Atom-Abrüstung total: von 27.000 auf 0

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Polit-Ikonen aus West und Ost fordern "Global Zero", die weltweite Abrüstung aller Atomwaffen. Jetzt keimt die Hoffnung, dass Barack Obama und die USA sich diesem Ziel anschließen.

Barack Obama will mehr. Bei der Geburtstagsfeier für die NATO in Straßburg am Ehrentisch zu sitzen und der Star beim G20-Gipfel in London zu sein, ist okay, aber für seine erste Europa-Reise als US-Präsident zu wenig. Seine Mitarbeiter beschwichtigen zwar: Nichts sei entschieden, bis es passiert. Doch vieles deutet darauf hin, dass es passiert. Am besten passen würde es in Prag, der letzten Europastation des Präsidenten und 20 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs der ideale Ort, um seinen, um Amerikas atomaren Abrüstungsvorschlag zu präsentieren.

"Obama ergreift die nukleare Initiative", schrieb die Financial Times unlängst, und lobte: "Dafür gebührt ihm beträchtlicher Applaus." Im Original heißt die Formulierung: "Obama grasps the nuclear nettle." Das lässt sich auch übersetzen mit "Obama beißt in den nuklearen sauren Apfel" oder "Obama setzt sich in die nuklearen Nesseln". Diese Übersetzungen machen ebenfalls Sinn. Denn das "Global Zero", die Forderung, Atomwaffen weltweit auf Null abzurüsten, erntet nicht überall "beträchtlichen Applaus".

Abrüster 1: Carter, Gorbatschow - erwartbar!

Zuerst jedoch ein Blick auf die prominente Runde, die sich schon vor Obama in die "nuklearen Nesseln" gesetzt hat: Michael Gorbatschow und Jimmy Carter, zwei ehemalige Präsidenten, denen der Atomkoffer jahrelang hinterhergetragen wurde, sind Unterstützer der Global-Zero-Initiative. Mohammed ElBaradei, noch bis Sommer Chef der Internationalen Atomenergiebehörde, schließt sich der Forderung ebenfalls an und schimpft: "Die Welt kann es sich nicht leisten, 20 Jahre nach dem Kalten Krieg 27.000 Atomwaffen zu haben."

Abrüster 2: Henry Kissinger - ein Wunder!

Am meisten überrascht aber die Stimme eines Mannes im Global-Zero-Chor, von dem man sich ein solches Engagement nie erwartet hätte: Henry Kissinger. Gegen Carter und Gorbatschow haben Kritiker leichtes Spiel. Zwei Weicheier in den Augen der realpolitischen Falken, die ihre Länder mit zuviel Nachgeb-Politik an die Wand gefahren haben. Bei Kissinger ist das völlig anders. Weder der Friedensnobelpreis an ihn noch der Kriegsverbrecher-Vorwurf gegen ihn konnten sein Image in die eine oder andere Richtung verändern. Kissinger ist Instanz.

Mit seiner Forderung nach Abschaffung aller Nuklearwaffen ist die bislang nur mitleidsvoll belächelte Vision einer nuklearwaffenfreien Welt intellektuell hoffähig geworden. Bei der Münchener Sicherheitskonferenz im Februar begründete Kissinger seine Forderung damit, dass "die Gefahr eines Atomkriegs zwischen den zwei Supermächten Russland und den USA praktisch verschwunden ist. Aber die Vertiefung der ideologischen Spaltung und die ungelösten Konflikte haben die Entschlossenheit von Schurkenstaaten und nichtstaatlichen Akteuren verstärkt, sich Atomwaffen zu beschaffen." Und er warnte: "Wenn die Vorbereitung von Atomwaffen im Iran weitergeht und in Nordkorea die Atomwaffen bestehen bleiben, dann wird der Anreiz für andere übermächtig, diesem Weg zu folgen."

1957 hat der damalige Harvard-Politikwissenschafter Kissinger mit dem Buch "Nuclear Weapons and Foreign Policy" sein erstes politisch-intellektuelles Meisterstück abgegeben und die Blaupause für das Gleichgewicht des Schreckens im Atomzeitalter geliefert. Kissinger versucht darin politische Antworten auf das militärische Patt zu geben, ringt nach Auswegen, um zu "begrenzten Kriegen" zurückzukommen, warnt aber davor, den sowjetischen Schalmeienklängen von einer "friedlichen Koexistenz" zu glauben. Für Kissinger ist das nur "bolschewistische List", um den Westen in Sicherheit zu wiegen: "Wir sollten ihr nicht glauben!" Seine Gegenstrategie lautet: "Wir haben keine andere Chance, als auf Stärke zu vertrauen." Als US-Außenminister wird er sich sehr an seine eigenen Empfehlungen halten.

Die Britin Pat Arrowsmith versucht zu der Zeit, eine andere Botschaft unter die Leute zu bringen: Abrüstung, bevor es zu spät ist! Die Zündung der britischen Wasserstoffbombe 1957 im Pazifik hält sie für einen weiteren Schritt der Menschheit auf ihrem Weg in den Abgrund. Zu Ostern 1958 organisieren die Pfarrerstochter Arrowsmith und ihre Freunde "als eine Art säkulare Wallfahrt" den ersten "Ostermarsch" zur Atomwaffenforschungsanlage im südostenglischen Aldermaston. Prominente wie der Philosoph Bertrand Russell oder der Schriftsteller J. B. Priestley gehören zu den Unterstützern.

Die "Campaign for Nuclear Disarmament" wird gegründet, Anfang der weltweiten Anti-Atombewegung. 50 Jahre später, beim Ostermarsch im vergangenen Jahr, nach vielen Aufs und Abs der Friedensbewegung, ist die Atomgefahr nicht kleiner geworden, muss Arrowsmith immer noch gegen den "nuklearen Wahnsinn" protestieren, trägt sie nach wie vor das Peace-Zeichen am Revers und ist "stolz, dass ich dabei war, als dieses Symbol auf die Welt kam". Ein Kreis, drei Striche - die beiden kurzen, schräg nach unten zeigenden, stehen für den Buchstaben N im Winkeralphabet der Schiffahrt; der lange, senkrechte Strich steht für den Buchstaben D: Nuclear Disarmament, nukleare Abrüstung, ist die Botschaft. Damals wie heute. Mit dem Unterschied, dass es damals und seither nie so einflussreiche Unterstützer für Global-Zero gegeben hat wie jetzt.

Michael Rühle kann sich diesem atomaren Null-Enthusiasmus nicht anschließen. Im Gegenteil, den Deutschen ärgert der "frivole Umgang" mit der nuklearen Bedrohung. Vor allem von Kissinger. "Unausgegoren" nennt Rühle dessen Konzept, aber er meint, dass der Doyen der Sicherheitspolitik das bereits selbst bemerkt und wieder zurückrudert: "Denn Kissinger muss mit Schrecken feststellen, dass ihm jetzt idealistische Trittbrettfahrer der Friedensbewegung seine Vision klauen - das hat er nie gewollt."

Atombombe ist nicht gleich Atombombe

Rühle ist stellvertretender Leiter der Politischen Planung beim NATO-Generalsekretär. Im gerade erschienenen Buch "Gute und schlechte Atombomben" schreibt er seine persönliche Gegenmeinung zu Kissinger und den anderen Global-Zero-Verfechtern. Vor allem aber kritisiert er die Sicherheitspolitik Deutschlands, wirft ihr vor, "gleichsam mit einem Augenzwinkern" zu agieren. Rühle fordert: "Berlin muss die nukleare Realität mitgestalten" und "sollte deshalb an der nuklearen Teilhabe als Ausdruck gemeinsamer, nicht provokativer Sicherheitsvorsorge festhalten".

Im FURCHE-Gespräch gibt Rühle eine klare Antwort auf das Warum seiner Forderung: "Weil das zweite Nuklearzeitalter gefährlicher ist als das erste." Das erste Nuklearzeitalter hat mit Hiroshima begonnen und 1989 aufgehört. Schon in der Zeit hat Rühle die Friedensbewegung und ihre Gleichsetzung der westlichen mit den sowjetischen Atomwaffen nicht verstanden. "Das macht doch einen Unterschied, ob eine Demokratie oder eine Diktatur die Bombe besitzt."

Und diese Entpolitisierung, diese "moralische Gleichmacherei" findet Rühle zu seinem Leidwesen bei Global-Zero wieder. Wobei er Kissinger als Taktiker interpretiert, für den "das Formulieren einer Utopie Mittel zum pragmatischen Zweck ist". Letztlich steht dann zwar keine Null am Ende, aber es wird mehr abgerüstet und die Verbreitung von Atomwaffen wird besser kontrolliert. Und vielleicht genügt das ja auch, um heil durch das zweite Nuklearzeitalter zu kommen. Aber wie hat Kissinger im ersten Satz seines Nuklear-Buches geschrieben: "In der griechischen Mythologie strafen die Götter die Menschen manchmal, indem sie ihnen ihre Wünsche im Übermaß erfüllen."

GUTE UND SCHLECHTE ATOMBOMBEN

Berlin muss nukleare Realität mitgestalten

Ein Standpunkt von Michael Rühle

edition Körber Stiftung, Berlin 2009

93 S., brosch., e 10,30

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