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Aspekte des Arbeitsmarktes

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Jeder ernstlichen Auseinandersetzung mit den Problemen des österreichischen Arbeitsmarktes muß eine Prüfung der im letzten Jahrzehnt erfolgten Entwicklung und der gegenwärtigen Situation vorausgehen. Wird nun festgestellt, daß die durchschnittliche Rate der Arbeitslosigkeit im Jahre 1954 8,2 betragen hat, im Jahre 1964 jedoch nur noch 3,0 erreichte, so ergibt sich daraus der Schluß, daß man in Österreich der von den Interessenvertretungen der Arbeitnehmer immer wieder geforderten Verwirklichung der Vollbeschäftigung bereits sehr nahe gekommen ist. Somit müßten also bei einer globalen Betrachtung des österreichischen Arbeitsmarktes die Interessenvertretungen der Arbeitnehmer mit der gegebenen Situation durchaus zufrieden sein. Eine eingehendere Prüfung der Arbeitsmarktlage zeigt allerdings, daß trotz der im letzten Jahrzehnt erzielten Fortschritte keinesfalls noch Anlaß zur Zufriedenheit gegeben ist. Wenn auch das Sinken der Arbeitslosenrate im Bundesdurchschnitt überaus positiv bewertet werden muß, so ergibt doch ein Blick auf die Zahlen einzelner Bundesländer ein viel weniger erfreuliches Bild.

Stellt man fest, daß im Jahre 1964 die Arbeitslosenrate in Kärnten 5,6 und im Burgenland 10,1 betragen hat, dann wird es verständlich, daß sich die Interessenvertretungen der Arbeitnehmer mit der gegebenen Situation nicht abfinden können. Mit Besorgnis muß von ihnen auch vermerkt werden, daß trotz Konjunktur in der Bauwirtschaft in den letzten Jahren bis zu 60.000 Arbeitnehmer dieses Wirtschaftszweiges während der Wintermonate ihren Arbeitsplatz verlieren.

Bezeichnend für die Spannungen auf dem Arbeitsmarkt ist aber auch, daß einerseits regionale und saisonale Arbeitslosigkeit besteht, anderseits jedoch in verschiedenen Wirtschaftszweigen zumindest temporär die Nachfrage nach Arbeitksräften nicht befriedigt werden kann.

Der österreichische Arbeitsmarkt zeigt also trotz der günstigen Entwicklung des letzten Jahrzehnts noch erhebliche Schwächen, und die Interessenvertretungen der Arbeitnehmer würden ihre Verpflichtungen gröblich vernachlässigen, wenn sie nicht mit voller Kraft für die Beseitigung dieser Schwächen eintreten würden.

Sie dürfen sich aber nicht darauf beschränken, allein Vergangenheit und Gegenwart in ihre Betrachtungen einzubeziehen, sondern

müssen auch vorausschauend beurteilen, welche Entwicklung in der nächsten Zukunft zu erwarten ist.

Hier sei vorerst festgestellt, daß so wie in der Vergangenheit auch in nächster Zukunft

Konkurrenzfähigkeit und Wachstum der österreichischen Wirtschaft weitgehend vom Vorhandensein einer ausreichenden Anzahl qualifizierter Arbeitskräfte abhängen werden. Weiter ist damit zu rechnen, daß sowohl der Fortschritt der Technik als auch die schrittweise Integration des europäischen Wirtschaftsraumes wirtschaftliche Umschichtungen nach sich ziehen werden, von denen nur dann keine nachteiligen Auswirkungen für die Arbeitnehmer, aber auch für die gesamte Wirtschaft zu erwarten sind, wenn zeitgerecht Vorkehrungen getroffen und beschäftigungspolitische Einflußmöglichkeiten gewährleistet sein werden. Die hier nur skizzenhaft geschilderte Situation stellt alle verantwortungsbewußten Institutionen vor die Frage, welche Maßnahmen zu treffen sind, um die Vollbeschäftigung der österreichischen Arbeitnehmer und das weitere Wachstum der österreichischen Wirtschaft zu sichern.

Die Interessenvertretungen der Arbeitnehmer haben sich mit dieser Frage bereits seit mehreren Jahren intensiv befaßt und sind zu dem Ergebnis gekommen, daß mit dem der Arbeitsmarktverwaltung bisher zur Verfügung stehenden Instrumentarium nicht das Auslangen gefunden werden kann. Wenn sich auch einzelne Maßnahmen — wie etwa die der produktiven Arbeitslosenfürsorge — bisher als überaus wertvoll erwiesen haben, reichen sie doch nicht aus, die gegenwärtigen und zukünftigen Aufgaben zu bewältigen.

Diese Aufgaben, und zwar insbesondere die Beseitigung der regionalen und saisonalen Arbeitslosigkeit, die Bereitstellung einer ausreichenden Anzahl qualifizierter Arbeitskräfte für die österreichische Wirtschaft und die Sicherung der Arbeitsplätze der österreichischen Arbeitnehmer können nach Auffassung der Arbeiterkammern nur durch jene neuen beschäftigungspolitischen Maßnahmen gelöst werden, die unter dem Begriff der „aktiven Arbeitsmarktpolitik“ zu subsumieren sind.

