6673774-1961_12_06.jpg
Digital In Arbeit

Aufstieg der Freihandelszone

Werbung
Werbung
Werbung

Der Streit um die wirtschaftliche Integration Europas, desisen Überbrük- kung ohne Unterlaß die Kabinette von vierzehn Staaten beschäftigt, droht — soweit er Österreich betrifft — in einen innerpolitischen Konflikt auszuarten. Die oppositionelle Freiheitliche Partei, die natürlich eine Sprengung der bewährten Koalition anstrebt, hat es mit unleugbarem Geschick verstanden, die Mitgliedschaft an der Freihandelszone in ein politisches Kampfobjekt zu verwandeln und als Todsünde wider die „traditionellen Bindungen” hinzustellen. Aber auch manche Kreise der jrsten Regierungspartei beteiligen sich direkt oder indirekt an der Kampagne für eine Kündigung der Konvention von Stockholm. Infolge der mannigfachen Sorgen, die Handel und Gewerbe, Industrie und Landwirtschaft bedrängen, ist anderseits die Aufklärung und Verteidigung durch die Regierungsparteien ausgesprochen ungenügend ug4 schwächlich. Die Koalition ;uclit vielmehr Zuflucht bei deT zweischneidigen Methode, alle „heißen Eisen” mit Stillschweigen zu über-

Das Statistische Zentralamt, das bei Sammlung, Sichtung und Darstellung des Zahlenmaterials über den Warenverkehr eine gigantische Arbeit leistet, hat Ende Februar die provisorischen gehen, wobei sie durch verschiedene Begleitumstände begünstigt wird. Die authentischen Unterlagen der nationalökonomischen Probleme werden nämlich von Jahr zu Jahr komplizierter und umfangreicher, so daß alle maßgebenden Faktoren wiederum Sachverständige für eine zweckmäßige und gefällige „Zubereitung der Materie” benötigen. Diese Verhältnisse begünstigen übertriebene Reaktionen. Jedem Zweifel und jeder Depression folgt eine Emotion, jeder These eine Propagandawelle und plötzlich ist ein rein ökonomisches Problem zum Tummelplatz der parteipolitischen Agitation geworden Die Öffentlichkeit steht daher heute vor der merkwürdigen Situation, daß die düstere Voraussage — „Österreich wird in der Freihandelszone verhungern!” — durch die Handelsstatistik glatt widerlegt ist, aber diese Tatsache einfach totgeschwiegen wird, weil die Zugehörigkeit zur Freihandelszone die seidene Schnur bieten soll, mit deren Hilfe man das künftige Kabinett Gorbach strangulieren will.

Daten über den Außenhandel veröffentlicht. Die üblichen nachträglichen Korrekturen können jedoch das Gesamtbild kaum verändern. Für die Entwicklung der einzelnen Warenkatejorien ist man allerdings noch auf die Statistik über die neun Monate des Vorjahres angewiesen, ergänzt durch

Neben der erstaunlichen Expansion ist der Außenhandel gegenwärtig durch starke Veränderungen der einzelnen Warenkategorien gekennzeichnet, eine Entwicklung, die durchaus den landläufigen Vorstellungen widerspricht. Unter den Zonenimporten standen an der Spitze die Industriemaschinen, Garne und Textilien, ferner Eisen, Stahl und elektrische Apparate, aber infolge der Lieferungen aus Schweden und Norwegen erreichten Erze und Schrott die höchste Zuwachsquote (+ 384,3 Prozent). Eine bedeutende Importerhöhung zeigten auch Metallwaren ( + 60,9 Prozent). Rückfälle, die jedoch der allgemeinen Situation entsprachen, ereigneten sich nur bei Wolle, Getreide, Pflanzenöl und Molkereiprodukten. An den Exporterhöhungen waren neben Eisen und Stahl ( + 41 Prozent) sowie Magnesit ( + 117,1 Prozent) besonders Industriemaschinen, Metallwaren, Optik und Feinmechanik, Kautschukwaren ( + 32 Prozent) und Schmuckwaren ( + 50,8 Prozent) beteiligt. Es ist bekannt, daß alle Länder der Freihandelszone nach wie vor dankbare Absatzgebiete für Kleidung und Textilien

Eine weitere Überraschung bedeutet schließlich die starke Expansion des Handels mit der Wirtschaftsgemeinschaft. Sämtliche Kassandrarufe er die letzten Angaben der „Statistischen Nachrichten”. Damit besitzt das Wirtschaftsleben erstmals zuverlässige Unterlagen zur Beurteilung des Integrationskonfliktes, obwohl es sich nur um die erste Etappe handelt, weil die Diskriminierung durch die Wirtschaftsgemeinschaft und die Verteidigung der Freihandelszone andauern. Außerdem wird das Bild, das die beiden Staatenblöcke bieten, durch die Hochkonjunktur und die rasche Zunahme des Verbrauchs stark beeinflußt, wozu sich die Produktionssteigerung gesellt, die letzten Endes die erstaunliche Expansion des österreichischen Außenhandels um volle 20 Prozent erst ermöglicht hat. Dabei steht noch jedermann unter dem Eindruck der „kleinen Rezession des Jahres 1958”. Die schwere Belastung, die Österreich in Kauf nehmen muß, ist ein Passivum der Handelsbilanz in Höhe von 7,69 Milliarden Schilling. Seine Quellen lagen aber nicht in einer geringen Exportleistung, sondern in den übermäßigen Einfuhren, wobei allein der Import von Kraftfahrzeugen 2,49 Milliarden Schilling verschlingt. Eine Erschwerung bedeutet schließlich der „Fall Amerika”. Im Warenverkehr mit den Vereinigten Staaten sind die Importe um 33 Prozent gestiegen, dagegen die Exporte um 13,5 Prozent gesunken, so daß der Handel mit Nord- und Südamerika ein Gesamtdefizit von 1,89 Milliarden Schilling darbot, mit dem der Integrationskonflikt gar nichts zu tun hat darstellen, aber die eigentliche Überraschung bildete doch die anhaltende Zunahme der Zonenexporte von Holz ( + 33,7 Prozent), Papier ( + 24,1 Prozent) und Zellulose ( +20,1 Prožent). Nach Unterzeichnung der Konvention von Stockholm wurde von der Opposition mit voller Lautstärke verkündet, gerade für den Holzsektor bedeute jede Assoziation mit Skandinavien den Ruin und den Verlust wichtiger Absatzgebiete. Allerdings haben sich Rückschläge bei elektrischen Apparaten eingestellt, äber die Exportverluste bei Glaswaren, Aluminium und Molkereiprodukten entsprachen der allgemeinen Tendenz. Jedenfalls erfuhr der Zonenexport eine Erhöhung um 722,3 Millionen Schilling oder 24,8 Prozent auf 3,63 Milliarden Schilling, in der kurzen Zeitspanne eines Jahres ein bedeutsamer Fortschritt, der beweist, daß der Export nach Großbritannien, Skandinavien und der Schweiz noch immer sehr entwicklungsfähig bleibt. Der sonderbare Zustand, daß der Export nach Großbritannien nur 10,5 Prozent des Exports nach Westdeutschland umfaßt, ist eine Folge der langen Absperrung Österreichs vom Ausland, die erst vor 6 Jahren überwunden wurde.

wiesen sich als voreilig; denn alle interessierten Kreise unternahmen erhebliche Anstrengungen, um ihre traditionelle Stellung in den alten Absatzgebieten zu verankern. Nach wie vor standen beim Import an zweiter Stelle die Kraftfahrzeuge mit 2,25 Milliarden Schilling, und Einbußen erlitten nur Lederwaren (—0,2 Prozent), Wolle (—12,5 Prozent), Getreide (—20,5 Prozent), Häute und Felle (—26,4 Prozent) und Pflanzenöl (—35,3 Prozent). Beim Export beschränkten sich die Rückschläge auf Zellulose (—2,4 Prozent), Molkereiprodukte (—6,6 Prozent) und Aluminium (—9,6 Prozent). Auf. diese Weise hat Österreich in den Staaten der Europäischen Wirtschafts gemeinschaft überhaupt noch keine ernsthaften Verluste erlitten, vielmehr gerade bei den kleineren, bisher kaum beachteten Positionen außerordentliche Exporterhöhungen erzielt, darunter bei Kautschukwaren (+35,3 Prozent), Motorrädern (+41,9 Prozent), elektrischen Apparaten ( + 50,2 Prozent), Schmuckwaren (+55,7 Prozent) und Kleidung (+ 81,1 Prozent). Außerdem ist der Export nach den Benelux- Stäaten auffallend stark angestiegen. Diese Erfolge werden allerdings durch die Tatsache untermauert, daß wich tige Exportwaren — Holz, Papier und Zellulose, Eisen, Stahl und Magnesit, lebende Tiere und elektrischer Strom — heute von den meisten Staaten dringend benötigt werden. Jedenfalls verdienen Handel, Gewerbe, Industrie und Landwirtschaft die höchste Anerkennung, weil sie trotz der Diskriminierung durch den Vertrag von Rom und der starren Haltung der bürokratischen Brüsseler Zentrale nicht nur ihre Absatzmärkte kraftvoll verteidigt, sondern fast alle Exporte in einem erstaunlichen Umfang vermehrt haben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung