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Anti-Atom-Amoklauf in ohnehin heikler Situation

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Befremden herrscht bei den Nachbarn über unsere durch den Boulevard diktierte Anti-AKW-Sprache. Populistische Protestaktionen lösen Probleme nicht.

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Befremden herrscht bei den Nachbarn über unsere durch den Boulevard diktierte Anti-AKW-Sprache. Populistische Protestaktionen lösen Probleme nicht.

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Nach Krsko in Slowenien und Temelin in Tschechien ist jetzt das Atomkraftwerk Mochovce in der Slowakei das Ziel massiver österreichischer Attacken geworden. Die Ausgangslage ist klar: Nach Tschernobyl können derartige Bauten nicht einfach ohne Einwand hingenommen werden. Und derartige Risikofaktoren knapp an unserer Grenze müssen begründete Ängste und Sorgen auslösen.

Problematisch wird die österreichische Position allerdings durch den Umstand, daß sich der Kampagne-Journalismus des Wiener Boulevards dieses Themas bemächtigt hat. In den publizistischen Breitseiten ist, wie immer in derartigen Fällen, nicht die mindeste Ausgewogenheit zwischen Argument und Gegenargument zu finden, sondern mit dem Holzhammer wird durch Mobilisierung der emotionalen Effekte auf die Nachbarn losgegangen, die sich zum überwiegenden Teil in einer schwierigen Situation befinden. Alle unsere östlichen Nachbarstaaten haben mit der kommunistischen Erbschaft das Danaergeschenk einer künstlich aufgeplusterten Schwerindustrie übernommen. Gleichzeitig haben sie mit strukturellen Energieproblemen zu kämpfen, die von den seinerzeitigen KP-Regimen in Tschechien, in der Slowakei und in Slowenien mit dem Umstieg auf Atomenergie zu lösen versucht wurde.

Die österreichischen Anti-Atom-Proteste gegen die kommunistischen Regierungen dieser Länder hielten sich damals in Grenzen. Jetzt, da überall demokratische Regierungen im Amt sind, besarin sich Osterreich plötzlich auf eine ungleich forschere Sprache, deren Tonart vom Roule-vard instrumentiert wird. Dieser Umstand löst in unseren Nachbarländern zunehmendes Befremden aus, und man versteht dort auch nicht, daß es zum Beispiel gegen die großen deutschen Atomkraftwerke der Nach-Wackersdorf-Ära kaum österreichische Proteste gibt, während die österreichischen Interventionen gegen die kleinen östlichen Nachbarländer an Vehemenz immer noch zunehmen. Unverständlich ist wohl auch, daß Österreich einerseits die Fahne der radikalen Atom-Politik schwingt, gleichzeitig aber Stromverträge mit der Ukraine (Tschernobyl!) abgeschlossen hat.

Der vorläufige Höhepunkt dieser Kampagne war bekanntlich der Plan, im Austria-Center in Wien ein Hearing mit den Betreibern des Atomkraftwerkes Mochovce zu veranstalten, an dem 5.000 Menschen hätten teilnehmen sollen. Man kann sich aufgrund einschlägiger Erfahrungen vorstellen, welcher sachliche Effekt, welche Möglichkeiten wirklicher Aufklärung es bei einem solchen Massenwirbel gegeben hätte, der natürlich von den entsprechenden Schlagzeilen des Boulevards begleitet worden wäre. Es kann daher nur wenig verwundern, daß weder die slowakischen Mehrheitseigentümer von Mochovce noch die französische Elektrizitätsgesellschaft, die an Mochovce nun beteiligt ist, an einer solchen öffentlichen Hinrichtung teilnehmen wollten. Offizielle österreichische Proteste folgten jedoch dieser Absage auf dem Fuß, ohne daß irgend ein Offizieller in Österreich bisher auf die Idee gekommen wäre, nach den psychologischen Folgen zu fragen, die ein solcher Stil der Politik in unseren Nachbarländern zwangsläufig auslösen muß.

Niemand in Österreich stellte auch die Frage, wie denn die Reaktion in unserem Land aussehen würde, wenn in einem unserer Nachbarländer in so aggressiver Weise gegen ein Projekt auf unserem Territorium Stimmung gemacht würde. Und so legitim es ist, Bedenken gegen Atomkraftwerke in Grenznähe nachhaltig zu erheben, muß doch auch gefragt werden, ob sich das kleine Österreich nicht überhebt, wenn es jetzt auf einmal zum rückhaltlosen Kampf gegen jegliche Atomenergie in Europa bläst. Schwanken wir Österreicher wirklich zwischen Minderwertigkeitskomplex und Größenwahn?

Die fatalsten Auswirkungen dieser österreichischen Politik bestehen aber zweifellos darin, daß wir durch ein solches unsensibles Verhalten die einzigartige Chance der Gegenwart verspielen, mit unseren Nachbarländern in eine neue Phase der Freundschaft und der engen Zusammenarbeit einzutreten. Das Bingen um den österreichischen EU-Beitritt hat die österreichische Aufmerksamkeit ohnehin in starkem Maß nach Westen gelenkt. Konkrete Vorstellungen oder gar Visionen für den Ausbau der Zusammenarbeit mit Laibach, Preßburg und Prag bestehen nur rudimentär. Wir Österreicher befassen uns mit diesen Ländern nicht einmal ansatzweise so stark wie etwa die Deutschen mit den Franzosen und Polen. Der Vorschlag eines österreichisch-tschechischen oder eines österreichisch-slowenischen Jugendwerkes wird nirgends diskutiert.

In diese ohnehin heikle Situation tritt nun noch der österreichische Anti-Atom-Amoklauf hinzu, den unsere Nachbarländer als überzogen, ja als unfreundlich, unrealistisch und provokant betrachten müssen. Denn sie haben in Wirklichkeit gar keine Wahl: Sie können aufgrund der von den Kommunisten geschaffenen Infrastruktur zur Zeit aus der Atomenergie gar nicht aussteigen, und können nur versuchen, mit westlicher Nachrüstung wenigstens die ärgsten Gefahren ihrer Atomkraftwerke zu beseitigen. Österreich sollte dabei seine konkrete Hilfe anbieten und es nicht bei populistischen Protestaktionen bewenden lassen, die die wirklichen Probleme nicht lösen und nur das gegenseitige Klima vergiften können.

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