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Angriff auf Wohlstand und Demokratie?

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Die „Globalisierung” verursacht Aufregung und Verunsicherung. Dabei ist diese Entwicklung schon seit Jahrzehnten in Gang.

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Die „Globalisierung” verursacht Aufregung und Verunsicherung. Dabei ist diese Entwicklung schon seit Jahrzehnten in Gang.

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Das Wort des Jahres 1996 war „Globalisierung”, obwohl die Entwicklung, die jetzt mit „Globalisierung” soviel Aufregung verursacht, schon seit Jahrzehnten unterwegs ist. Aber bisher hat sie niemand beunruhigt. Plötzlich bedeutet Globalisierung „Angriff auf Demo-kratie und Wohlstand” (siehe dazu beispielsweise Furche Nr. 47/1996 und Nr. 25/1997, Anm. d. Red.).

Richtig daran ist, daß wir im 21. Jahrhundert vor einem gesellschaftlichen Wandel' stehen, der sämtliche Bereiche menschlicher Existenz erfassen wird und auf den wir nicht vorbereitet sind. Nach wie vor klammern sich viele Österreicher an die Hoffnung, wir könnten im Herzen von Europa Insel der Seligen spielen, von der Weltwirtschaft sozusagen als Indianerreservat übersehen und vom Gang der Entwicklung ausgeschlossen werden.

Tatsache ist jedoch, daß Österreich weitgehend von der Entwicklung der Weltwirtschaft abhängt. Und alle Experten - auch die, die lauthals vor der Bedrohung der Demokratie und einer angeblich drohenden Verarmung warnen - geben zu, daß wir die Entwicklung hin zur Globalisierung genausowenig aufhalten können wie wir die Erdumdrehung stoppen können, l WÄv- : W

Wir müssejjj uns diesßtHerausfqj^ derung stellen, ob wir wollen oder nicht. Natürlich; wie immer, wenn gefährliche Entwicklungen sich abzeichnen, ertönt der Schrei nach Abschirmung, nach dem Errichten von Schutzmauern (Festung Europa), konkret nach Schutzzöllen, Handelshemmnissen, Entliberalisierung des Welthandels und anderes.

Bettelarmes Europa

Dabei könnte Europa und damit auch Österreich durchaus Gewinner dieser Entwicklung sein; denn seit Bicardo das Gesetz der komparativen Kostenvorteile postulierte (1827) wissen wir, daß jede Arbeitsteilung einen Wohlstandsgewinn erzeugt.

Natürlich erinnern wir uns nicht mehr, daß Europa im 17. und 18. Jahrhundert ein bettelarmer Kontinent war, genauso arm, wie Südostasien es noch vor 50 Jahren war und teilweise heute noch ist (Vietnam, Bangladesh, Burma). Dieser Wohlstandsexplosion im 19. Jahrhundert verdanken wir diese Arbeitsteilung - damals innerhalb Europas - und der Marktwirtschaft; aber dieser „Kpitalismus pur” brachte nicht nur Wohlstand, den wir heute bis zum letzten Arbeitslosen hinunter genießen, sondern es entstand zunächst auch der Elendsproletarier.

Dieses Massenelend im frühen 19. Jahrhundert ist aber nicht auf den Kapitalismus zurückzuführen, sondern auf die Bevölkerungsexplosion, die wiederum durch den rapiden Rückgang der Kindersterblichkeit verursacht wurde. Und die Geschichte wiederholt sich: Das sind auch heute genau die gleichen Ursachen, die das Massenelend in der Dritten Welt verursachen. Hayek dazu: Natürlich ist der Kapitalismus für die Existenz des Proletariers verantwortlich, denn ohne ihn wäre er verhungert.

Und auch die Argumente haben sich in 150 Jahren kaum verändert: Der Wohlstandsgewinn durch die Globalisierung komme ja nicht allen zugute, sondern „nur” den „global players”, den heute auf zirka 40.000 geschätzten „Multis”; leider haben von ihnen nicht viele in Österreich ihren Standort, was man durchaus der österreichischen Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik der vergangenen Jahre anlasten kann.

Man blendet aus, daß Schumpeter schon 1911 in seiner „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung” postulierte, daß jede wirtschaftliche Entwickung nur mit Zeitverzögerung zur allgemeinen Wohlstandsvermehrung führt.

Zunächst einmal entsteht eine enorme Ungleichverteilung der entstehenden Gewinne (Primär-Kapita-lakkumulation) beim „Pionier-Unternehmer”, die dann - und zwar durch die moderne Verteilungsdemokratie wesentlich rascher als im 19. Jahrhundert bis zum letzten Arbeitslosen „durchsickert”.

Aber noch etwas hat sich seit dem 19. Jahrhundert geändert Diese „global players”, die heute die Schumpe-ter-Funktion des Pionier-Unternehmers ausüben und denen heute (angeblich) der gesamte Wohlstandsgewinn dieser Globalisierung zufällt, sind längst nicht mehr jene „häßlichen Kapitalisten”, von denen der Feindbild seine ideologische Daseinsberechtigung ableitete. Nicht nur Kapital, Wissen, Standort sind heute globalisiert, sondern es gibt genauso die „global sharehol-ders”.Der heute ent-st&rtfllP^ Profit kommt weitgehend den weltweit agierenden institutionellen Anlegern zugute (und auch die Österreicher entdecken immer mehr diese Gewinnbeteiligung über die Investmentfonds). Gelänge es zum Reispiel über die pension funds alle Österreicher zu Aktionären zu machen, wäre zumindest dieser Aspekt der Globalisierung entschärft.

Aber es gibt noch andere Aspekte. Denn die Globalisierung bezieht Volkswirtschaften der Dritten Welt in die Weltwirtschaft ein, schafft Arbeitsplätze und damit Wohlstand in Ländern, die noch vor kurzem als Entwicklungsländer eingestuft wurden. Heute sind sie längst Schwellenländer und bald vollwertige Mitglieder der Weltwirtschaft.

Vor 50 Jahren war das Japan, gestern waren es die „vier kleinen Tiger”: Taiwan, Südkorea, Hongkong, Singapur, heute sind es Malaysien, Thailand, die Philippinen, Indonesien und morgen China und viele andere.

Vergessen wird auch, daß Entwicklungshilfe noch vor kurzer Zeit das herrschende Lieblingsthema gerade der Linken (Schweden) war; heute ist es still geworden. Billionen wurden an diese Entwicklungsländer verschenkt oder zinsengünstig verborgt. (Langfristig müssen übrigens auch diese Anleihen geschenkt werden, da sie nicht zurückgezahlt werden können.)

Der Effekt ist mehr als ernüchternd. Die Hälfte dieser Summe sind überhaupt durch Korruption und Mißwirtschaft wirkungslos versichert, die Effizienz des Bestes ist mehr als zweifelhaft. Die Globalisierung bezieht nun diese ehemaligen Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft ein - allerdings nicht die „Lieblingskinder” der Linken wie das sozialistische Tanzania - aber in einigen Jahrzehnten auch diese.

Die „bösen” Multis?

Millionen Arbeitsplätze werden geschaffen, die Infrastruktur aufgebaut, es entstehen wohlhabende Mittelschichten, genau das, was die Ideologen der Entwicklungshilfe auch anstrebten, aber niemals erreichten.

Bleibt das Problem der bedrohten Arbeitsplätze und vor allem der Sozialleistungen. Österreich mit seinen Arbeitskosten von 263 Schilling pro Stunde (1995), aber Direktlöhnen von nur 130 Schilling (brutto!) hat da besondere Probleme. Die Wettbewerbsfähigkeit bestimmt immer die Lohnstückkosten, also Arbeitskosten plus Produktivität. Hier hinken die Schwellenländer noch nach, aber sie holen rasch auf und das schneller, als es uns lieb ist. Und nicht nur Südostasien, Indien werden zur Konkurrenz, sondern noch stärker unsre Nachbarn, Tschechien, Ungarn, Polen. Zwar steigen überall dort auch die Lohnkosten explosiv, das ist aber keine Beruhigung, denn immer neue Entwicklungsländer mit noch niedrigeren Lohnkosten werden nachfolgen (zum Beispiel Ukraine).

Wir müssen zur Kenntnis nehmen - und wir können eigentlich gar nichts dagegen unternehmen - daß das weltweite Wirtschaftssystem, von dem wir alle profitieren, einem „Faktorenausgleich” systemimmanent zustrebt: Die Kosten für den „Produktionsfaktor Arbeit” können nur soweit differenzieren als sie durch den Produktivitätsunterschied gerechtfertigt sind. Gibt es einen vollkommen freien, das heißt durch keine Hemmnisse verzerrten Weltmarkt, dann streben - auch unter dem Postulat einer weltweiten Gerechtigkeit - die Lohnstückkosten weltweit einem Gleichgewichtszustand zu; jede Abweichung wird langfristig mit Arbeitslosigkeit bestraft. Diese Lohnstückkosten werden aber nicht nur durch die Arbeitskosten (Lohn plus Lohnnebenkosten) bestimmt, sondern genauso durch den Kapitaleinsatz. Kosten des Kapitals, die „human ressources” (Ausbildung, Kreativität, Motivation der Mitarbeiter), der Leitungsfähigkeit des Wirtschaft- und des politischen Systems. Und hier haben wir in Europa noch(!) - einen Vorsprung. Es liegt auch durchaus an uns, diesen zu halten.

Globalisierung als Gefahr der Demokratie? 50 Jahre lang ist es gelungen, einen rasant steigenden Wohlstand „sozialgerecht”, das heißt, ohne größere soziale Spannungen, zu verteilen.

In Zukunft ist ein wesentlich kleineres Wachstum nur unter beträchtlich größeren Anstrengungen zu erreichen. Sicher ein Gefährdungspotential für unsere demokratischen Strukturen.

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