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Asiens fünftes Feuer

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Der Staatsstreich in Indonesien vom 30. September ist durch die Initiative der Armee beendet worden, aber erst jetzt beginnt die eigentliche politische Krise im Reich der 3000 Inseln. Sukarno, der ja eine mehr als rätselhafte Rolle während des Aufruhrs spielte, mußte wohl oder übel der Armee ein freundliches Gesicht zeigen, obwohl er innerlich noch immer seiner Nasa-kom-Liebe, jener Koalition der Nationalisten mit den Kommunisten, ergeben ist. Er stand unschlüssig und zaudernd vor zwei Türen:

• Entspricht er den Wünschen der Armee, die Kommunistische Partei Indonesiens (PKI) vollkommen auszurotten, verliert er einmal die Unterstützung Pekings, was für ihn natürlich keine erfreuliche Sache ist, da Indonesien ja auf internationaler Ebene gänzlich isoliert ist. Auf der anderen Seite würde er ein Gegengewicht in seinem Balancespiel mit der Armee aus der Hand geben, das seine persönliche Diktatorposition gefährden würde. (Sukarno ist noch immer das „Symbol der Republik“, obwohl er keine Macht mehr besitzt.) Die PKI würde dann einen Guerillakrieg mit Mao Tse-lungs Taktik fortsetzen, was natürlich alles andere als den Frieden zur Folge hätte.

• Wenn er seinen prokommunistischen Kurs weiterhin beibehält, um einen Kompromiß mit der PKI zu schließen, dann werden nicht nur die Armee und die mohammedanischen Parteien, sondern auch die Provinzen — besonders die auf den Inseln von Seberang (außerhalb Javas), wie Sumatra, Kalimantan (Borneo), Sulawesi (Celebes), Ma-lüku (Molukken) und Nusatenggara (Kleinsunda) — im eigenen Interesse den antikommunistischen und separatistischen Kampf weiterführen. Dies Würde zum Bürgerkrieg und zum Zerfall des durch die 300jährige holländische Herrschaft vereinigten Inselreiches führen. Noch am 23. August bestätigte ein indonesischer Regierungsbeamter, daß es zu einem bewaffneten Aufstand der Papuaner auf Westguinea gekommen war, der von indonesischem Militär niedergeschlagen wurde. Das ist ein Zeichen, daß die nichtjavanischen Völker der Zentralregierung in Dja-karta einen neuen separatistischen oder zumindest föderalistischen Kampf ansagen.

Der bereits entmachtete Sukarno träumt noch immer von einem dritten Weg — einerseits Kompromiß mit der Armee unter Nasution, anderseits Reorganisierung der PKI

ohne Aidit. Wenn er die PKI tatsächlich reorganisierte und sie dann mit der Armee und den mohammedanischen Parteien „friedlich koexistieren“ könnte, wäre das noch die einzige Methode, seine persönliche Position als Staatspräsident auf Lebenszeit zu sichern.

Für diese Reorganisation der PKI kämen zwei Möglichkeiten in Betracht: Erstens, Sukarno wendet sich an Peking um Hilfe zur Neugründung der PKI — das wäre zu dramatisch! —, dann würde Peking den alten Trick Lenins anwenden „einen Schritt zurück, zwei nach vorn“, und die sogenannte neue PKI bliebe unter der Kontrolle Maos. Die zweite Möglichkeit: Sukarno bittet den Kreml um Hilfe, um die PKI Pekinger Prägung in eine solche Moskauer Prägung umzuwandeln. So würde die PKI gespaltet in eine friedliche Moskauer PKI und eine chinesische PKI, die den Kampf weiterführen würde. Sukarno wäre mehr als naiv, unter solchen Umständen noch an eine Reorganisation zu denken! Wie sollte er sie auch durchführen, da es ihm nicht gelungen ist, die Armee für seinen Plan; eine PKI mit nationalistischem Führer, zu gewinnen.

Bei der Niederschlagung des Putsches wurde die indonesische Armee von der Polizei, der Marine, den Mohammedanern und Jugendlichen unterstützt. Folgende Einheiten der Rebellen hatten an dem Putsch teilgenommen: auf Java waren es einige hundert Mann von der Luftwaffe, dazu kam eine große Zahl von Mitgliedern kommunistischer Jugend-. Studenten- und Bauernorganisationen, insgesamt 5000 Mann. 3000 davon wurden von der Luftwaffe am Luftwaffenstützpunkt Djakartas bewaffnet. Die an dem Staatsstreich beteiligten Armeeeinheiten betrugen nur vier bis sechs Infanteriebataillone und ein Fallscharmjägerbataillon aus dem Raum Djakarta sowie die Garde des Präsidentenpalastes. Eine sehr auffallende Beobachtung — während die Kommunisten und Mohammedaner sich in Ostjava bekämpften, stand die Armee abseits und sah zu, als. ob sie ihre Kraft für eine größere Rolle in der Zukunft sparen wollte.

