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Auf nach Zypern!

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Man kann nicht sagen, daß die vergangenen Wochen reich an politischen — innenpolitischen wie außenpolitischen — Ereignissen gewesen wären. Die Regierungskrise hat allmählich aufgehört, in die Gehirne der Staatsbürger den Begriff der Krise zu signalisieren; sie wurde zum Ding, mit dem sich sogar leben läßt. Denn wie angenehm ist es, zu wissen, daß eine Regierung, die es ja rechtens eigentlich gar nicht mehr geben sollte, trotzdem emsig arbeitet und Probleme von der Größenordnung der Eierpreisfrage etwa auch erledigt, wobei niemand ein schlechtes Gewissen zu haben braucht; denn das Regierungsprogramm kann nicht die Sorge einer Regierung sein, die es ja rechtens eigentlich gar nicht mehr geben sollte.

Wahrhaftig, eine gefährliche Versuchung für die Parteien, künftighin nur mehr an Koalitionsregierungen teilzunehmen, die in statu abeundi sind und die Geschäfte nur noch bis auf weiteres führen!

Aber so weit sind wir noch nicht, und deshalb ist es angezeigt, auf zwei Ereignisse hinzuweisen, die in diesen an Ereignissen armen Wochen doch zu verzeichnen waren und die denjenigen, die mit der gegenwärtigen Lage unzufrieden sind, eine weitere Orientierung erleichtern könnten.

Fangen wir mit Zypern an. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen hat sich mit dem Vertreter Österreichs in Verbindung gesetzt, um sich zu erkundigen, ob Österreich bereit wäre, an der geplanten Befriedungsaktion in Zypern durch die Entsendung militärischer Kontingente teilzunehmen. Die Teilnahme Österreichs wäre wichtig, hieß es, denn die weltpolitischen Aspekte verlangen das weitgehende Engagement gerade der Neutralen, und das wünschen auch alle Beteiligten. Uber die näheren Modalitäten war noch nicht die Rede. Man hörte nur, daß die Kosten die Teilnehmerstaaten selbst aufzubringen hätten — worüber allerdings noch nicht das letzte Wort gesprochen sein dürfte.

Hier wurde die Sache zum „heißen Eisen“. Kann man, darf man denn das: mit dem ohnehin spärlich fließenden Budgetgeld für das Bundesheer Aktionen in Zypern finanzieren? Was geht denn uns Zypern an? Haben wir nicht genug andere Sorgen? Interessanterweise wurden solche Worte nur halblaut gesprochen und nirgends abgedruckt. Man hörte sie aber allenthalben.

Das zweite Ereignis konnte man immerhin lesen. In der stets interessanten Zeitschrift der SPÖ „Die Zukunft“ nahm der Chefredakteur des Blattes, der Abgeordnete Karl Czernetz, unter dem Titel „Führungsprobleme in der Demokratie“ zu Führungsproblemen der ÖVP und der SPÖ Stellung. Um es gleich vorwegzunehmen und damit hier, beiseite zu schieben: Er griff — unausgesprochen, aber deutlich — den gegenwärtigen Innenminister an; er bescheinigte ihm undemokratisches Verhalten, persönlichen Ehrgeiz und persönliches Machtstreben. Er stellte fest: Es handelt sich nicht darum, daß „irgend jemand aus einem führenden Gremium der Partei ausgeschaltet werden soll, sondern nur um gewisse Bestrebungen, mit ,neuen Methoden' zum ,Führer' zu werden“. Jedoch: „Wenn persönlicher Ehrgeiz und persönliches Machtstreben auf die Spitze getrieben werden und zu Eigenmächtigkeiten und Disziplinlosigkeiten führen, könnte die Partei schweren Schaden leiden — aber auch dann wird niemand in dieser demokratisch-sozialistischen Partei Österreichs ,Führer' werden.“

So weit, so gut. Der Autor schreibt dann noch zum Schluß, man soll sich — „vor allem im bürgerlichen Lager“ — nicht einbilden, daß diese „Führungsdiskussion“ eine Schwäche offenbare und „mit der schweren Krise in der ÖVP“ überhaupt zu vergleichen sei.

