6720372-1965_10_03.jpg
Digital In Arbeit

Beitrag zu einem echten Aggiornamento

Werbung
Werbung
Werbung

Das Wort ist nicht neu, ebensowenig die Sache, die es bezeichnet. Um 1900 forderte Sangnier die Kirche auf, ihre „traditionelle Verbundenheit mit Besitz und Besitzenden aufzugeben und wieder eine Kirche der Armen zu werden“. Sie müsse ihre moralische Kraft der Arbeiterbewegung leihen, die eine gerechtere Verteilung der Güter anstrebt. Pius X. verurteilte im Sil-lonistenbrief 1910 (genannt nach dem Blatt „Sillon“ = Furche) diese Richtung, weil sie „die christliche Ethik in den Dienst politischer Bewegungen stellt und damit Uneinigkeit unter den Gläubigen sät“.

1944 entstand in Italien die Sini-stra Christiana. Katholiken der Widerstandsbewegung traten für eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit den Kommunisten auch im befreiten Italien ein. Die scharfe Kritik des „Osservatore Romano“ führte zur Auflösung dieser Splitterpartei. In Frankreich entstand ein ähnlicher Kreis um die Zeitschrift „Quinzaine“, und auch in Spanien, England und Lateinamerika traten solche Strömungen auf.

In Österreich löste das Buch: „Kirche und Zukunft“ von Daim, Heer und Knoll eine neue Diskussion um den Linkskatholizismus aus. Darin werden allerdings (besonders von Knoll) auch dogmatische Probleme mit sozialen Fragen vermengt, was Angriffsflächen nach allen Seiten hin bietet.

In Fragen der Glaubenslehre kann es kein linksgläubig oder rechtsgläubig, sondern nur ein rechtgläubig geben. Die innerkirchlichen Reformen der Liturgie) des Kirchenrechtes, der Kirchenunion, des Verhältnisses zu anderen Religionen gehört in ein anderes Kapitel und haben mit Linkskatholizismus nichts zu tun.

Dieser bedeutet ausschließlich eine bestimmte Stellung des Katholiken zu den Fragen der Gesellschaftsordnung. Die katholische Soziallehre verpflichtete die Gläubigen allzu lange mit Hilfe einer einseitigen Auslegung von Sätzen aus der Summa des Aquinaten auf eine Haltung, die den dynastischen, und später den bürgerlichen Interessen entsprach. Aus dem natürlichen Recht auf individuelles Eigentum folgerte man, daß Verstaatlichung und Kollektivwirtschaft abzulehnen sind, daß der Großgrundbesitz nicht, wo erforderlich, aufgeteilt werden dürfe, daß die privatunternehmerische Organisation der Wirtschaft allein der Person die Möglichkeit ihrer Entfaltung gebe. Die daraus entstehende Vermögenskonzentration und einseitige Einkommensverteilung glaubte man durch einen Appell an die Caritaspflicht des Besitzenden entschärfen zu können. Der Wettbewerb wird auch dort als Leistungsprinzip verteidigt, wo er in einen Vernichtungskampf ausartet, und der Kolonialismus als Kulturmission des Europäers hingestellt.

Man übersieht, daß sich die Wirtschaftsordnung von heute in einem Umwandlungsprozeß befindet, der eindeutig auf eine umfassende Rahmenplanung hinzielt. Der einzelne Unternehmer kann ja die Auswirkung seiner Entscheidung auf das Gemeinwohl gar nicht mehr abschätzen. Das freie Spiel der Kräfte brachte Klassenkampf, Krisen, Spekulation, Arbeitslosigkeit, Inflation. Die Wirtschaftspolitik kann aber auch nicht dem Tauziehen von Interessengruppen überlassen bleiben, sondern muß rechnerisch auf das Optimum für die Gesamtheit hin programmiert werden, wozu uns die moderne Nationalökonomie das Instrumentarium liefert. Auch in der Frage der Sicherung des Weltfriedens, der atomaren Abrüstung müssen wir neu Stellung beziehen, da die Waffentechnik bedrohlich geworden ist. Hier kann der Katholik nicht mehr länger auf die heute antiquierten Lösungsvorschläge der katholischen Soziallehre von 1891 verpflichtet bleiben, sondern muß seine Position neu durchdenken und neu beziehen, da sich die Welt von gestern völlig verändert hat. Das, dieser Versuch der Anpassung von Lehre und sozialer Wirklichkeit, und nicht mehr ist Inhalt und Aufgabe des Linkskatholizismus.

