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An den SPÖ -Vorstand

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Der heroische und auch pastoral bedeutsame Einsatz einer kleinen Gruppe von Katholiken in der SPÖ wird auf beiden Seiten geradezu geflissentlich übersehen, zumindest aber als unbeachtlich klassifiziert. Auf diesen Sachverhalt scheint hinzuweisen, daß eine an den Parteivorstand der SPÖ gerichtete Denkschrift, die einen der prominentesten unter den sozialistischen Katholiken, Dr. August Zechmeister, zum Autor hat , bisher so gut wie keine Würdigung fand, obwohl sie ein wesentliches Anliegen der bekennenden Katholiken in der SPÖ zum Gegenstand hat.

Der Verfasser der Denkschrift geht davon aus, daß nach seinem Dafürhalten ungefähr zehn Prozent der Mitglieder der SPÖ praktizierende Katholiken seien. Von den Wählern seien es weit mehr als die Hälfte. Dazu kommt noch die Tatsache, daß jeder zweite Sozialist seinen Kontakt mit der Kirche habe, und wenn er diesen Kontakt auch nur durch die Bezahlung der Kirchensteuer dokumentiert oder — Wie die Mehrheit der Bürgerlichen — sich der Kirche zumindest in ihrer Punktion als „Zeremonienkirche“ erinnert. Insoweit gesehen sind die „paar“ Katholiken in der Partei eine durchaus respektable Gruppe.

Dieser Tatbestand sollte nun nach Meinung von Dr. Zechmeister Ursache sein:

• für die K i r c h e, die sozialistischen Katholiken als ein gewichtiges seelsorgliches Problem zu beachten, mit dem man sich offenkundig noch sehr wenig befaßt hat, und

• für die SPÖ, in den in ihrem organisatorischen Bereich gefaßten Katholiken ein Reservoir sittlicher Kräfte zu erkennen, das bisher viel zuwenig ausgeschöpft wurde.

Dem Autor, der im eigenen Namen und nicht in dem der Arbeitsgemeinschaft Sozialistischer Katholiken spricht, liegt nun sehr daran,, den Be-, kenntniskäthoiikeri in der SPÖ gleichsam einpn, jpstitutipnellen SJtän.dort zu sichern. Die SPÖ, wie der ganze demokratische Sozialismus (von den Romanen abgesehen), bietet heute weltanschaulich keineswegs ein uniformes

I August Zechmeister: Kirche und pluralistischer Sozialismus in Österreich — Aussichten und Wege. Heft 15 der Schriftenreihe „Endzeitlicher Glaube“. Wien 1961. Als Manuskript vervielfältigt, im Eigenverlag des Autors.

Bild, sondern ist offenkundig — ob aus Eigenbestimmung oder als Folge der Entwicklung sei dahingestellt — in weltanschaulichen Dingen pluralistisch. Dies gilt, soweit man im Sozialismus noch ein weltanschauliches Anliegen und nicht lediglich eine Wirtschaftspartei sieht. Warum, so fragt Doktor Zechmeister, will man diesem Tatbestand nicht einfach dadurch Rechnung tragen, daß man gläubige Katholiken und (atheistische) Humanisten in weltanschaulichen Referaten innerhalb der Partei integriert? Das soll nach Ansicht des Verfassers keineswegs der Anfang einer Fraktionierung sein. Was dem Verfasser vorschwebt, sind lose, gleichsam offene Gruppen, und nicht etwa verbandliche Konstruktionen wie in den Niederlanden.

In diesem Zusammenhang müßte angemerkt werden, daß im Einflußbereich der SPÖ andere Gruppierungen bereits Raum gefunden haben, wie eine als philosophisch etikettierte Diskussionsgruppe, die ostentativ freidenkerische Züge trägt, gar nicht zu reden vom Umstand, daß die Mehrheit der Publikationen der SPÖ den faktischen, zumindest den skeptischen Atheismus vertritt, ähnlich wie die bürgerlichliberale Presse, der man in dieser Hinsicht in nichts nachstehen will.

Jedenfalls glaubt Dr. Zechmeister, daß durch Realisierung seiner Vorschläge dem politischen Pluralismus, der heute in der Kirche ohnedies demonstriert wird, ein weltanschaulicher Jghiralismus in der SRjÖ. entsprechen würde.