Es erscheint nun angebracht, kurz zu umreißen, welchen Maßnahmen im Rahmen dieser aktiven Arbeitsmarktpolitik besondere Bedeutung zukommt und welche Ziele damit verfolgt werden. Zur Beseitigung der saisonalen Arbeitslosigkeit im Baugewerbe ist es notwendig, die Vergebung der Bauaufträge im Rahmen langfristiger Pläne zeitlich und regional so zu koordinieren, daß eine gleichmäßige jahreszeitliche Auslastung der Bauwirtschaft gewährleistet ist.

Zur Beseitigung der regionalen Arbeitslosigkeit müßte in größerem Ausmaß als bisher die Gründung und Erweiterung von ausbaufähigen Betrieben in jenen Gebieten gefördert werden, in denen noch Arbeitskraftreserven zur Verfügung stehen. In dankenswerter Weise hat sich das Ministerium für soziale Verwaltung schon durch viele Jahre bemüht, über den „Informationsdienst für Betriebsneugründungen in österreichischen Entwicklungsgebieten“ zur Beseitigung der regionalen Arbeitslosigkeit beizutragen.

Jenen Betrieben, die infolge von Strukturschwächen von Einschränkungen oder von der Einstellung bedroht sind, müßte wirksame finanzielle Unterstützung zur Umstellung oder Rationalisierung gewährt werden, um die Arbeitsplätze zu erhalten. Man wird nötigenfalls auch den Mut haben müssen, auf die Weiterführung unwirtschaftlicher Betriebe zu verzichten. Dies kann jedoch nur unter der Voraussetzung geschehen, daß für zumutbare Ersatzarbeitsplätze in Wirtschaftlieh günstigeren Betrieben gesorgt wird und der Übergang von einer Beschäftigung zur anderen möglichst ohne soziale Härten vor sich geht. Im engen Zusammenhang damit steht das Problem der Verbesserung der beruflichen Mobilität der Arbeitskräfte. Die raschen technischen und wirtschaftlichen Veränderungen haben zur Folge, daß es vielfach nicht mehr.möglich ist, mit jenem Wissen und Können, das in den Jugendjahren erworben wurde, ein ganzes Menschenleben auszukommen. Umstellungen der Produktionsmethoden, das Verschwinden alter und das Entstehen neuer Berufe machen eine ständige Anpassung der Kenntnisse und Fähigkeiten an die wachsenden beruflichen Anforderungen notwendig. Diese sowohl im Interesse der Arbeitnehmer als auch im Interesse der gesamten Wirtschaft gelegene Anpassung muß in stärkerem Maße als bisher dadurch gefördert werden, daß den daran interessierten Arbeitnehmern die Teilnahme an Schulungsveranstaltungen erleichtert wird. Im übrigen widmen der österreichische Gewerkschaftsbund und der Arbeiterkammertag der Teilzeitbeschäftigung große Aufmerksamkeit. Bei richtiger Verwendung noch vorhandener Arbeitskräfte in dieser Art der Beschäftigung kann eine Entspannung am Arbeitsmarkt zum Nutzen der österreichischen Volkswirtschaft eintreten.

Neben der beruflichen, muß auch der geographischen Mobilität mehr Beachtung geschenkt werden. In jenen Fällen, in denen es nicht möglich ist, durch Gründung oder Erweiterung von Betrieben die Arbeitsplätze zu den Arbeitsuchenden zu bringen, muß diesen durch Gewährung von Beihilfen der Zuzug zu den Arbeitsplätzen erleichtert werden. Um schließlich den Nachwuchs an qualifizierten Arbeitskräften auch für die Zukunft sicherzustellen, ist es notwendig, die Ausbildung systematisch zu planen, die Lehrberufe der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung anzupassen und insbesondere darauf zu achten, daß die Ausbildung auf eine möglichst vielseitige Verwendbarkeit der Arbeitskräfte abzielt. Von Seiten der Arbeitgeberinteressenvertreter wird häufig darauf hingewiesen, daß ein Fremdarbeiterbeschäftigungsgesetz notwendig sei, und daß angeblich die Arbeitnehmerinteressenvertretungen schuld am Niohtzustandekommen seien, wodurch große Nachteile für die Volkswirtschaft entstünden. Dem muß entgegengehalten werden, daß das zwischen dem österreichischen Gewerkschaftsbund und der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft schon jetzt vereinbarte Kontingent an Gastarbeitern nicht ausgeschöpft wurde, es somit offensichtlich auf Arbeitgeberseite Schwierigkeiten gibt, genügend geeignete Arbeitskräfte nach Österreich zu bringen. Eine dauernde gesetzliche Regelung wird um so eher zustande kommen, je mehr Verständnis den in diesem Artikel von Arbeitnehmerseite vorgebrachten Bedenken entgegengebracht wird. Die Liberalisierung des Arbeitsmarktes kann nur im Zusammenhang mit Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik gesehen werden.

Die Interessenvertretungen der Arbeitnehmer drängen bereits seit langem auf die parlamentarische Behandlung zweier Gesetzentwürfe, durch die eine Reihe von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen ermöglicht werden soll. Mit Befriedigung können sie feststellen, daß mit den Vertretern der Arbeitgeber bereits in vielen Punkten Übereinstimmung erzielt wurde; sie hoffen ernstlich, daß es in nächster Zeit gelingt, auch die noch offenen Fragen in sachlichen Verhandlungen zu lösen. Durch Schaffung einer modernen Basis für den österreichischen Arbeitsmarkt würde der österreichischen Wirtschaft ein wertvoller Dienst erwiesen; sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber könnten dann mit größerer Zuversicht der kommenden Entwicklung entgegensehen.

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