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Für EU-Grundrechtshüter Morten Kjaerum ist der universale Charakter der Menschenrechte selbstverständlich. Seine Wünsche an Obama, sein Kampf gegen Homophobie und sein Vertrauen in die Lernfähigkeit des Menschen sind weitere Themen dieses FURCHE-Gesprächs.

Der Däne Morten Kjaerum ist Direktor der EU-Agentur für Grundrechte in Wien und damit der Hüter der Menschenrechte und ihrer Einhaltung in der Europäischen Union.

Die Furche: Herr Kjaerum, wenn Sie auf die Geschichte der Menschenrechte zurückschauen - ist es berechtigt, von einer Erfolgsgeschichte zu sprechen?

Morten Kjaerum: Ja! Die Menschenrechte sind nicht nur in nationalen Verfassungen verankert. Seit der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vor 60 Jahren gibt es auch eine internationale Zuständigkeit, Menschenrechte in anderen Staaten anzusprechen und einzufordern. International legitimierte Institutionen nehmen sich dieser Herausforderungen an - ein riesiger Fortschritt. Damit sind Institutionen geschaffen, die ihren warnenden Finger erheben, wenn Gefahr droht.

Die Furche: Wenn Sie die internationale Dimension ansprechen, darf aber nicht vergessen werden, dass es immer noch Staaten gibt, die den Menschenrechten ihren universellen Charakter absprechen .

Kjaerum: Wer hat die Vorbereitungen für die 1948-Deklaration gemacht? Von wo sind die Ideen dazu eingebracht worden? Es ist doch überraschend, wie global die damalige Diskussion gelaufen ist. Kein Zweifel, die Tragödie des Zweiten Weltkriegs hat in Europa die Idee für die Menschenrechte in Gang gesetzt. Aber als die Diskussionen darüber in der UN-Generalversammlung in New York begonnen haben, gab es Beiträge dazu von überall her, aus Asien, aus Lateinamerika, sehr starke Einflussnahmen aus der arabischen Welt usw.

Die Furche: Das heißt, für Sie basiert die Menschenrechtsdeklaration auf einem weltweiten Erfahrungsschatz.

Kjaerum: Lokale Erfahrungen aus der ganzen Welt sind in diesen Text eingeflossen. Länder, die zum Beispiel damals sehr gegen das allgemeine Wahlrecht opponiert haben, waren Großbritannien und die USA. Zum einen wegen der kolonialen Besitztümer, zum anderen wegen der schwarzen Minderheit im Land. Im Gegensatz dazu haben die Sowjetunion oder Kuba damals sehr stark für dieses Recht plädiert.

Die Furche: Sie wollen damit sagen, nationale und politische Interessen ändern sich, universale Rechte bleiben aber gleich.

Kjaerum: So ist es, nehmen Sie nur die Ergebnisse von anthropologischen Studien weltweit, in denen Menschen befragt wurden, was sie von Folter halten, was sie von Verschleppungen halten usw. Die Frage ist doch, sind diese Werte für irgendeine Kultur auf dieser Welt fremd oder unverständlich? Und das Ergebnis dieser Umfragen ist nicht überraschend: Die Universalen Menschenrechte sind universal. Der Fehler des Westens war und ist, auf jene politischen Führer zu hören, die den Menschenrechten ihren universellen Geltungsanspruch absprechen. Politiker widersprechen den Menschenrechten dann, wenn sie im Gegensatz zu ihren Machtansprüchen stehen. Die Menschenrechte deswegen als im Widerspruch zu den Werten anderer Kulturen hinzustellen, ist jedoch ein übler Trick.

Die Furche: Der nichtsdestotrotz angewandt wird …

Kjaerum: Seit dem Ende des Kalten Kriegs ist die Menschenrechtsdebatte zu einer weltweiten Bewegung angewachsen. Dieses Momentum hätte es ohne die universelle Bedeutung der Menschenrechte nicht gegeben. 1990 gab es fünf Menschenrechtskommissionen in der Welt, heute sind es über hundert. Und Afrika, Asien, Lateinamerika dominieren. Auch das beweist, die Menschenrechte sind universal.

Die Furche: In den USA und darüber hinaus spricht man gerade vom Momentum Obama - was erwarten Sie sich vom neuen Präsidenten im Bezug auf die Einhaltung der Menschenrechte, wo die USA ja in den letzten Jahren sehr in Verruf geraten sind?

Kjaerum: Jede Administration setzt neue Schwerpunkte, wir werden sehen, ich bin jedenfalls sehr hoffnungsvoll, dass etwa das unselige Kapitel Guantánamo ein Ende findet.

Die Furche: Anlass für Guantánamo, die exzessive Datenerfassung von Privatpersonen usw. ist ja der von George W. Bush ausgerufene Krieg gegen den Terror - werden wir für diesen Krieg weitere Einschränkungen der Menschenrechte hinnehmen müssen ?

Kjaerum: Ich sehe jetzt einen Trend, dass das Thema Sicherheit wieder im Rahmen der Menschenrechte gesehen wird - wo es auch hingehört. Nach 9/11 wurden die Bereiche zu sehr getrennt und in einigen Fällen hat man die Menschenrechte leider völlig zur Seite geschoben. Das verändert sich jetzt wieder, auch in der Datenschutzfrage.

Die Furche: In den USA werden Medien gerne als "watchdog", als Wachhund bezeichnet. Beschreibt das auch die Rolle Ihrer EU-Grundrechtsagentur?

Kjaerum: Unsere Aufgabe geht noch über die eines Wachhundes hinaus: Wir bellen nicht in jedem Land, aber wir können aufgrund unserer Untersuchungen in den 27 EU-Mitgliedsstaaten Entwicklungen und Trends beschreiben. Wir beraten die EU und nationale Regierungen. Wir setzen keine Aktionen. Die Regierungen und die EU sind dafür zuständig, ihre Bürger zu schützen.

