An der versperrten Pforte Europas

Werbung
Werbung
Werbung

Reise durch den nicht anerkannten Staat Nordzypern, dessen große Geschichte sich mit der durch die türkische Invasion 1974 geschaffenen Isolierung und Rückständigkeit schlägt.

Hier steht sie noch, die Mauer. Mag der Eiserne Vorhang im Rest Europas Geschichte sein, Aphrodites Reich bleibt geteilt. Varosha, Nordzypern. Mahnmal und offene Wunde der gespaltenen Mittelmeerinsel. Am Ende der Straße, die von Famagusta aus am Meer entlang nach Süden führt, steht der Zaun. Nicht Draht, nicht Beton, nicht Bretterwand markiert die Grenze - ein schwarzes Tuch ist meterhoch gespannt. Ein rotes Pappschild, darauf die Schablone eines mit einer MP bewaffneten Soldaten, warnt in fünf Sprachen: "Verbotene Zone“. Wie aus Trotz neigt eine Palme ihr Haupt über die düstere Gardine hinüber. Hinter dem Vorhang ragen die Skelette einstiger Hotelhochhäuser wie kariöse Weisheitszähne in den Himmel. Sie wurden nie vollendet, waren noch Rohbauten, als die türkische Armee 1974 mit der "Operation Attila“ in einem zehntägigen Handstreich das nordöstliche Drittel Zyperns einnahm, um der türkisch-zyprischen Inselminderheit ein Protektorat zu schaffen.

Wo einst der Tourismus blühte

Die Hochhausleichen bilden eine Geisterstadt direkt am Meer. Die Nordseite einer zwölfstöckigen Betonruine hat man zugemauert, zum Meer hin sind die Appartmentrohbauten offen. Aus dem Corpus klaffen Stahlträger. Tourismus perdu. Eine Geisterstadt am Strand. Varosha war bis 1974 die Geldmaschine des Zypern-Tourismus.

Wie Gefallene liegen die monströsen Sonnenschirme am Strand, die Betonfüße in die Luft gestreckt, die Runddächer aus welkem Palmblatt im Sand, die Metallstreben verrostet. Der von Griechen bewohnte und international anerkannte Südteil, die Repubik Zypern, gehört seit 2004 der EU an. Der Süden sieht den Norden als "besetzt“ an. Die Türkei wiederum erkennt nicht die Republik Zypern an.

2004 hätte der gordische Knoten durchschlagen werden können. Doch das von UN-Generalsekretär Kofi Annan initiierte Referendum über die Gründung einer "Bundesrepublik Zypern“ endete mit einem Fiasko. Im Süden, der 30 Jahre lang das Recht seiner Bürger auf Rückkehr postuliert hatte, stimmten zwei Dritteln der Wähler mit Nein. Im Norden, der 30 Jahre für einen eigenen Staat gekämpft hatte, stimmten zwei Drittel für die Einheit.

Seitdem stockt der Einheitsprozess. Die Türkei blockiert noch immer Häfen und Flughäfen für Schiffe und Flugzeuge aus der Republik Zypern. Die EU hat ihr Versprechen, direkte Handelsbeziehungen mit Nordzypern aufzunehmen, nicht gehalten. Es käme auch einer Anerkennung der TRNZ gleich.

In einem geteilten Land

Heute leben im Nordteil etwa 265.000 Menschen, 115.000 sollen übergesiedelte Festlandtürken sein. Im Süden leben knapp 800.000 Menschen. Das jährliche Bruttoinlandsprodukt im Süden beträgt rund 20.000 Euro pro Kopf. Im Norden ist es etwa ein Drittel. Der Süden hat den Norden abgehängt. Famagusta, griechisch Amóchostos, türkisch Gazimagusa. Um neun Uhr abends schläft die Stadt längst, die tagsüber Geschichte atmet.

Vergangenheit wohin man schaut: die Bastionen der Venezianer, die Reste ihres Gouverneurpalastes, die Relikte des gotischen Franziskanerklosters und zahlloser Kirchen aus der Zeit des Richard Löwenherz und der Lusignan-Könige. In den Rabatten eines Cafés liegen sauber aufgestapelt die Kanonenkugeln aus der Zeit der osmanischen Eroberung 1571, in den Chorgewölberuinen nisten die Tauben.

