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Antrag auf Schlub der Debatte

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Der 12. Februar 1934 gehört nunmehr der Geschichte an. Es ist Zeit, jetzt einen endgültigen Strich unter diesen Tag za setzen. Bleiben soll nur die Achtung vor ehrlichen Oberzeugungen, die in beiden Lagern harte Opfer brachten. Wenn wir dem versöhnlichen Ausklang dieses schmerzvollen innerpolitischen Ereignisses noch ein Nachwort widmen, dann deshalb, um unser Land dem Ausland gegenüber vor folgenschweren Mißdeutungen und hochverdiente Österreicher vor ungerechter Verfolgung zu schützen.

Kürzlich hat ein ausländischer Staatsmann vorgeschlagen, man sollte die Propaganda für fünf Jahre verbieten, dann würde vieles von • selbst genesen. Der Sprecher meinte damit jene Art von Propaganda, wie sie das Dritte Reich handhabte nd wie sie selbst heute noch breite Kreise verwirrt. Zu solcher Propaganda gehören bei uns in Österreich die beiden so mißbräuchlich abgewandelten Begriffe: Demokratie und Austrofaschismus.

Man muß es durchaus nicht mit Rousseau halten, der die Demokratie als nur von Göttern anwendbar hinstellte, es genügt daran zu erinnern, daß die Demokratie je nach Zeitumständen recht verschiedene Formen zeigt und daß sie bisweilen auch beträchtlich eingeschränkt worden ist. Kein anderer als Ignaz Seipel, dieser Verteidiger der Demokratie, sagte einmal, daß in mancher Schicksalsfrage eben die selbstverantwortliche Führung nottut, die selbst bessere Parlamente nicht zu ersetzen vermögen. Diesem Gedanken trägt die amerikanische Verfassung ausdrücklich Rechnung, indem sie dem Präsidenten der Union gegenüber dem Parlament größere Machtvollkommenheit verleiht, als sie noch im Habsburgerreiche die Herrscher der ältesten Dynastie Europas besaßen. So konnten Wilson und Roosevelt über diktatorische Vollmachten verfügen. Aber auch die Demokratien des europäischen Westens haben solche Einschränkungen, jeweils durch Notstände begründet, geübt und an Clemen-ceau und Lloyd George vergeben. So waren denn auch die zahlreichen autoritären Regierungen, die nach 1918 in Europa auftraten, kein Zufall und noch weniger der Ausdruck lediglich persönlicher ehrgeiziger Leidenschaften — wer solches behaupten wollte, würde eine schlechte Geschichtsprüfung ablegen. Es bildeten sich solche Erscheinungen überall dort, wo große Krisen mit den vorhandenen Mitteln nicht mehr für den Staat zu meistern waren.

So war es später auch in Österreich, als die Kraft des bisherigen Parlamentarismus in unfruchtbaren Parteienkämpfen erschöpft worden war, die Geltung der beiden großen Staatsparteien, der Rechten und der Linken, in ihren eigenen Reihen an dieser Hilflosigkeit der bisherigen demokratischen Einrichtungen gegenüber den Staatsaufgaben schwer gelitten hatte und zur selben Zeit der Einbruch des Nationalsozialismus mit allen drohenden Konsequenzen seines Annexionswillens begann. Eine schwere Staatskrise war zu bewältigen. In dieser verzweifelten Lage suchten Österreicher, deren tiefe Vaterlandsliebe nicht einen Augenblick in Zweifel gestellt werden kann, durch einen Ausbau der bisherigen Einrichtungen in eine berufsständisch aufgebaute Demokratie eine Reform herbeizuführen, die an Stelle der parteipolitischen die organisierte Demokratie des arbeitenden und schaffenden Menschen setzen sollte. Die dies wollten oder ihnen in diesem Reformplan folgten, das sind jetzt die „Austrofaschisten“.

In Wirklichkeit liegt hier eine ebenso unbedachte wie bedauerliche Geschichts- und Wortumdeutung vor. Der autoritäre Kurs In Österreich von 1933 bis 1938 hat nicht nur nicht das geringste mit dem Hitlerismus deutscher oder italienischer Prägung zu tun, er war ganz im Gegenteil das erste Staatssystem innerhalb der gesamten Staatenwelt, das Hitler offen entgegentrat, das mit grimmiger Entschlossenheit unter großen Opfern — weil damals ganz allein am Schauplatz — den ersten Sturmbock gegen die hereinbrechende Gefahr bildete und das durch echt österreichische Haltung im Juli 1934 Hitlers Schreckensherrschaft für. Europa um vier Jahre hinausschob. Daß es nicht für immer gelang, das zu verantworten, liegt nicht bei Österreich.

Das sind — losgelöst von polemischer Deutung — die wirklichen Zusammenhänge. Doch man hat auch noch gesagt, Österreich habe durch seine Anlehnung an Italien und durch die „Römischen Protokolle“ „Hand in Hand mit dem Faschismus“ die Demokratie verraten. Wann hat es ein kleiner Staat leicht gehabt, eine allen seinen Wünschen entsprechende außenpolitische Anlehnung zu finden, namentlich wenn er dem mächtigen Partner nichts anderes zu bieten hatte als nicht greifbare, wenn auch vielleicht künftig wichtige Vorteile der geo-politischen Lage, wie etwa Österreich gegenüber Italien? Oft diktieren die Zeitumstände zwangsläufig den Kurs. Selbst mächtige Weltreiche haben sich veranlaßt gesehen, vorübergehend mit Hitler-Berlin 'einen Pakt abzuschließen, weil ihnen de* Friede höher stand als die Gefahr, mißverstanden zu werden. Außenpolitik läßt sich nicht mit dem Maßstab innerer Parteipolitik messen, sie will aus der Zeit heraus erkannt werden.

Staatsoberhäupter und Regierungschefs stehen im Rampenlicht der Geschichte und die Kritik ihrer Handlungen ist frei. Auch Dollfuß und Schuschnigg mögen diesen oder jenen Fehler gemacht haben — wie lächerlich erscheint es jedoch, bei ihnen nach Fehlern zu suchen angesichts des Sturzes so vieler Großmachtlenker und Weltreichsstaatsmänner von 1918 bis 1945. Aber selbst wenn auch Fehler der österreichischen Politik vorliegen mögen, man zeige in der Welt Männer, die auf verlorenem Posten unter Verzicht auf Flucht in das Ausland ausharren bis zum letzten Augenblick, die das Äußerste auf sich nehmen und deren einziger Gedanke mir Ehre und Pflicht sind: In Österreich findet man sie. Als Dollfuß sein Land von schwerster Gefahr durch den Hklerismus bedroht sah und an seinen Reformplan herantrat, bekannte er in tiefbewegter Rede vor dem Vorstand seiner Partei, daß er sich den schwersten Mißdeutungen aussetzen müsse und sich bewußt s e i, s e i n Leben daranzusetzen. Mit demselben Pflichtbewußtsein und derselben Ehrenhaftigkeit harrte auch 1938 Schuschnigg aus, bis man ihn in die Gefangenschaft und ihre siebenjährigen Qualen schleppte. — Bei Betrachtung der Jahre 1934 und 1938 geht es letzten Endes nicht um Fragen innerpolitischer Taktik, nicht darum, ob man mit dieser oder jener Regierungsmethode eine zweifellos unhaltbare Lage zu meistern gedachte, auch nicht darum, welche Auslandskräfte dem Staate dienstbar za machen waren — es ging einzig allein um das Ziel, und dieses war damals die Selbständigkeit eines rot-weißroten 'Österreichs, Alle, die für dieses selbständige Österreich kämpften, fielen und litten, waren Österreicher edelster Art, waren Helden, die gegen eine unendlich überlegene tückische Übermacht in die Bresche sprangen, waren Männer, die den feierlichen Dank des Vaterlandes und der ganzen Kulturwelt verdienen.

Aber genug der Argumente. Doch eines muß gesagt werden. Österreich ist, im Verhältnis zu seiner Umwelt gemessen, nach seinen inneren Verhältnissen eine friedliche Insel.

Aber solange aus dem eigenen Lande * unter dem Titel „Austrofaschisten“ Anschuldigungen ertönen, als ob mindestens jeder zweite Österreicher ein Feind der Demokratie, ein verkappter Mitverschworener der Nürnberger Angeklagten wäre und als müsse unter jedes Bett geleuchtet werden, ob nicht darunter ein solcher Schädling des Weltfriedens verborgen wäre — solange werden wir uns nicht wundern dürfen, wenn NichtÖsterreicher, die ihr Urteil nicht aus eigenem nahen Erleben unserer jüngsten Vergangenheit, sondern aus fremden Erkenntnisquellen schöpfen müssen, schließlich an die Gespenster glauben, die ihnen Österreicher vorzaubern. Die Kosten dieses Irrtums zahlt dann unser Land. Wer dies nicht erkennen will, lädt eine schwere Verantwortung vor unserem Volke auf sich.

Österreich ist und bleibt — bald seit einem Jahrtausend — die Brücke zwischen Ost und West, es ist einer der Verkehrspulse Mitteleuropas, Österreich grenzt an sechs verschiedene Nachbarstaaten, es ist ein noch immer anerkanntes geistiges Zentrum. Ein solcher Staat darf sich keinen kleinlichen innerpolitischen Zwist leisten, darf sich nicht in engstirnige Kirchturmpolitik verlieren, er muß sich vielmehr entschlossen freimachen von'gestrigem Parteienstreit und vorgestrigem Haß. Not tut ein vorbehaltloses Bekenntnis zu einem Österreich, das nicht nur aus Emblemen und Regierungsund Parteierklärungen besteht, sondern aus einem einzigen und endlich auch einheitlichen Volk, daß die Gerechtigkeit, nicht bloß als historisch-museale Devise am äußeren Burgtor, sondern als politische Lebensnotwendigkeit betrachtet.

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