Man bilde sich also dergleichen gefälligst nicht ein! Der Zeitungsleser weiß ja ohnehin, seit den Zeitungsbeschlagnahmungen der jüngsten Zeit etwa, daß ihn gewisse „Führungsdiskussionen“ nichts angehen und daß er die inneren, gewöhnlich dichtverhängten Bereiche der Parteien im allgemeinen und die vielzitierten „beiden Reichshälften“ der österreichischen Innenpolitik im besonderen zu respektieren hat. (Der zitierte Artikel erlaubte ausnahmsweise einen kurzen Blick.) Aber besagter Zeitungsleser, wenn er nun auch um alle Tempelbezirke einen weiten Bogen macht und vor allen Tabus respektvoll den Blick senkt, hat denn doch noch Fragen, die nicht leicht zu beantworten sind und die auch der Verfasser des Artikels nicht beantwortet, ja gar nicht erst stellt. (Er ist darin keineswegs der einzige.) Einige solche Fragen seien hier kurz skizziert.

Erste Frage: Wenn die Parteien mit ihren internen „Führungsdiskussionen“ so stark beschäftigt sind, wie dies der Artikel Czernetz' ahnen läßt, wie soll da eine arbeitsfähige Regierung unter Mitwirkung derselben Parteien gebildet werden, und wie soll diese Regierung, wenn sie infolge momentaner Erschöpfung der streitenden Freunde und Gegner doch noch einmal in einer Pause zustande kommt, in der Folge vernünftig arbeiten?

Zweite Frage: Wir sind glücklich so weit, daß das unheilvolle, durch historische Reminiszenzen leider begünstigte Bild vom Staat mit den beiden Reichshälften bereits allseits akzeptiert wurde. Die Politiker praktizieren, die Zeitungen kommentieren es; es ist zum bequemen Denkschema und zur Gewohnheit geworden. Es hat sich eben „eingebürgert“. Kürzlich hat der Sprecher der „linken Reichshälfte“ eines der höchsten, verantwortungsvollsten Ämter, welche die Republik Österreich zu vergeben hat, das Amt des Präsidenten des Rechnungshofes, mit einer natürlichen, gewohnten Geste und mit einer recht anfechtbaren Begründung der Oppositionspartei angetragen. Die „Besitzverhältnisse“ schienen klar, der Lehensherr verfügte eben über eine seiner Domänen. Friedrich Funder fand in seinem Memoirenwerk, „Vom Gestern ins Heute“, bittere Worte über die Mentalität vieler seiner Zeitgenossen vor dem ersten Weltkrieg, die das Reich nicht mehr, sondern nur noch die beiden „Reichshälften“ kannten: Selbstaufgabe vor dem Untergang! Damals wie heute: kaum ein Blick über den Zaun, kein Interesse für die Sprache, die Denkungsart der anderen —, der „Sprachschatz“ reichte gerade noch für die gegenseitige Denunziation aus —, zum Schluß Lähmungserscheinungen infolge des entsetzlichen Mangels an Phantasie, an politischem Sinn . . . Wer wird einen zweiten Untergang noch rechtzeitig aufhalten? Wer erkennt, daß sich das Wesen der Politik nicht in der Wahrung der eigenen Interessen, ja nicht einmal in der Wahrung des Rechtes erschöpfen kann, sondern nach Raum, nach freiem Manövrierfeld, selbstverständlich in den Grenzen der Spielregeln, des Rechtes, verlangt?

Dritte Frage: Wenn der Schrumpfungsprozeß der Begriffsinhalte bei Staat, Vaterland, Politik, Bildung weiter fortschreitet, wenn überall nur mehr nach den Utilitaritätserwägungen des primitiven Tauschhändlers entschieden wird, wo soll dann der Beamte, der Bundesheersoldat oder der Student die Begeisterung — dieses vielbelachte Wort kommt von Geist! — hernehmen, um seinen Pflichten gewissenhaft zu entsprechen? Und schließlich — um auf Zypern zurückzukommen: Welchen Sinn soll die Neutralität in Friedenszeiten denn noch haben, wenn nicht den, daß sie uns ermöglicht, anderen, weniger glücklichen — nicht wie wir im Windschatten der Weltpolitik lebenden — einer bösen nationalistischen Hetze preisgegebenen Menschen zu Hilfe zu kommen? Die Antwort kann im Fall Zypern keine andere sein:- Selbstverständlich soll, wenn es verlangt wird, auch Österreich Truppen nach Zypern entsenden! Und wenn es auch so viel kosten wird wie eine unserer billigeren Fremdenverkehrsattraktionen.

Nicht zuletzt: In Zypern kann man auch lernen...

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