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„Kompliziert und dramatisch" nennt Professor Turok die Geschichte des österreichischen Volkes. Wie sehr hat er damit recht! Alt diesem Grund mag auch ein österreichischer katholischer Publizist die gleich eingangs angesprochene Rolle der Österreicher als Soldaten de alten Kaiserstaates anders sehen als ein dem historischen Materialismus verpflichteter sowjetischer Professor. Er glaubt aber deswegen in einem Rußland, dessen Soldaten stolz auf ihrer Brust den Suworow- Orden tragen, nicht unbedingt als „Reaktionär“ verschrien zu werden. Aber Scherz beiseite.

„Kompliziert und dramatisch“ war die Geschichte unseres Volkes, das nach 1918 aus einer jahrhundertealten übernationalen Ordnung über Nacht herausgerissen wurde und von Zweifeln und Minderwertigkeitskomplexen geplagt inmitten eines neuen Katastrophen entgegentreibenden Europas viele Wege und Irrwege ging, bis es mit der im Gefolge des Staatsvertrages 19 55 proklamierten immerwährenden Neutralität jenes feste Neuland erreichte, das ihm möglich macht, in vollkommen neuer Form die alte Friedens- und Vermittlungsaufgabe, der zu dienen zu allen Zeiten das Ziel der besten Österreicher war, zu erfüllen.

„Kompliziert und dramatisch“ waren aber auch die Beziehungen zwischen Rußland und, Österreich in den vergangenen Jahrhunderten. Gar nicht so selten standen dabei Russen und Österreicher in einer Front — denken wir nur an den Siebenjährigen Krieg und an die Feldzüge der napoleonischen Epoche. Andere Zeiten wieder sahen sie als Gegner. Es ist hier nicht der Raum, dies näher auszuführen. Wohl aber darf festgestellt werden, daß es keine gute Politik des Ballhausplatzes war, die während des Krimkrieges Rußland, das nach 1849 Grund hatte, mit der Solidarität Österreichs zu rechnen, vor den Kopf stieß — noch dazu, ohne dabei selbst irgendwelche Vorteile zu ernten. Damals wurden die Weichen für kommendes Unheil gestellt. Darüber soll aber nicht vergessen werden, daß es selbst damals sogar in der Umgebung des Thronfolgers Franz Ferdinand eine Partei gab, die riet, den Draht, nach St. Petersburg — der damaligen Hauptstadt Rußlands — nicht abreißen zu lassen.

Das alles ist Geschichte. Die Entwicklung ist einen anderen Weg gegangen. Sie hat von den Völkern beider Staaten viel Blut und Leid gefordert. Von Österreich blieb nur der Kern. Und der war sieben böse Jahre aus den Atlanten getilgt. Rußland konnte nach großen gesellschaftlichen Umwälzungen und nach einer heroischen Kraftprobe im zweiten Weltkrieg sich nicht nur als Großmacht halten, sondern zu einer der beiden Weltmächte auf- steigen:

Sind aber deswegen kehle Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen?

Wir glauben schon.

Den „Draht nach Moskau“ nicht abreißen zu lassen ist eine Maxime für jede österreichische Politik, die für sich in Anspruch nimmt, den von Bundeskanzler Julius Raab mutig eingeschlagenen Kurs geradlinig fortzusetzen. In der Sowjetunion hat man seit 1955 wiederum in immer stärkerem Maße erkannt, welche Rolle einem freien, unabhängigen und neutralen Österreich in einem europäischen Sicherheitssystem zukommt. Diese Zone der Entspannung und Begegnung in Mitteleuropa nicht stationär zu halten, sondern wachsen und sich entfalten zu lassen, wäre einer Bemühung aller in die Zukunft blik- kender Kräfte wert. Da und dort.

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