Obwohl die Zahl der rebellierenden Einheiten der Armee im Verhältnis zur Gesamtzahl der Rebellen eher gering war, muß nun Suharto doch eine sehr gründliche Säube-rüngsaktion durchführen. Da die PKI durch ihre Satellitenorganisation BTI (Barisan Tani Indonesia = Indonesischer Bauernbund) und SOBSI (Serikat Organisasi Buruh Seluruh Indonesia = Union der Arbeiterorganisationen Gesamtindonesiens) auf Mittel- und Ostjava eine sehr feste Basis aufgebaut hat, wäre das Resultat der Säuberung seitens der Armee ohne die Hilfe der trotz-kistischen Partei Murba sehr fraglich.

Aidit, der selbst zum Staatspräsidenten Indonesiens avancieren wollte, hätte vielleicht zum zweitenmal ein rein kommunistisches Regime in Ostjava gegründet (der erste Versuch war die Sowjetrepublik von Madiun unter Musso-Sjarifuddin im Jahr 1948). Durch seine langjährige Schulung in Peking ist Aidit mit den revolutionären Theorien und Praktiken Maos — zum Beispiel den sogenannten drei großen Magien, Bewaffneter Kampf, Führung der Partei und Vereinigte Front — sehr vertraut. Einer eben von Indonesien eingetroffenen Information aus erster Hand zufolge hatte Aidit schon vor dem 30. September einen ausführlichen Plan ausgearbeitet. Demnach sollte Sukarno nach Madiun in Ostjava entführt werden, wo Aidit auf ihn angeblich gewartet hat, und am 13. Oktober sollte der Playboypräsident öffentlich verurteilt und hingerichtet werden — diese Aktion wäre die Rache für den „Peristiwa Madiun“ 1948 gewesen.

Es gibt auch noch andere einander gegenseitig bekämpfende Kräfte, deren Interessen sehr unterschiedlich sind. Außer der Armee, PKI, den Mohammedanern und der Partei Murba, die heute die vier größten Machtgruppen Indonesiens darstellen, ist die Konkurrenz der Nichtjavaner gegenüber den Javanern noch immer groß.

„Es lebe die USA!“ — dieser Ruf der jugendlichen Demonstranten in Djakarta hat sicherlich dem Westen große Freude bereitet. Aber der Westen, insbesondere die USA, darf nicht allzu rasch auf eine Kursänderung Indonesiens hoffen. Indonesien wird vielleicht antichinesisch, ja sogar ganz antikommunistisch, aber der Nationalismus — der eigentlich den wichtigsten Punkt der Pantja Sila, der fünf Prinzipien der indonesischen Verfassung, darstellt — bleibt. Dieser Nationalismus kann viele Gesichter haben: antiwestlich (wegen der historischen Lasten), prorussisch (wegen der neuen Konfrontation gegenüber China) und vielleicht auch faschistisch (wegen der Klassenstruktur der indonesischen Gesellschaft, die Mehrzahl bildet die „petit bourgeoisie“, die zu radikalen Tendenzen neigt).

Der glaubwürdigen Information nach soll die Sowjetunion zur Zeit Indonesien, besonders der Partei Murba, mehr und mehr Hilfe versprochen haben. Eine historische Satire! Denn diese trotzkistische Partei Indonesiens war eigentlich der Erzfeind der UdSSR. Der Machtkampf zwischen Peking und Moskau wurde auch nach Indonesien getragen. Abgesehen von der Freude Moskaus über das Verbot der pekinghörigen PKI wül der Kreml versuchen, Indonesien in seinen Einflußbereich zu ziehen.

Die von Indonesien einberufene „Konferenz gegen ausländische Militärstützpunkte“ mit der antiwestlichen Resolution zeigt deutlich genug, daß die antiwestliche Politik auch ohne rotchinesische Hilfe (Antinekoiim = Anti-Neokolonialismus und = Imperialismus) fortgesetzt werden wird. Vor dem Bruch mit Peking konnte Indonesien die afroasiatischen Länder nicht überzeugen, daß die Konfrontation Malaysias ein Beweis der Antinekolim-Politik sei. Nun meint es bewiesen zu haben, daß Indonesien eine Neutralitätspolitik betreibt und setzt seine Hoffnungen auf die afro-asiatischen Länder.

Sehr interessant ist auch die Frage, warum Sukarno jetzt noch immer als „Repräsentant der Nation“ fungieren kann. Diese Tatsache ist zum Teil auf den indonesischen Nationalcharakter zurückzuführen. Fast alle Ostasiaten haben Ehrfurcht vor dem „Familienoberhaupt“, auch wenn es ein stattliches Sündenregister aufweist. Deshalb wird und wurde das Staatsoberhaupt fast nie öffentlich kritisiert, so wie das zum Beispiel auf den Philippinen der Fall ist, die durch die langjährige demokratische Erziehung der USA nicht mehr so rückständig sind wie Indonesien. Es wäre auch unklug gewesen, wenn Nasution und Suharto Sukarno gleich von der Bildfläche verschwinden hätten lassen. Sein Nimbus besteht noch immer, und durch diese Deckung kann die Armee ihre Machtposition voll ausbauen, um auf den geeigneten Augenblick zu warten.