Es ist für den tagespolitischen Hintergrund der Diskussion in Österreich bezeichnend, daß sie in den Mittelpunkt die Haltung des Linkskatholiken zum Kommunismus stellt. Auch diese ist klar: bei schärfster weltanschaulicher Abgrenzung und Absicherung ist die bisherige Haltung des „vitandus est“ auf die Dauer nicht aufrechtzuhalten. Gerade der Kontakt mit dem Osten und im besonderen mit den dortigen Katholiken hilft mit, in diesen Ländern Entwicklungen auszulösen, welche die Irrtümer überwinden und das Positive, das in jedem System steckt, aktivieren werden.

Wenn sich der Linkskatholik auf die spezifischen sozialen und politischen Fragen beschränkt, wird er wohl kaum mit seiner Kirche in Konflikt kommen, sondern wird einen Beitrag zu einem echten Aggiornamento leisten.

Auf die Frage, was ich im allgemeinen unter Linkskatholizismus verstehe, kann ich nur antworten: eine unmögliche Wortkonstruktion. Es gibt römische Katholiken und jene der unierten Kirche, gibt gute und schlechte Katholiken, aber keine linken oder rechten oder wie immer gearteten Mitglieder der katholischen Kirche. Den aus dem politischen Leben stammenden Ausdruck „links“ oder „rechts“ für eine religiöse Haltung zu verwenden, ist falsch. Die Konstruktion, der „Linke“ sei der Fortschrittliche, der „Rechte“ der Konservative, stimmt nicht.

Zur zweiten Frage, was sich in der konkreten österreichischen Situation unter dem Begriff Linkskatholizismus verstehe, kann ich nur auf die Antwort eins verweisen, möchte aber hinzufügen, daß meines Erachtens der sogenannte „Linkskatholizismus“ eine Gruppe von Intellektuellen umfaßt, die aus ihrer Überzeugung heraus, daß Österreich eine Mittlerrolle zum Osten spielt, zusammengefunden hat. „Linkskatholisch“ wird gleichbedeutend mit antideutsch, anti-EWG und einer Vorliebe für den Donauraum gesetzt, wobei vergessen wird, daß diese Vorliebe heute die Traditionen sprengt, weil der Donauraum kommunistisch ist. Mit dem Atheismus aber gibt es, wie jüngst erst der österreichische Kardinal betonte, keine Gemeinsamkeit. Die Kirche selbst lehnt Formulierungen wie links- oder rechtskatholisch ab und es sind ausschließlich Gläubige, die versuchen, mit der Kirche und dem Glauben Politik zu machen. Ich meine, wie ich auch in einem Leitartikel in den „Salzburger Nach-

richten“ formulierte, daß viele mit dem Wort „Linkskatholizismus“ kokettieren und es nur einige wenige Menschen in unserem Lande gibt, die sich zu ihrer Vorliebe für „links“, aber im Sinne von östlich orientiert, bekennen müßten. Das Mäntelchen, das hier umgehängt wird, soll mit dem ehrenwerten und respektablen Ausdruck Katholik Bindungen decken, die eindeutig in den Osten ziehen. Mir wären jene Leute wesentlich sympathischer, wenn sie offen für ihre Meinung einträten, denn dann könnte man mit ihnen diskutieren, weil jede Überzeugung achtenswert ist. So aber finde ich, daß mit den Worten links- und rechtskatholisch aufgeräumt werden muß, wie ja auch Kardinal Dr. König in seiner Neujahrsbotschaft foderte. Definitionen, die unter „links“ eine revolutionäre Haltung und unter „rechts“ Reaktionäre verstehen, sind ausgesprochene Schützenhilfen für den Weltkommunismus, weil sie die Definitionen des Ostens kritiklos übernehmen.

Ich selbst bekenne mich dazu, Katholik zu sein, und würde mich wehren, darüber hinaus abgestempelt zu werden, weil das Wort Katholik nicht nur eine Ehrenbezeichnung, sondern auch eine Verpflichtung darstellt, der heute auch schon ohne „links“ und „rechts“ nicht leicht nachzukommen ist.

Chefredakteur der „Salzburger Nachrichten“

(Wird fortgesetzt)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung