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Amerika im Weltall

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Der erste USA-Vorstoß ins Weltall ist geglückt. Die Unterschiede sind groß: Die erste russische Raumfahrt war geheim vorbereitet worden und wurde erst, nachdem sie geglückt war, der Welt bekanntgegeben. Die amerikanische Tournee fand vor den Augen der Weltöffentlichkeit statt, war propagandistisch als Show vorbereitet, die Freunde der USA bangten nach all den Ankündigungen um ein Debakel, die Gegner und Feinde der USA, von Kuba bis Peking, warteten auf ein solches. Nun gratulieren die einen, unter ihnen auch Österreich, aufrichtig, die anderen bemühen sich, das Ereignis zu neglegieren. Die Freude über den Erfolg trübt jedoch auch den Blick der Freunde nicht: Die Russen unternahmen 23 Tage vor dem Aufschüß der USA-Rakete eine Raumfahrt mit einem Raumfahrzeug rund um die Erde. Gagarin flog mit seinem Raumschiff rund 80 Minuten schwerelos, mit der Kreisbahngeschwindigkeit von fast 2900 Stundenkilometer. Fregattenkapitän Alan B. Shepard war für fünf Minuten im Weltraum, seine größte Geschwindigkeit betrug im Augenblick des Brennschlusses der Trägerrakete rund 8000 Stundenkilometer. Es ist ein weiter Weg von dem blitzhaften Vorstoß einer Rakete zu einer gezielten, gelenkten Raumfahrt: das wissen die Amerikaner selbst sehr gut. Deshalb sollen jetzt in Abständen von rund einem Monat weitere derartige Flüge amerikanischer Raumpiloten folgen, parallel dazu wird man versuchen, eine ,,Mercury“-Kapsel, erst unbemannt und dann mit einem Schimpansen besetzt, auf eine erdumrundende Bahn zu bringen. Wenn keine Rückschläge eintreten, hoffen die Amerikaner, im Spätherbst oder Winter ihren ersten Erdsatelliten mit einem Menschen an Bord starten zu können. Wo werden dann die Russen im Weltraum sein?

Der festliche Empfang, der dem ersten Raumflieger der USA, Alan B. Shepard, in Washington bereitet wurde, durch Kennedy, dann auf dem Kapitol von allen Kongreßmitgliedern, macht jedoch auf die außerordentliche innenpolitische Bedeutung dieses amerikanischen Erfolges aufmerksam. Die Kritik an Kennedy nach den ersten hundert Tagen seiner Regierungsperiode, die herausfordernden Reden und Aktionen Fidel Castros, der weit mehr Unterstützung in Südamerika findet, als man zunächst sehen und zugeben wollte, lassen das seit langem depressive amerikanische Selbstbewußtsein nicht zur Ruhe kommen.. Kennedy hat, mit einer von Tag zu Tag steigenden innenpolitischen Reaktion zu rechnen, die quer durch beide Parteien hindurchgeht.. Er muß bestrebt sein, eine Atempause; wie überhaupt Zeit zu gewinnen. Das kurzatmige, hektische Wesen und Unwesen, so piq.ncher außenpolitischen Aktionen in den letzten Jahren war die . Ursache mancher offensichtlicher Mißerfolge . und ließ auch positive Ansätze zu keiner gesunden’Entwicklung kommen, einfach, weil keine Zeit für ihr Reifen übrig War. Wenn nun, Kennedy an die Nation appelliert, sein Weltraumforschungsprogramm tatkräftig, opferfreudig zu unterstützen, dann plädiert er für Zeitgewinn: die Abrüstungsverhandlungen mit den Russen brauchen Zeit und brauchen viel Kraft. Nur eine in einem gesunden Selbstbewußtsein verankerte Nation kann sie durchhalten. Chruschtschow seinerseits drängt aus innenpolitischen und außenpolitischen russischen Motiven auf baldige Verhandlungen mit . den USA, wie er eben wieder, in Eriwan verlauten ließ. Moskau sind die rapid fortschreitenden Westdeutschen, deren Macht- und Prestigegewinn nicht geheuer, und man weiß auch, daß Peking momentan durch Naturkatastrophen und eine gescheiterte Agrarpolitik gehemmt, seine alten Forderungen nicht aufgibt. Laos, einst ein Teil des Großchinesischen Kaiserreiches, wird von den Theoretikern der Pekinger Regierung immer noch zum chinesischen Reich gerechnet… So verzahnen sich die russischen und amerikanischen Weltraumunternehmungen innenpolitisch und außenpolitisch mehrfach, kreuzen nicht zuletzt ihre Einflüsse: Chruschtschow hat unleugbar durch Gagarin an innenpolitischem Gewicht gewonnen, kann dadurch das Scheitern so mancher Siedelkampagne überdecken. Kennedy muß seinerseits versuchen, soviel als möglich innen- und außenpolitisches Kapital aus Alan Shepards Vorstoß ins Weltall zu münzen.

Ist es ein Zufall, daß Kennedy zur selben Zeit, in der Amerikas erster’ Astronaut in Washington empfangen, in ganz Amerika ferngesehen und gefeiert wird, kurzerhand, schnell und in aller Stille der militärischen Ausbildung von kubanischen Gegnern Fidel Castros im amerikanischen Exil ein Ende gemacht’ hat? Zugleich hört man, daß. er auch den Gedanken eines totalen Handelsembargos, gegenüber Kuba a,blehnt. Wer die von Tag zu. Tag gesteigerte Campagne, von, einflußreichen Kreisen unterstütz, für ein direktes Eingreifen der USA’ in Kuba verfolgte, erkennt, wieviel Mut für den Präsidenten heute bereits dazu gehört, die erregte und verstörte Nation zur Ruhe, Geduld, Vernunft zu bitten. So spektakulär, wörti lieh und übertragen „welt-fremd“ die Raketenflüge, abgesehen von ihrer militärischen Bedeutung, für viele anmüteteten; so händfeste realpolitische Interessen verbinden sich heute bereits mit ihnen. Sie sind zu Barometermachern nicht auf einer Zauberinsel, sondern in und für die Massengesellschaft von Weltstaaten geworden: zu Stimmungsmachern, die gelingend, den Regierenden Atemraum, Freiheitsraum nach innen schaffen, und die, mißlingend, das innenpolitische Wetter gefährlich einzutrüben vermögen.

Darüber hinaus gewinnt ein anderer Aspekt an Bedeutung: Offen hat also nun, mit aller demonstrativen Deutlichkeit, der Wettkampf im Weltraum seinen Anfang genommen. Beiderseits liefert das Militär die • Menschen und die Ausrüstungen. Die Wehrmächte der Weltmächte sind die größten technischen Organisationen der heutigen Menschheit. Die Zeit ist gekommen, eben diese größten technischen Apparate und Menschenballungen für die größten technischen Aufgaben der Menschheit einzusetzen, für die Erkundung des Weltalls, und für die Verwandlung der Wüsten in Fruchtland, der Urwaldsümpfe in Südamerika und Afrika, nicht zuletzt für die Erforschung und Nutzung der Meere als Lebensmittelieferanten. Die täglich um Millionen wachsende Menschheit erwartet von den größten und wirk- mächtigsten Organisationen, von den Armeen der Weltmächte und ihren Generalstäben, daß sie gute Arbeit, in Planung und produktiver Leistung schafft: L e b e n s r a u m, für den Menschen, nicht Vernichtung.

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