Auf seiten der SPÖ wird der Vorschlag Dr Zechmeisters auf Widerstand stoßen, wenn sich dieser Widerstand auch nur in einem Verschweigen der Denkschrift ausweist. Anderseits glaubt der Verfasser, daß die Partei in seinem Vorschlag beachtliche Vorteile erkennen sollte, Vorteile freilich, die sich nicht in Wählerstimmen ausmünzen lassen. Wie sehr könnte es heute von Nutzen sein, vermöchte sich der Glaube des Christen in einer intensiveren Weise als bisher im Bereich der SPÖ zu aktivieren. Der personale Glaube ist eine „gesellschaftsgestaltende Macht“. Daher ist es unrichtig, das Religiöse als Privatsache in die Regionen des privaten Lebens zu verweisen. Wie kann man Reformen wie jene, die vom Sozialismus angestrebt werden, Reformen, die doch in ihren Ansätzen zutiefst im Ethischen wurzeln, nur in einem Sozialpragmatismus durchführen? Das bedeutet eine Verkümmerung des Ethos im Sozialismus, seine Säkularisierung und Reduktion auf eine nur ökonomisch fixierte Interessentenpartei. Glaube und politisches Handeln sind nach Dr. Zechmeister nicht zu trennen. Der Sozialismus im Westen hat sich weithin gezwungen gesehen, sich des Marxismus, der nun einmal Glaube ist und nicht bloß eine wissenschaftliche Weltinterpretation, zu begeben. Wie steht nun der demokratische Sozialismus gegenüber dem gläubigen Pathos und dem profanen Formalethos des Kommunismus da, wie könnten sich die politischen Gewichte verschieben, gerade dann, wenn mehr geboten werden muß als ein Zuwachs an Lohn und sozialer Sicherheit?

Nun ist aber die Welt einmal profan. Sie war es immer. Eine vollchristliche Gesellschaft ist kaum mehr als eine pädagogische Vereinfachung. Weil nun die Welt eine weltliche Welt ist, bedarf es der sittlichen Kräfte, bedarf es eines Appells an diese Kräfte, damit die Welt (auch im Sinn der sozialistischen Postulate) berichtigt werden kann. Das bedeutet die Notwendigkeit einer Identifikation von sittlichem Ethos und gesellschaftlichen Konstitutionen, von sittlich begründetem Wollen und gesellschaftlichem Handeln. Ethos und auf soziale Änderungen angelegte Praxis sind je für sich ein Torso: das auf Formeln reduzierte christliche Ethos, das jeder Berührung mit den Realitäten abgeneigt ist, und eine lediglich auf dier Reparatur def gesellschaftlichen Strukturen Bedacht nehmende Sozialtechnik. Dagegen ist die Bezeugung ethischer Haltung bei Reform der Gesellschaft auch von der Qualität einer Glaubensbezeugung.

Wenn man den gläubigen Katholiken in der SPÖ je eine ihrer Stärke angemessene, institutionell abgesicherte Position zu geben vermöchte, wird diese Gruppe — wie immer sie sich nennt — keineswegs so etwas wie eine kirchliche Gruppe werden können. Was sie sein kann, ist eine Kooperation von Menschen, die, ihrer Gewissensentscheidung gemäß, Sozialismus, wie er sich ihnen nun darbietet, und christliches Bekenntnis abzustimmen suchen. Mehr nicht. Keine Fraktion, keine „klerikale“ Gruppe, kein Ansatz eines neuartigen Revisionismus und auch keine Sekte. Gleichzeitig wäre der Verdacht beseitigt, die schon bestehende Arbeitsgemeinschaft Sozialistischer Katholiken sei nicht mehr als ein Instrument, um Stimmen unschlüssiger Katholiken für die SPÖ zu gewinnen. Der Verfasser meint, die Partei müsse ein Interesse daran haben, diesen Verdacht zu zerstreuen und alles zu tun, damit man nicht weiterhin meine, die SPÖ habe mit der Arbeitsgemeinschaft nur so etwas wie einen Firmenmantel erworben, der lediglich zuweilen als Etikette benützt wird, wobei man nach der Beendigung eines Wahlkampfes jeweils „Nichtbetrieb“ anmeldet.

Der Sozialismus in Österreich könnte durch eine organisatorische Sammlung der Katholiken in der SPÖ Kräfte des Glaubens aktivieren, die nicht allein für die Kirche, sondern gerade für die Partei nutzbar zu machen wären, neue, als Gruppe unbefangene und ökonomisch uninteressierte Kräfte, geeignet, der „unzweifelbaren Verbürgerlichung“, der fortschreitenden „ideenmäßigen Entleerung“ des Sozialismus, seiner „ethischen Aushöhlung“ und seinem „Substanzverlust“ zu steuern. Wenn der Sozialismus alles, was nur einigermaßen nach Glaubenszeugung riecht, aus seinem organisatorischen Bereich verweist, verstärkt sich das „ethische Defizit“. Der Sozialismus kann nur eine sozialethische Bewegung sein. Nicht mehr, aber keineswegs weniger.