Am Ende einer Seitengasse treffe ich im Schein der Straßenlaternen auf die "Pension Kösk“. Ich bin der einzige Gast. In ihrem früheren Leben, noch zu britischer Zeit, war die Pension ein Spital. Heute wirkt alles morbide und gestrig: der Steinfußboden mit orientalischen Ornamenten, die welken Stechpalmen vor der Tür, der Hinterhof mit arabischem Hockklo, das Schlagen der Wanduhr. Über der Rezepetion wacht Atatürk von einem Bild. Im Regal steht ein Einmachglas mit einer eingelegten Schlange, vielleicht eine hochgiftige Levante-Otter, deretwegen Zyperns Bauern früher bei der Feldarbeit hüfthohe Lederstiefel trugen.

"Kösk“ heißt "Villa“. Am nächsten Morgen begrüßt mich der Villenbesitzer Osman Nalbantoglu wie einen lang erwarteten Staatsgast. Osman, eine freundliche wie aufgeschlossene Erscheinung, sagt: "Ich will ein Zypern.“ Die Realität: Er war soeben für zwei Wochen zur Reserveübung im Pentadáktylos, dem "Fünffinger-Gebirge“, das die nördliche Küstenregion vom Landesinneren trennt. Zwei Wochen Krieg simulieren im Schatten der byzantinischen Burgruine Sankt Hilarion. Osman war zehn bei der "Operation Attila“. Er sagt, er sei in Amóchostos geboren. Mit Absicht wählt er den griechischen Ortsnamen. Das ganze Türkei-Türkische geht ihm zu weit. Die Festlandtürken seien in Nordzypern längst in der Mehrheit.

Integrierte und unintegrierte Türken

Diejenigen, die 1974 im Gefolge der "Operation Attila“ gekommen seien, hält Osman für integriert. Aber die, die später kamen und jetzt noch kommen, die passten nicht so recht her: viel Glauben an Allah, wenig Bildung, die Frauen alle mit Kopftüchern. Und dann die Sache mit den Pässen. Zwei Pässe habe er: den EU-zyprischen Pass und den türkisch-zyprischen Paß. "Mit dem EU-Pass kann ich überall hin, mit dem anderen nur in die Türkei, aber nicht einmal in den griechischen Teil Zyperns!“ Osman trägt es süffisant vor.

"Ich kann nur in die Türkei!“, ruft Jusuf dazwischen. Jusuf Bayraktar, der Nachtpförtner der Villa, hat nur den Pass der TRNZ. Damit besucht er ab und an seine Verwandten in der Türkei. Mit der Fähre. "Zehn Stunden Schaukelei über das Meer!“ Jusuf kam 1975 mit der Familie aus Mersin. Bayraktar heißt "Fahnenträger“, erklärt Jusuf stolz. Unter Atatürk durften sich die Türken ihre Nachnamen selbst aussuchen, zuvor gab es keine Familiennamen. Auf Bayraktars Fahne stehen gewissermaßen die Einheit Zyperns und der, nun ja, Euro-Islam. Gläubiger Moslem, kein Alkohol, aber in die Moschee geht er nicht.

Der Achtundvierzigjährige jobbt bei Osman, um Frau und drei Kinder durchzubringen. "Ich bin arm geblieben“, sagt er. Manchmal erzeugt Armut Aversionen. Und so rechnet der sonst so stille Fahnenträger mit der Welt ab. Die Amerikaner: "Diese Imperialisten! Sie wollen immer mehr!“ Die Kurden: "Wir sind doch seit tausend Jahren ein Volk!“ Die Pleiteländer der EU: "Rumänien! Bulgaristan! Spanien! Griechenland! Alle wollen sie das Geld der EU. Das Geld von Deutschland!“ Daheim dagegen hat sich vieles gebessert- Vor fünf Jahren, erzählt Jusuf, sei das Leben in Türkisch-Zypern noch viel teurer gewesen. Der Handel mit der Türkei habe vieles billiger gemacht. "Die Türkei ist ein reiches Land mit einer starken Wirtschaft!“ Die türkische Fahne, sie steht fest im Wind. Osman lächelt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung