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An den Rand geshriebeb

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BAUERN MELDEN SICH ZU WORT. Besonders in Zeitungen einer bestimmten Couleur registriert man mH Wohlbehagen die Zeichen einer gewissen Unzufriedenheit in Kreisen des Österreichischen Bauernbundes, die sich von dem nächstjährigen Budget mehr erwartet haben. Bauernbundobmann Wallner und Bauernbunddirektor Graf, die kürzlich im Finanzministerium vorgesprochen haben, konnten Minister Dr. Klaus für die Erhöhung der staatlichen Zuwendungen für den „Grünen Plan" von 200 auf 500 Millionen Schilling nicht gewinnen. Der Finanzminister sieht sich außerstande, für eine solche zusätzliche Belastung die nötige Bedek- kung aufzubringen. Nun heißt es also, die Bauern erwägen die Anwendung „energischer Mittel”, sie seien zu den „äußersten Konsequenzen" bereit. Die Abspaltung der Agrarier von der Volkspartei und die Gründung einer eigenen Bauernpartei nach nordischem Muster mag zur Stunde noch eine hochsommerliche Kombination sein. Wenn auch diese Vision zunächst nur zur Aufschrek- kung selbsfgenügsamer Wirfschafts- bündler dienen sollte, enthält sie, man kann es bestätigen, doch einen wahren Kern. Die berechtigten Wünsche der Bauernschaft müßten, so sagt man, erfüllt werden, sonst sei auf lange Zeit keine Garantie für eine Einheit der Volkspartei gegeben. Die bösen Worte wären indessen zu vermeiden gewesen, wenn man es verstanden hätte, die Interessengegensätze auszugleichen und alle einem höheren gemeinsamen Ganzen zu verpflichten, auch wenn dies mancherorts ein Stirnrunzeln und vielleicht sogar noch etwas mehr zur Folge gehabt hätte …

„REFORMER" UND „REAKTION". Schon seit einiger Zeit vergeht kaum eine Woche, daß in der Presse der zweiten Regierungspartei nicht das Wort „Reformer" fiele, und ferner, daß dieses unter Anführungszeichen gesetzte Wort nicht mit der „Reaktion" in Verbindung gebracht wäre. Stets handelt es sich dabei um den Versuch, den sogenannfen „Reformerflügel" der österreichischen Volkspartei, dessen geistigen Mittelpunkt man im Akademikerbund zu erkennen glaubt, als Brutstätte der Reaktion . zu-nttaryqnj, iDjqfpr »ÄfttSPfh 'mi aubüjle9!ui,?Ls.

Grund ’ problematisch. Zweifellos waren die Äußerungen der „Reformer" in den letzten Jahren nicht immer glücklich, ja, sie gaben mitunter zu Widerspruch berechtigten Anlaß. Die Dämonisierung einer kleinen Gruppe jedoch, in der neben lauteren und durchaus vertretbaren Motiven auch manche Spuren der bloßen Sucht nach politischer Karriere zu erkennen sind, wertet die Karrieristen auf und diffamiert die — leider nur allzu wenigen — echten Reformer. Beides ist bedenklich, gerade, wenn man die berechtigte Kritik an schlecht funktionierenden Organen der Demokratie von einer pauschalen Herabsetzung der Demokratie sauber unterscheiden will. Mancherorts wird in letzter Zeit alles in einen Topf geworfen: die EWG-Hörigkeit, Kritik am Parlament und an Auswüchsen des Proporzes, Habsburg, Kritik an Äußerungen Tiroler Politiker. Das alles sei „Rechtsextremismus", „Reaktion”, vertreten durch den erwähnten „Reformerflügel". Oder nicht? Man wird sich einer genaueren und sachlicheren Ausdrucksweise bedienen müssen, wenn man richtg verstanden werden will. Auch in der Saurengurkenzeit.

ZOLTÄN TILDY. Der erste Präsident der dritten ungarischen Republik — damals noch nicht Volksrepublik —, Zolfän Tildy, ist am 3. August in Budapest im Alter von 72 Jahren gestorben. Dieser kalvinistische Pastor ist trotz der hohen Ämter, die er nach Kriegsende bekleidete, stets nur ein Statist auf der politischen Bühne Ungarns gewesen, ein Symbol dafür, daß in Ungarn in dieser schicksalsenfscheidenden Zeit eine schreckliche Not an wahren politischen Persönlichkeiten geherrscht hat. Die besten Jahre Tildys waren die letzten Kriegsjahre, als er zu jenen wenigen in Ungarn zählte, die ernstlich versuchten, der bedrängten und gehetzten jüdischen Bevölkerung zu helfen. Als aktives Mitglied des Widerstandes schien Tildy in der Folgezeit geeignet, in der politischen Führungsschicht einer Demokratie nach westlichem Muster, die für die östliche Besatzungsmacht noch annehmbar sein sollte, eine Rolle zu spielen. Nach dem großen Wahlsieg der Kleinlandwirtepartei wurde Tildy im November 1945 Ministerpräsident, schließlich, nach Ausrufung der Republik am 31. Jänner 1946, Präsident der Republik. Er hat die Konsolidierung seiner Partei und damit der Republik nie erreicht, eigentlich auch kaum versucht. Durch Aktionen seines Schwiegersohnes, der Gesandter in Ägypten war, bei der Besatzungsmacht kompromittiert, trat er im Sommer 1948 in aller Stille zurück und öffnete damit den Weg zur Volksdemokratie Mathias Räkosis. In den letzten Tagen der Revolution 1956 hörte man noch einmal von ihm. Er gehörte zu denjenigen, die zu Mäßigung rieten und sich — mit Imre Nagy — um die Verwirklichung einer „sozialistischen” Mehrparteiendemokratie bemühten. Seif dem 4. November 1956 bis zu seinem Tode war Zoltän Tildy kürzere Zeit in Haft und lebte dann in völliger Zurückgezogenheit.

