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Angst vor der Macht?

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Nie zuvor in diesen 24 Jahren der Zweiten Republik geschahen der SPÖ seitens der öffentlichen Meinung größere Gunstbezeugungen als. gerade jetzt, rund sechs Monap vor dem Tag, an dem. es wieder im Ermessen der Stimmbürger liegen wird, zu entscheiden, welche Richtung Österreichs politische Zukunft einschlagen soll. Glück für die SPÖ?

— Es fällt schwer, dies zu konstatieren, angesichts der Großen-Koali- tions-Fürsprache zweier gewichtiger sozialistischer Funktionäre. Die beiden, ÖGB-Präsident Benya und Zentralsekretär Probst, meinten jüngst und unabhängig voneinander, eine Große Koalition sei geeigneter als alles andere, der politischen Probleme Österreichs in den siebziger Jahren Herr zu werden. Angst vor der Macht oder die hohe Schule des Unter spielens?

Eine Auffassung teilen beide: anscheinend eine gewisse Skepsis vor der Substanz Kreiskys, der als erster in der langen Reihe sozialistischer Politiker berechtigte Chancen auf den Bundeskanzler in Österreich hat. Benyas Skepsis ist rationaler Art. Er, der fraglos mehr in der Welt der Löhne und Preise daheim ist als in jener der utopischen Modelle, ließ schon in seiner Rede vor jenem sozialistischen Parteitag, der sich dann doch für die Wahl Kreiskys zum Vorsitzenden entschied, ahnen, daß er der Persönlichkeit des SP- Diplomaten nicht vorbehaltlos zustimmt. Benya muß es heute stellvertretend für die 1,5 Millionen Gewerkschafter bekümmern, wie eine sozialistische Regierung erwirtschaften möchte, was sie bereits heute, jedenfalls programmatisch, verteilt hat. Soweit der ÖGB-Präsident die Propagandaeffekte solcher Verteilerpläne vor Augen hat, neigt er eher zum Mitspielen; denkt er freilich ans Erfüllen in der Nacht, so ist er um den Schlaf gebracht.

Wie denn auch anders, da doch der pragmatische Benya nie vergessen hat, daß weder zwei mal zwei noch zwei plus zwei fünf geben. Wenn er daher in der ÖIG-Frage jene Wendigkeit vermissen läßt, die Kreisky mit Blick auf die öffentliche Meinung so perfekt beherrscht, dann hat diese Härte Methode; zwar keine, die die Wahlchancen der SPÖ belebt, aber eine, die an Wirkung über den magischen Termin des 1. März 1970 hinausreicht.

Denn was kann Benya (denkt er an die Potenz seiner Funktion) denn wirklich an einer sozialistischen Alleinregierung unter einem Bundeskanzler Dr. Kreisky liegen? Zum erstenmal im republikanischen Dasein Österreichs wäre ein Gewerkschaftsbundpräsident dann verdammt, aus parteipolitischen Motiven den Ruf nach höheren Arbeitnehmereinkommen bei stabilen Preisen in einer selbstredend wachsenden Wirtschaft bestenfalls in einem Gespräch unter vier Augen an Kreisky heranzutragen. Freilich weiß niemand besser als Benya, daß das Prestige eines Gewerkschaftsführers mit der Durchsetzung von Forderungen steht und fällt. Und aus dem Erfahrungsschatz seiner britischen Gewerkschaftskollegen Jenkins, Scanlon, Feather und Jones mag ÖGB-Präsident Benya zumindest eines gelernt haben; wie verdammt schwer es sein kann, mit einer Arbeiterregierung Kirschen zu essen.

Revolutionär sind Österreichs Gewerkschafter nie gewesen. Stets haben sie eine Aufgeschlossenheit gegenüber den Gesetzen der Volkswirtschaft gezeigt. Ob der ÖGB-Prä- sident nun Böhm, Olah oder auch Benya hieß, allen drei gelang es, radikale Strömungen in der Gewerkschaft stets mit dem Hinweis einzudämmen, daß gegen vom „Kapitalismus“ inspirierte schwarze" Bundeskanzler und Finanzminister eben nur das Bestmögliche herauszuholen sei: sechs, sieben Lohnprozent jährlich mehr.

Im übrigen aber vertrösteten sie den linken Flügel mit der Hoffnung auf eine sozialistische Gesellschaft, die, unter Berufung auf jenen Karl Marx, ohnedies beschlossene Sache der geschichtlichen Entwicklung sei. Nun, Kreisky an der Spitze einer monokoloren sozialistischen Regierung ist, wie könnte es auch anders sein, gewiß keine Gewähr für die Erfüllung dessen, wovon Gewerkschaftsfunktionäre seit eh und je für die überwiegend apathischen Gewerkschaftsmitglieder . träumen: höhere Löhne bei kürzerer Arbeitszeit, stabilen Preisen und wachsendem Sozialprodukt. Von der Traum- haftigkeit solchen Denkens ist Benya sicherlich überzeugt: nur mit solchen Träumen lebt sich’s besser, läßt sich’s gut energisch sein. Und damit alles bleibt, wie es ist, soll es werden, wie es vor 1966 war, also: die Rückkehr zur Großen Koalition, Mit dem gehabten Regierungsinterieur: einen „schwarzen Finanzminister, einen „schwarzen" Handelsminister und, sei’s drum, auch einen „schwarzen“ Bundeskanzler.

Otto Probsts Skepsis gegenüber einem Bundeskanzler Dr. Kreisky liegt, anders als bei Benya, mehr auf der ideologischen Ebene. Den Gewichtsverlust des sozialistischen Wien in Kreiskys politischer Rechnung verzeiht schon der Favoritner Parteiobmann seinem Parteivorsitzenden nicht so leicht, noch weniger aber die rhetorische Abkehr von den alten sozialistischen Heilsvorstellungen. Ob es sich dabei um „kapitalistische“ Tendenzen im sozialistischen Wirtschaftsprogramm oder aber um die Aufgabe von ehernen sozialistischen Wohnraumbeschaffungsdog- men handelt, diese Richtung kann einem Zentralsekretär nicht passen, der mit der Milch der austromarxi- stisčhen Denkungsart großgezogen wurde. Vielleicht ein wenig simpel in der Einschätzung, ist ihm Kreisky mehr der sozialistische Philosoph, der analysiert, als der profilierte Politiker, der die Gesellschaft nach sozialistischen Kriterien formt. Ein Kreisky an der Spitze einer sozialistischen Regierung brächte den Sozialismus um keine Spur weiter, hingegen viele Träume, für die sich’s bislang zu reden lohnte, um ihre Attraktivität.

Daß diese Logik freilich die SPÖ als eine Partei aufzeigt, die sich selbst nicht zutraut, die volle Regierungsverantwortung zu übernehmen, ist das kalkulierte Risiko Benyas und Probsts. Sie wirken selbst dann nicht mutiger, wenn bereits heute in kleingläubiger Verzagtheit den Wählern die bürgerliche Garantie einer sozialistisch geführten Bundesregierung suggeriert wird...

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