Am Ende der SAckgASSE

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In Israel gestrandete Flüchtlinge aus afrika haben die Wahl zwischen knast oder ausreise. Das kabinett netanjahu setzt auf abschottung.

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In Israel gestrandete Flüchtlinge aus afrika haben die Wahl zwischen knast oder ausreise. Das kabinett netanjahu setzt auf abschottung.

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Am 28. Januar schickte der israelische Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu einen Tweet ab. "Präsident Trump hat recht", stand darin. "Ich habe eine Mauer entlang Israels südlicher Grenze gebaut. Das hat die illegale Einwanderung gestoppt. Großartige Idee."

Netanyahus Mauer ist ein fünf bis acht Meter hoher, 245 Kilometer langer Zaun, der seit Dezember 2013 die Grenze zum Nachbarland Ägypten sichert, vom Gazastreifen bis hinunter zum Roten Meer, nach Eilat. Das israelische Militär bedient Überwachungskameras und Radarstationen; Bewegungssensoren warnen Soldaten vor Migranten, die durch den Stacheldraht schlüpfen. Im vergangenen Jahr schafften das nur 11 Menschen. Wie Netanyahu verkündete, hat der Zaun illegale Einreisen verhindert. Bevor es ihn gab, querten Tausende Afrikaner jährlich die ägyptisch-israelische Grenze.

Es waren, anders als in den USA, fast ausschließlich Flüchtlinge aus Eritrea und dem geteilten Sudan. Sie flohen vor unbegrenztem Militärdienst, vor Krieg im Südsudan und in Darfur, wo Sudans Präsident Bashir morden lässt. Diejenigen, die es schafften, hofften, in Israel ein neues Leben anzufangen. Für die meisten blieb es eine Hoffnung.

Unattraktives Zielland Israel

Von 30.000 eritreischen Flüchtlingen erkannte der israelische Staat keinen zehn Asyl zu, von 15.000 sudanesischen Flüchtlingen einem. Israel schiebt Kriegsflüchtlinge nicht in ihre Herkunftsländer an, Asylanträge bleiben im Normalfall aber unbearbeitet. Flüchtlinge dürfen nicht arbeiten, auch wenn die Behörden derzeit wegschauen, und jederzeit besteht für sie die Gefahr, monatelang im Wüstengefängnis Holot inhaftiert zu werden, wegen illegalen Grenzübertritts.

War vor fünf Jahren noch die Rede von 60.000 afrikanischen Flüchtlingen in Israel, sind es heute rund 45.000,15.000 weniger. Diese Eritreer und Sudanesen haben ihren Traum vom neuem Leben verworfen. Sie haben nach Jahren des Wartens das Land verlassen, in dem sie Schutz suchten, unterstützt von der Regierung mit 3500 US-Dollar. Das Ziel ihrer Reise blieb immer gleich, es sind die ostafrikanischen Länder Uganda und Ruanda. Beiden Ländern liefert Israel Militärtechnologie dafür, dass sie Flüchtlinge übernehmen, berichteten israelische Medien. Unabhängig überprüfen kann man das nicht; alle Länder bestreiten einen bestehenden Deal.

Wie es abgeschobenen Flüchtlingen ergeht, haben Hilfsorganisationen wie die International Refugee Rights Initiative (IRRI) dokumentiert: Jene, die in Ruanda landen, werden von Schmugglern ebenfalls nach Uganda gebracht. Trotz gegenteiligem Versprechen von israelischen Beamten bekommen Flüchtlinge dort weder Papiere noch eine Arbeiterlaubnis. Andie Lambe von IR-RI weiß, dass Flüchtlingen vor Ort abgeraten wird, um Asyl anzusuchen. Diejenigen Sudanesen, die es versucht haben, seien abgelehnt worden, sagt er. Und Eritreer probierten es erst gar nicht, da die Anerkennungsquote gering sei. Zudem ist es für sie gefährlich, da Eritreas Geheimdienst im Land nach Deserteuren sucht. Die meisten Flüchtlinge brechen daher erneut auf, weiß Lambe, nach Norden, diesmal übers Mittelmeer, nach Europa.

Warum lassen sich afrikanische Flüchlinge freiwillig aus Israel abschieben? Asaf Weitzen, Jurist der Organisation "Hotline for Refugees and Migrants" in Tel Aviv, sagt, es gebe für viele schlicht kein Weiter mehr. Weder in Israel, wo die Regierung afrikanischen Flüchtlingen das Leben schwer macht, noch woanders. "Israel ist eine Sackgasse." Die Grenzen im Norden sind zu, in Syrien herrscht Krieg, Jordanien hat selbst Millionen Syrer und Palästinenser aufgenommen. Zurück nach Ägypten will niemand. Im Sinai folterten Beduinen Migranten und erpressten Lösegeld von ihren Familien. Tausende wurden ermordet, in Israel leben laut Vereinten Nationen 7000 Folteropfer, die wegen ihres unsicheren Aufenthaltsstatus' keinen Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem haben. Heute herrscht in Teilen des Sinai der "Islamische Staat".

Kritik von vielen Seiten

Als vor elf Jahren die ersten Flüchtlinge über Ägypten ins Land kamen, erhielten sie ein Bleiberecht. Die Situation, dass Afrikaner nach Israel kamen, um dort Schutz zu suchen, war neu fürs Land. In den darauf folgenden Jahren überquerten bis zu 1700 Menschen monatlich die ägyptisch-israelische Grenze. Grenzbeamte drückten ihnen ein Busticket in die Hand, nach Tel Aviv, wo sie im Levinsky Park neben dem Bahnhof landeten, der Treffpunkt der Gestrandeten. 2009 kündigte der Staat an, ein Asylsystem schaffen zu wollen; davor hatte das UN-Flüchtlingshilfswerk über Anträge entschieden. Der jüdisch-orthodoxe Kanadier Joel Moss, zuvor Richter in Kanada, wurde gebeten, Beamte auszubilden. Drei Jahre später erklärte er, er sei "betrübt" von den Ergebnissen: Das System sei dazu ausgelegt, Anträge abzulehnen. Der Staat tue alles, sagte er der Tageszeitung Haaretz, um nicht den Geist der Genfer Flüchtlingskonvention umzusetzen. Die Flüchtlingskonvention entstand infolge des Holocaust, um Verfolgten das Asylrecht zu gewähren. Heute möchte sich Joel Moss nicht mehr zum Thema äußern. Nur soviel sagt er: "Die Ausbildung fand ohne Zensur und unter den höchsten internationalen Standards statt."

Seither liest sich die Rechtslage der afrikanischen Flüchtlinge wie ein Boxkampf zwischen dem Netanyahu-Kabinett und dem Obersten Gerichtshof. 2012 verhängte die Regierung unbegrenzte Haft gegen "illegale Eindringlinge aus verfeindeten Staaten" wie dem Sudan, so formuliert es das Gesetz. Der Begriff bezog sich ursprünglich auf Palästinenser, die nach dem Unabhängigkeitskrieg in den neuen Staat Israel wollten. Er wurde erweitert auf afrikanische Flüchtlinge, die über Ägypten kamen. Der Oberste Gerichtshof kippte das Gesetz.

Verfassungswidrige Zustände

Das Innenministerium eröffnete darauf das Wüstengefängnis Holot, offiziell eine "offene Einrichtung", welche die bis zu 3000 Flüchtlinge untertags verlassen können - sie befinden sich aber inmitten der Wüste. Der Oberste Gerichtshof tagte erneut und urteilte, Holot müsse geschlossen werden; Haft fürAsylwerberseiverfassungswidrig.DieNetanyahu-Regierung ließ Holot bestehen und verringerte die Haftdauer auf zwanzig Monate, dann auf zwölf. Das Wüstengefängnis gibt es bis heute. "Haft ist ein Werkzeug, das jene, die hier sind, überzeugen soll, das Land zu verlassen als auch Migranten abschrecken soll, nach Israel zu kommen", schreibt die "Hotline for Refugees and Migrants". Asylwerber fürchten sich, bei den Behördenterminen zur Verlängerung des Aufenthaltsrechts inhaftiert zu werden.

Es ist diese rechtliche Schwebesituation für afrikanische Flüchtlinge, die nun Tausende über Uganda nach Europa treibt. Sie hat aber eine lebendige Zivilgesellschaft in Israel geformt. Die "Hotline for Refugees and Migrants" bekämpft die Regierung seit Jahren juristisch, oft erfolgreich. Und sie berät, genauso wie Rechtsstudenten, Asylwerber. Die Organisation "Physicians for Human Rights" behandelt undokumentierte Migranten kostenlos, und seit fünf Jahren kümmert sich das Eritrean Women's Community Center auch um Folteropfer aus dem Sinai. Eritreische Frauen, die selbst geflüchtet sind, haben Kindergärten gegründet, um die Kinder ihrer Landsleute zu betreuen, wenn diese sich mit illegaler Arbeit durchschlagen. Und Hunderte israelische Aktivisten gehen für Flüchtlinge auf die Straße. Das African Refugee Development Center, eine Organisation, die informiert und Aufklärung betreibt, wird inzwischen von einem ehemaligen Asylwerber geleitet, Mutasim Ali aus Darfur. Er ist der einzige Sudanese, dem bislang der offizielle Flüchtlingsstatus in Israel zugesprochen wurde.

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