KONFERENZEN IN PARIS UND WARSCHAU. Der Notenwechsel der Westmächte mit der Sowjetunion über Berlin brachte zunächst keine neuen Gesichtspunkte in die Diskussion. In der Antwortnote auf die westlichen Noten vom 17. Juli fordert die Sowjefregierung die drei westlichen Mächte auf, einen Friedensverfrag oder zwei gleichlautende Verträge mit beiden deutschen Staaten abzuschließen. Die Sowjetregierung würde einem Friedensverfrag ohne Beteiligung der Westmächfe nur ungern zustimmen. Sie würde eine Änderung des Standpunktes der Westmächfe sehr begrüßen. Es sei dann Sache der Deutschen selbst, die Wiedervereinigung ihrer beiden Staaten, die sich in verschiedene Richtungen entwickeln, voranzutreiben. Die Siegermächte könnten da nichts tun. Die Sowjetregierung warnt ausdrücklich Bonn vor Entfesselung eines neuen Weltkrieges. Während die Fluchtwelle der ostdeutschen Bevölkerung nach dem Westen andauert, spricht die sowjetische Note vom „Selbstb«fim- mungsrecht’ der Deutschen. Unmittelbar nach Eintreffen dieser Nofe trafen sich die Außenminister der drei Westmächte und der Bonner Regierung in Paris. Ihre Beratungen führten zu keinem Beschluß bezüglich einer Ost-Wesf-Konferenz über Berlin und die Deutschlandfraae. Sie brachten statt dessen den Willen der Westmächfe zum Status auo in Berlin zum Ausdruck. Trotzdem wird in informierten Kreisen das Zustandekommen einer großen Deutschlandkonferenz im Herbst für möglich, Sogar für wahrscßeinlilth gehalten. Auch die Geheimkonferenz der Regierungen des Warschauer Paktes, die am letzten Samstag zu Ende ging, hat nichts anderes erbracht, als die Bekräftigung des Wunsches nach Lösung der Deutschlandfrage und die Zusicherung, in Berlin bleibe alles wie bisher. Man wird die wiederholt betonte Verhandlungsbereitschaft der Sowjetunion in den westlichen Zentren in der nächsten Zukunft zunehmend in den Mittelpunkt der Überlegungen stellen müssen. Hier öffnet sich für eine durch militärische Stärke geförderte diplomatische Initiative, die nicht zwischen Alles oder Nichts wählen kann und soll, ein weiter Platz.

WETTERLEUCHTEN UBER ALGERIEN. Nicht in Berlin und nicht in Bizerta lauert die größte Gefahr, sondern in Algerien. Diese Feststellung eines der klügsten französischen Beobachter der Weltlage scheint sich durch die letzten Nachrichten aus Algier prompt zu bestätigen. In Radio Algier wurde, sozusagen am hellichten Tag, eine Erklärung eines der flüchtiger! Putschistengeneräle verlesen, in der dieser die Algerienpolitik de Gaulles verurteilt und die Organisation der Geheimarmee OAS, die bekanntlich mit allen Mitteln der Subversion für ein französisches Algerien kämpft, gelobt. Damit wurden die alarmierenden Nachrichten der letzten Zeit von einem bevorstehenden Putschversuch in und gegen Paris indirekt bestätigt. Die Lage ist in Frankreich und vor ollem in Algerien, nach den gescheiterten Waffensfillstandsverhandl ungen mit der algerischen Exilregierung, wieder einmal undurchsichtig geworden. Die Armee hat das Wort. Daß das niemals das letzte Wort sein kann, hat der noch keineswegs beigelegte Konflikt in Bizerta erneut gezeigt. Der Schwerpunkt nicht nur für Tunis, ja nicht einmal nur für die arabische Welt, liegt in Algerien. Alle neuen Staaten Afrikas und darüber hinaus Asien — allen voran China — wie Amerika blicken dorthin und erwarten das Ende eines Bürgerkrieges, von dem wahrscheinlich die künftige Stellung Afrikas zwischen den Machfblöcken abhängt. In Frankreich gibt es noch immer keine kräftige und wirkungsvolle Mehrheit für eine Neuorientierung, die eine gegenseitige Verständigung an die Stelle von militärischen Stützpunkten setzt. Es geht um den Reichtum der Sahara und um mehr: um das Selbstverständnis und Missionsbewußtsein einer großen europäischen Nation. Der Friede in Algerien setzt ein Umdenken in Weltmaßstäben voraus.

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