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Auch Lemberg liegt in Europa

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Wenn der Lemberger Arzt Alexander Filz durch die inneren Bezirke Wiens spaziert, fühlt er sich „wie zu Hause". Und er beeilt sich gleich zu versichern: „Ihnen würde es in Lemberg genauso gehen." Er sagt „Lemberg", nicht „Lwiw".# Fast 150 Jahre altösterreichische Vergangenheit haben dort eben nicht nur das Stadtbild geprägt.

Bis heute hat der westliche Teil der Ukraine, der zum Kronland Galizien gehörte, seine kulturelle Eigenständigkeit bewahrt und unterscheidet sich klar vom stärker russisch beeinflußten Osten. Nicht einmal das Sowjetregime konnte das auslöschen. „Nach außen passen wir uns dem Zeitgeist an, in unserem Innersten denken wir aber noch genauso wie unsere Urgroßeltern." In diesem speziellen Fall war das wohl gut so. In „Galizien", wie Alexander Filz seine Heimat gern nennt, hat die Sowjet-Ära im Bewußtsein der Menschen weniger Spuren hinterlassen als anderswo. Über die altösterreichische Vergangenheit des Landes wissen dagegen sogar sehr junge Menschen genau Bescheid. „Wien steht uns näher als jede andere westliche Stadt", erläutert Filz. „Für mich war daher nach dem Aufziehen des Eisernen Vorhanges selbstverständlich Wien die erste Anlaufstelle für wissenschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit." Der Hochschullehrer Filz leitet an der Universität Lemberg einen interdisziplinären Arbeitskreis, sein großes Ziel ist der Aufbau einer „Galizisch-Öster-reichischen Kultur-Gesellschaft". Sein eigenes Fachgebiet, die Psychotherapie, führte ihn zunächst in die Berggasse zur Sigmund-Freud-Gesellschaft, wo er begann, durch Vorträge über Galizien Bewußtseinsbildung zu betreiben. Das war nötig, denn Wien ist eben doch „anders". Alexander Filz ortet bei den Wienern „eine weit distanziertere Einstellung zur eigenen Geschichte". Mißtrauen und Berührungsängste waren zunächst größer als erwartet - allerdings auf beiden Seiten.

Das erste Projekt, das im Oktober 1994 in die Praxis umgesetzt wurde, entstand gemeinsam mit dem österreichischen Bundesverband für Psychotherapie: Eine fünfjährige Ausbildung für ukrainische Pädagogen und Psychotherapeuten durch Kollegen aus Österreich. Zweimal jährlich werden in Truskawets bei Lemberg, einem Kurort mit altösterreichischer Tradition, zweiwöchige Blockveranstaltungen abgehalten. Der Wiener Projektleiter, Alfred Pritz (furche-Lesern als Gesprächspartner wohlbekannt), kommt ins Schwärmen, wenn er darüber erzählt: „Wir sind immer wieder begeistert. Wir unterrichten ehrenamtlich, für die Freiberufler unter uns bedeutet das einen empfindlichen Verdienstentgang. Aber was da an Kulturtransfer geschieht, ist dieses Opfer wert. Wir fahren zwar als Lehrer' hin, können aber in den Gesprächen mit den ukrainischen Kollegen selbst enorm viel lernen."

Die unbezahlten Leistungen, die die österreichischen Therapeuten dort erbringen, beziffert Pritz mit insgesamt zehn Millionen Schilling. Finanziell fühlt er sich ein wenig im Stich gelassen. „Unterstützung erhielten wir bisher von der Angestelltengewerkschaft, den Christgewerkschaftern im ÖGB und von drei Psychiater-Vereinigungen aus Österreich •und Deutschland; der österreichische Städtebund übernimmt die Spesen für die Bahnfahrt. Aber sonst gibt es keinen Groschen von öffentlichen Stellen." Trotzdem habe man „den eisernen Willen, diese fünf Jahre durchzuhalten". Heuer, im Millenniumsjahr, will Filz die „Galizisch-Öster-reichische Kultur-Gesellschaft" endgültig zum Leben erwecken. Nächster Pixpunkt ist eine Ausstellung von Werken zeitgenössischer westukrainischer Maler im März in Wien. Der rührige Professor aus Lemberg ist auch dem Österreichischen Kulturattache in der ukrainischen Hauptstadt Kiew, Harald Fleischmann, längst ein Begriff. „Ich freue mich über alle seine Initiativen und habe ihm meine organisatorische Unterstützung zugesagt", so Fleischmann, der aber betont, daß „es auch andere erfolgreiche ukrainisch-österreichische Projekte gibt". Als Beispiel nennt er die Partnerschaft der Technischen Universitäten Wien und Lemberg.

Filz betrachtet es als historische Verantwortung Österreichs, sich in Ländern wie „Galizien" zu engagieren. Eine historische Chance ist es jedenfalls. Auch Lemberg gehört zu Europa.

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