Am Ende der Wohlstandsgesellschaft

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Wenn fachliche Kompetenz auf politisches Wunschdenken prallt, kann es durchaus zu Verletzungen und Beschädigungen kommen. Für den gewissenhaften Ökonomen beispielsweise führt es zu unangenehmen Konflikten, wenn er eine Realität vor sich sieht, die nicht jener entspricht, welche die Politik gerne zu sehen wünscht. Das klingt nur in der Theorie etwas verworren, praktisch passiert so ein Unfall wie folgt: Die ungarische Regierung erstellt einen Budgetvoranschlag mit wahrhaft fantastischen Aussichten: Ein Wirtschaftswachstum von drei Prozent 2011 und von 4-6 Prozent 2012, die Schaffung von 400.000 Jobs in vier Jahren - geradeso als gäbe es die Krise nicht oder nicht mehr. Der zuständige Vorsitzende des staatlichen "Haushaltsrates“, der Ökonom György Koptis protestiert offen gegen die budgetären Phantasien des Regierungschefs Orbán und seines Finanzministers. Postwendend wird seiner Behörde das Budget drastisch gekürzt, 40 Mitarbeiter des Aufsichtsorgans konnten nicht mehr weiter beschäftigt werden. Koptis selbst tritt zurück.Das war 2011. Das Budget erlitt den von Kopits vorhergesagten Schiffbruch: DasBIP wuchs nur um 1,5 Prozent, die Arbeitslosigkeit blieb über elf Prozent, statt 4-6 Prozent Wirtschaftswachstum sagt Eurostat Ungarn nur 0,5 Prozent für das laufende Jahr voraus. Ungarn muss dieser Tage zum zweiten Mal beim IWF umFinanzhilfe ansuchen.

Ins europäische Aus

Leicht werden diese Verhandlungen nicht, steht die Regierung doch unter heftiger Kritik, die Kontrollorgane der ungarischen Republik, darunter auch den Verfassungsgerichtshof sowie die Notenbank schrittweise zu Erfüllungsgehilfen der Regierungspolitik degradieren zu wollen. Der ungarische Forint hat selbst gegenüber dem schwachen Euro 2011 um 14 Prozent an Wert verloren. Dazu kommt ein Steuerexperiment - die Einführung einer 16-prozentigen Flat Tax, welche zum Teil durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 27 Prozent finanziert werden musste. Kritiker meinen, die beiden Reformen zusammengenommen bedeuten einen Umverteilungsturbo Richtung reichere Einkommen. Auch die Zwangskonvertierung von Eurokrediten in Forint, die den ausländischen Banken insgesamt eine Milliarde Euro kostet, begünstigt Kreditnehmer, die noch über Kapitalreserven verfügen. Das sind laut Opposition die wohlhabenden Ungarn, nicht jene, die vor dem Ruin stehen.

Der ungarische Finanzminister György Matolcsyi ist nun für 2012 nicht mehr ganz so euphorisch. Sein Voranschlag trägt den bangen Titel: "Budget zum Schutz der Nation“ und fügt sich in die von den europäischen und internationalen Organisationen festgestellten Realitäten.

Auch dem Premier ist offenbar schon seit geraumer Zeit nicht mehr wohl zumute. Im Juli 2011 sprach Viktor Orbán vom Ende der Wirtschaft, wie wir sie kennen: "Die Zeitenwende wird mit einem einheitlichen Zusammenbruch geschehen ... weil es kein Rezept gibt, wie man die Staatsverschuldung rückzahlbar machen könnte. ... Ich denke daher, dass wir am Ende der westlichen Konsum- und Wohlstandsgesellschaft angelangt sind.“ Die Gegenstrategie Orbans klingt nicht sehr europäisch: "Wir können ... Ungarn auf einen neuen Weg bringen, die gesamte Ungarische Nation, wie Szecsenyi sagte: Ich wollte schon immer, dass Ungarn sich um seine eigene Achse dreht.“ (tan)

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