Die Nasakom-Idee Sukarnos ist durch den Putsch natürlich in Frage gestellt worden. Nach seiner Erklärung sollte das Wort Nasakom ein „istilah baru“ (neuer Begriff) sein, der die Idee der nationalen Einheit verkörpern soll und nicht, wie allgemein angenommen wird, nur die Abkürzung der drei politischen Gruppen — nasionalis (Nationalisten), agama (Religion), fcomunis (Kommunisten) ist. Wenn die Armee den ersten Begriff übernommen hätte, so wäre an der Nasakom-Politik nichts geändert worden. Nach den Tatsachen zu schließen, hat sie sieh aber für den zweiten Begriff entschieden und will nun die PKI völlig vernichten.

Nur Sukarno selbst weiß, welche Rolle er während des Putsches gespielt hat. Die jetzige Deportierung des Generals Sukendros, des Widersachers Subandrios, und das Verbleiben dieses prokommunistischen Außenministers im Amt zeigen, daß Sukarnos Hände bei dem Staatsstreich auch nicht ganz rein gewesen sind. Er hätte ja selbst einen Pseudo-staatstreich provozieren können, um seine persönlichen Feinde, vor allem die immer mächtigeren Generäle, aus dem Weg zu räumen.

Unter solchen Umständen ist ein zweiter Putsch in nächster Zeit nicht ausgeschlossen, der jedoch einen ganz anderen Charakter, nämlich, eine rechtsgerichtete Tendenz, haben wird.

Ob der amerikanische Geheimdienst (CIA) bei dem ersten Akt teilweise auch die Regie übernommen hat, ist eine andere Frage, aber Jetzt will er selbstverständlich nicht mehr untätig bleiben.

Die indonesischen Offiziere haben eine sehr unterschiedliche Herkunft: sie kommen von der niederländischindischen Kolonialarmee, von den von den Japanern ausgebildeten indonesischen Hilfstruppen und von der republikanischen TRI während des Unabhängigkeitskrieges 1945 bis 1949. Alle diese Offiziere haben eine Antipathie gegen die Nasakom-Politik. Sukarno nützte immer das Mißtrauen zwischen den Offiziersgruppen aus, um die Macht der Armee zu schwächen. Aber jetzt scheint, dieses Intrigenspiel ein Ende zu haben.

Die harte Haltung der Armee gegenüber Sukarno beweist, daß die Offiziere sich durch gemeinsame Interessen enger zusammengeschlossen haben.

Sukarno empfing die Führer der neun politischen Parteien, die Führer der PKI waren nicht dabei. Man kann das aber auch als Taktik der „Schlange mit den zwei Köpfen“ auffassen.

Der Kampf der Armee ist nun also in die zweite Phase eingetreten, sie geht nämlich von der Säuberung der PKI zur völligen Machtübernahme einschließlich der Beseitigung Sukarnos über. Es wird daher höchstwahrscheinlich zu einer Militärdiktatur in Indonesien kommen.

Welchen Kurs diese dann einschlagen wird, ist jetzt noch nicht abzuschätzen, nur eines ist sicher, die nationalistische Tendenz bleibt. Der neue „starke Mann“ wird vermutlich Nasution sein, da er seinem Rang und seiner Persönlichkeit nach bei den indonesischen Streitkräften höchstes Ansehen hat. Die Niederwerfung des KP-Putsches diesmal ist die zweite antikommunistische Aktion Nasutions.

1948 hat er auf Befehl Sukarno-Hattas die Sowjetrepublik von Madiun erfolgreich unterdrückt. Mohammed Hatta, der ehemalige Vizepräsident, der jetzt als „Pensionist“ in Djakarta wohnt, könnte jetzt von der Armee herausgeholt und zum neuen Staatschef gemacht werden.

In Asien brennen nun fünf gefährliche Feuer: Vietnam, Malaysia, Indien-Pakistan, die Tibetgrenze und Indonesien. Die Auswirkungen dieses „Bürgerkrieges mit internationalen Hintergrund“ in Indonesien aber werden möglicherweise folgende sein:

• Die PKI wird durch die Armee völlig vernichtet. Dann kommt ein rechtsgerichtetes Militärregime.'

• Es gelingt der PKI, ihren Widerstand bis zu einer Machtübernahme durchzuhalten. Dann wird Indonesien ein rotchinesischer Satellit.

• Geschieht beides nicht in nächster Zeit, wird Indonesien zum zweiten Vietnam und Sukarno zum zweiten Ngo Dinh Diem.

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