Von der Kirche erwartet sich dier Autor, daß sie die noch bestehende Verurteilung des Sozialismus aufhebt. Aus der unzutreffenden Gleichsetzung von Sozialismus und Marxismus, die einem überkommenen Sozialismusbild entstammt, kommt die Kirche zur Meinung, daß in der christlichen Soziallehre. die sich als eine „ethische Rahmenor nung“ darbietet, kein Platz für sozialistische Gestaltungsversuche Vorhänden sein könne, während solche Versuche nach Ansicht von Dr. Zechmeister durchaus einen legitimen Standort auch da haben, wo die christliche Soziallehre praktiziert wird. In diesem Zusammenhang bedauert der Verfasser das so gut wie völlige Versiegen der innerkatholischen Sozialdiskussion, die ehedem, etwa in der Frage des Eigentums, eine bisher nie erreichte Breite und Tiefe angenommen hatte und auch Erwägungen,

wie sie der Verfasser in der Frage der Rechtfertigung eines Gesellschaftsbildes sozialistischer Schauweise anstellte, als diskutabel erklärte.

Anderseits glaubt Dr. Zechmeister keine förmliche kirchliche Anerkennung der Gruppe katholischer Sozialisten verlangen zu müssen. Was verlangt wird, ist nichts anderes als ein Gewährenlassen als Laienbewegung besonderer Art, die freilich nicht immer die kirchenpolitischen Forderungen zu unterstützen vermag, wohl aber im Handeln ihrer Angehörigen jederzeit vom christlichen Sittengesetz und vom Naturrecht auszugehen gewillt ist.

Das Anliegen, das Dr. Zechmeister an den Vorstand der SPÖ hat, ist das gleiche, das jeder gläubige Katholik an eine Partei, der er sich verpflichtet fühlt stellen sollte: der Versuchung zu entgehen, lediglich eine Kooperation von wirtschaftlichen Interessentengruppen zu sein. Je mehr der Sozialismus mitgeholfen hat, die Massen, insbesondere der Arbeiterschaft, aus den Zonen des Elends herauszuführen, je stärker nun starke Schichten der Arbeiterschaft auf die Deckung von Prestige- und Komfortkonsum bedacht sind, um so mehr gerät der Sozialismus in die Gefahr, nur noch von den Wohlfahrtsvorstellungen der Massen bestimmt zu werden. Das bedeutet, daß der Sozialismus von Konsumgewohnheiten und Konsumvorstellungen manipuliert wird, die er registriert und zu realisieren sucht.

Die Aussichten, daß die Anliegen gläubiger Katholiken, die ihren politischen Standort nicht in einer „bürgerlichen" Partei, sondern im Sozialismus gefunden haben, auf der Ebene der Pfarren verstanden werden, schätzt der Verfasser freilich nicht allzu hoch ein. Pfarren und Pfarrvolk sind vielfach kleinbürgerlich strukturiert, oft ungeeignet, die Arbeiterschaft in ihren kleingesellschaftlichen Verband aufzunehmen. Dazu kommt, daß die Pfarr- gesellschaft nicht nur keine offene Gruppe darstellt, sondern auch nicht selten der Menschlichkeit und der christlichen Liebe entbehrt, die nun einmal da sein müssen, damit das Pfarrvolk nicht zu einer in sich verschlossenen Kleinstgruppe wird. Wie sehr scheint es aber geboten, auch den Sozialisten im innerkatholischen Bereich einen Wirkungsraum zu bieten I Wenn sozialistische Katholiken nicht ambivalent leben können, im Pfarrvolk und in der sozialistischen Bewegung, fehlt ihnen die Möglichkeit voller Glaubensbezeugung.

Wenn man die Frage von Kirche und Sozialismus nur vom pastoralen Standpunkt aus betrachtet, jenseits politischer und vor allem parteipolitischer Aspekte, ist die Denkschrift stärkster Beachtung wert, stellt sie doch ein Zeugnis einer beachtlichen Anpassung gläubiger Christen an die Welt dar, in der nun einmal der Sozialismus eine nicht wegzudiskutierende Wirklichkeit ist.

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