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Ausblick und Sorgen

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Noch um die Mitte des Vorjahres hatte es den Anschein, als würde nun auch die österreichische Wirtschaft die vollen Auswirkungen der Rezession genannten konjunkturellen Baissebewegungen zu verspüren1 bekommen,-: die steirische Wirtschaft, nicht gerade der unwichtigste Bestandteil der österreichischen Gesamtwirtschaft, hatte mit gewissen Absatzsorgen zu kämpfen, aus denen angesichts der bekannten Kapitalarmut der meisten Betriebe weitere Sorgen resultierten. Mit berechtigtem Unmut wurde das geradezu lustlose Tempo registriert, in dem die Verhandlungen um das Zustandekommen einer wirtschaftlichen Integration Europas dahinschlichen, und wenn schon damals — also etwa Anfang Juli 1958 — gerade in der Steiermark Zweifel daran geäußert wurden, daß dieser Gemeinsame Markt in der vorgesehenen Form überhaupt je zustande käme, so beruhten diese Zweifel auf einer nüchternen Analyse der politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten jener europäischen Staaten, die an dem projektierten Zusammenschluß teilnehmen sollten.

Der befürchtete Sturmwind der Rezession blieb aus und hat sich für unsere Wirtschaft nur als leichtes Lüftchen erwiesen. Die entsprechenden Maßnahmen der Bundesregierung hatten ebenso konjunkturbelebende Wirkung wie der weltweit zu beobachtende neue wirtschaftliche Aufschwung? Schön am Ende des vergangenen Jahres 1958 konnte mit Befriedigung festgestellt werden, daß es gelungen ist, die zeitlich begrenzten Schwierigkeiten zu überwinden, und auch in der steirischen Wirtschaft machten sich belebende Aufwinde bemerkbar. Um die Mitte dieses Jahres erreichte die Beschäftigtenzahl in der Steiermark einen neuen Rekord, und aus den meisten Wirtschaftssparten werden erfreulich hohe Produktionsergebnisse bekannt. Selbst eines der Sorgenkinder der steirischen Wirtschaft, der den westlichen Bundesländern gegenüber arg im Hintertreffen liegende Fremdenverkehr, konnte am allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung teilhaben, wobei insbesondere die Tatsache mit Befriedigung verzeichnet zu werden verdient, daß an der Erhöhung der Nächtigungs- zahlen das Ausland stärker beteiligt war als das Inland. Alles in allem kann also festgestellt werden, daß, von einigen wenigen Ausnahmen in bestimmten Sparten abgesehen, die steirische Wirtschaft gut im Rennen liegt und daß Produktionshöhe, Beschäftigtenzahl und Umsatz dem österreichischen Durchschnitt in keiner Weise nachstehen dürfte. Dies verdient deswegen noch besondere Betonung, weil die Steiermark im Süden und Osten über Notstandsgebiete verfügt, deren Schwierigkeiten erst über längere Zeiträume behoben werden können.

Trotz dieses an sich durchaus erfreulichen Lageberichtes zu Beginn der Herbstsaison mag sich dennoch keine reine Freude einstellen. Mehr noch als der österreichische Durchschnitt ist nämlich die steirische Wirtschaft darauf angewiesen, ihre Produkte zu exportieren, denn nicht nur die zahlreichen Großbetriebe der Eisen-, Stahl-, Papier- oder Fahrzeugindustrie um nur diese zu nennen sind angesichts ihrer Produktionshöhe zu einem dreißig- bis sechzigprozentigen Export gezwungen, auch kleinere Industriebetriebe sonstiger Branchen und gewerbliche Fertigungen können ihr derzeitiges Niveau nur halten, wenn sie einen beachtlichen Teil ihres Erzeugungsprogrammes in andere Länder verkaufen. Die Frage, ob Oesterreich an der Konstruktion eines größeren Marktes teilnehmen wird, und wenn ja, an welcher, erhält dadurch für die Steiermark verhältnismäßig mehr Gewicht als vielleicht in anderen Bundesländern.

Die Tatsachen sind ja bekannt. Nach dem Scheitern der projektierten großen europäischen Freihandelszone haben sich die sechs Montan- vnionstaaten zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft EWG zusammengeschlossen und ihre ersten wirtschaftlichen Maßnahmen seit Beginn dieses Jahres auch bereits gesetzt; welche Folgen schon diese ersten „gemeinsamen“ Schritte für die österreichische Wirtschaft hatten und welche Folgen noch zu erwarten sind, wurde aus berufenem Munde mehr als einmal in aller Deutlichkeit bekanntgegeben, so daß eine Wiederholung hier unterbleiben kann. Nun haben sich bekanntlich jene Staaten, die außerhalb der EWG verblieben sind, gleichfalls entschlossen, eine Art sehr locker organisierter Freihandelszone zustande zu bringen, die sich gegenwärtig noch im Verhandlungsstadium befindet und an der auch Oesterreich teilzunehmen beabsichtigt. Obwohl sich diese „kleine" Freihandelszone der sogenannten „äußeren“ Sieben noch nicht konkretisierte, werden bereits aus so gut wie allen ihren künftigen Mitgliedsstaaten kritische und besorgte Stimmen laut. Maßgebliche — und nicht nur selbsternannte — berufene. Sprecher der steirischen Wirtschaft sind der Ansicht, daß sich Oesterreich seinerseits ebenfalls eher den Kritikern anschließen müßte. Ein Blick auf die österreichische Außenhandelsstatistik beweist uns nämlich, daß sich .unser Warenaustausch noch immer zu über fünfzig Prozent mit jenen Staaten ab wickelt, die Mitglieder der EWG sind, während die künftigen Partner in der „kleinen“ Freihandelszone bloß mit einem Anteil von nicht ganz fünfzehn Prozent vertreten sind. Wenn es nicht gelingt, diese beiden Anteile gegeneinander zu vertauschen — und in der Steiermark beurteilt man diese Möglichkeit mit allergrößter Skepsis —, dann bedeutet dies, daß für mehr als die Hälfte unseres gesamten Außenhandels dis- kriminatorische Maßnahmen gelten und ihn so zum Schrumpfen bringen werden, ohne daß es zwischenzeitlich gelänge, ebenso aufnahmefähige andere Märkte zu gewinnen.

Eben diese Tage haben uns einmal mehr gezeigt, daß auch die Forcierung des Handels mit dem Ostblock keinen Ausweg darstellen kann, so lange dieser nicht in der Lage isfes dem österreichischen Standard angemessene Gegenlieferungen anzubieten. Es bliebe somit nur mehr die überseeische Möglichkeit offen, aber gerade auf diesem Gebiet ist die österreichische Wirtschaft nur unter Opfern in kleinem Ausmaß konkurrenzfähig, weil wir angesichts unserer Kapitalstruktur keinen Wettlauf mit den unendlichen Zahlungszielen der wirtschaftlichen Großmächte aufnehmen können und weil unser Ruf, der sozialste Staat der Welt zu sein, unsere Exportpreise über Gebühr belastet.

Die Aussichten unserer wirtschaftlichen Entwicklung und Expansion müßten also angesichts der gegenwärtigen internationalen wirtschaftlichen Lage mit einigem Pessimismus beurteilt werden, wenn es nicht gelänge, aus der Tatsache, daß wir nicht nur exportieren müssen, sondern in weit höherem Maß Bezieher ausländischer Waren sind, einigen Verhandlungsnutzen zu ziehen. Gerade jene Staaten nämlich, mit denen Oesterreich den Löwenanteil seines Außenhandels abwickelt, müssen sich sagen, daß sich ihre Ausfuhren nach Oesterreich zunehmend in Gefahr befinden, wenn sie uns nicht die Möglichkeit geben, wenigstens den größeren Teil dieser Ausfuhren durch Exporte unsererseits zu kompensieren. Daß diese Möglichkeit gerade von unserem größten Handelspartner, der Bundesrepublik Westdeutschland, in allen ihren Konsequenzen erkannt wurde, berechtigt zu der Hoffnung, daß es gelingen wird,

Maßnahmen und Schritte zu verhüten, welche sich gegen die österreichische Wirtschaft auswirken würden. Darum möchte die steirische Wirtschaft die Verhandlungen um das Zustandekommen der „kleinen“ Freihandelszone zwar nicht als «gänzlich überflüssig betrachten, aber dennoch der Hoffnung Ausdruck geben, daß es entweder zu einer äußerst engen Zusammenarbeit mit der EWG kommt, oder, was noch begrüßenswerter wäre, daß sich alle freiheitlich wirtschaftenden Staaten Europas bereit finden, den nationalen Chauvinismus ebenso über Bord zu werfen wie den wirtschaftlichen Protektionismus und gemeinsam jenes Projekt verwirklichen, durch dessen Zustandekommen Europa den bereits bestehenden zwei großen Wirtschaftsblöcken ein gleichrangiger Partner werden könnte.

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