gerufen werden, die auch den Sozialisten ein Bekenntnis abverlangen.

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