Die Furche: Zum Beispiel ihre homosexuellen Bürgerinnen und Bürger - Ihre Agentur hat im Sommer einen Bericht über Homophobie in Europa herausgebracht.

Kjaerum: Der Bericht beschreibt die Gesetzeslage in den europäischen Staaten für homosexuelle Bürgerinnen und Bürger. Dieser Bericht ist jetzt eine der Grundlagen für die Arbeit der EU-Kommission bei ihrer Anti-Diskriminierungsstrategie; der Bericht wird aber auch von NGOs herangezogen und auch Kirchen- und Religionsvertreter greifen danach. So tragen wir nicht unerheblich zur Diskussion bei. In all diesen Themenbereichen gibt es ja keine schnellen Lösungen. Niemand wird glauben, dass wir einen Bericht herausgeben und alle Probleme, mit denen Homosexuelle in Europa konfrontiert sind, werden gelöst. So funktioniert das nicht! Das Wichtigste ist, dass wir eine gemeinsame Sprache finden und dass endlich eine offene und öffentliche Debatte in Gang kommt.

Die Furche: Begibt sich die EU da nicht auf gefährliches Terrain? Eine Schwulen-Parade löst in Polen andere Reaktionen aus als in Großbritannien. Wenn jetzt Brüssel über nationale Befindlichkeiten hinweg Standards setzen will, handelt sie sich doch umgehend den Vorwurf der Bevormundung ein.

Kjaerum: Die EU sollte eigentlich dafür gelobt werden, wie sie Menschenrechtsfragen in ganz Europa vorantreibt. Die großen Fortschritte gegen Diskriminierung in vielen Ländern sind dem Druck aus Brüssel zu verdanken. Natürlich gibt es Gegenreaktionen darauf in einigen Staaten. Wir als Grundrechtsagentur sind hier besonders gefordert, denn wir sind Netzwerker. Es ist nicht so, dass EU-Bürokraten vorbeikommen und den Menschen sagen, was ihr Problem ist und was sie dagegen tun sollen. Wir haben Ansprechpartner in allen Ländern und es sind diese nationalen Grundrechtsorganisationen, die die nötige Übersetzungsarbeit zwischen dem internationalen und dem lokalen Kontext leisten.

Die Furche: Übergriffe gegen Roma in Italien, Ungarn, Tschechien, Neonazi-Aufmärsche … - stimmt der Eindruck, dass Fanatismus und Hass in der EU zunehmen?

Kjaerum: Es gibt keine Studien, die eine Zunahme belegen. Es war immer da, es ist immer noch da, ob es mehr wird, ich weiß es nicht. Doch glücklicherweise gibt es heute ein Bewusstsein dafür. Das ist der große Unterschied zu den dreißiger Jahren. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat ja zu vielen Vergleichen Anlass gegeben. Und die Frage wird gestellt, ob wir uns deswegen auf mehr Rassismus einstellen müssen. Doch der große Unterschied ist: Heute kann man diese Übergriffe nicht mehr unkommentiert und unwidersprochen machen. Die stille Akzeptanz war ein Phänomen der dreißiger Jahre, das geht heute nicht mehr, denn es gibt so viele Akteure, die lautstark dagegen protestieren. Wir haben das im Sommer in Italien gesehen. Hier hat die EU eine bedeutende Rolle gespielt, die italienische Regierung vor weiteren Schritten der Ausländerdiskriminierung zurückgehalten.

Die Furche: Wie würden sie Menschen den Geist der Menschenrechte beschreiben, die andere Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Rasse, Religion, Meinung etc. angreifen?

Kjaerum: Ich habe das bei meiner Arbeit in Dänemark immer wieder gemacht. Wichtig ist, diese Menschen ernst zu nehmen, ihnen zuzuhören, zu fragen wo sie herkommen, was sie umtreibt. Und dann ihre Sorgen, oft auch ihre großen Ängste zu thematisieren und davon ausgehend die Grundrechte aller Menschen zu thematisieren.

Die Furche: Waren Sie erfolgreich?

Kjaerum: Ja, es gab einige, die zuhörten.

Die Furche: Wie beschreiben Sie Menschenrechte?

Kjaerum: Menschenrechte sind für mich die kollektive Erfahrung der Menschheit. Wir haben immer wieder erfahren, wie die menschliche Würde mit Füßen getreten wurde. Wir dürfen nicht wieder dieselben Fehler wiederholen. Es gibt viele Lektionen, die wir lernen können. Das Folterverbot z. B. ist ja nicht aus dem Nichts entstanden. Niemand ist in der Früh aufgewacht und hat gesagt, Folter zu verbieten wäre eine gute Idee. Nein, das Folterverbot ist aus bitteren Erfahrungen entstanden.

Die Furche: Und Sie glauben, die Menschen lernen aus ihrer Geschichte?

Kjaerum: Ja, schauen Sie sich doch um. Wir haben gelernt. Der Respekt vor dem Individuum hat sich durchgesetzt, nicht nur auf europäischer, sondern auch auf weltweiter Ebene. Dinge ändern sich, der Mensch wird mehr und mehr in den Vordergrund gerückt.

Die Furche: Es könnte sich ausgehen, dass wir uns zum 100. Geburtstag der Menschenrechte wieder treffen - worüber werden wir reden?

Kjaerum: Wir werden auf einer viel höheren Stufe über Menschenrechte reden als heute. Unsere Kinder werden sich einmal wundern und sagen: Die haben das 2008 akzeptiert. Wir würden das nie mehr akzeptieren!

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