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Belohnung des Aggressors

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Die bürgerlichen, national gesinnten, oppositionellen Parteien in Serbien lehnen den Frieden von Dayton nicht ab. Sie werfen dem Präsidenten Serbiens, Slobodan Milosevic, jedoch vor, er habe erst eine „kriegstreiberische" Politik geführt und dann habe er kapitulieren müssen. Der Bürgerbund Serbiens, die einzige wirklich demokratische Option, unterstützt den Frieden nicht nur, sondern sagt, Milosevic sei eigentlich auf die Linie eingeschwenkt, die der Bürgerbund bisher vertreten habe. „Wir werden Milosevic ständig daran erinnern, daß er diesen Krieg verursacht hat und sich letztlich dafür verantworten muß", sagt die Präsidentin des Bürgerbundes, Ve-sna Pesic. Im Namen der extrem nationalistischen serbischen Badikalen lehnt Vojislav Seselj Dayton strikt als Verrat an serbischen Interessen ab.

Als einzige wichtige Institution der Serben hat bisher die serbisch-orthodoxe Kirche zu Dayton geschwiegen, obwohl sie sonst ihre Meinung zu „nationalen Fragen" stets mitgeteilt hat. Zwischen den Bischöfen besteht über diesen Frieden keine Einigkeit. Ein Teil von ihnen meint, wie die Badikalen, daß in Dayton die Sache der Serben von Milosevic verraten worden sei. Der Führer der bosnischen Serben, Bado-van Karadzic, und sein Gefolge haben sich stets religiös gegeben, Milosevic hingegen verbirgt seine atheistische Grundeinstellung nicht.

Das Dokument, in dem Karadzic schriftlich die Bechte, für die Serben zu sprechen, Slobodan Milosevic übertragen hat, hat der serbische Patriarch mitunterzeichnet. Damit befindet er sich, nach der Meinung der „Falken" unter den Bischöfen, auf der Seite der Verräter.

Nach der Paraphierung des Vertrages in Dayton fand eine Sitzung der „heiligen Synode", der „Begierung" der Kirche, statt. Eine öffentliche Mitteilung danach wurde nicht herausgegeben, weil sich die Mitglieder nicht einigen konnten. Eine Sitzung der Versammlung aller Bischöfe wird kurz nach Weihnachten erwartet. Sie wird zur Lage des Serben-tums Stellung nehmen müssen, weil die Kirche die einzige Organisation aller Serben im Mutterland, in Bosnien und Kroatien sowie in Westeuropa und Übersee ist.

Die katholischen Bischöfe aus Bosnien-Herzegowina zögerten nicht, den Friedensvertrag aus Dayton als ungerecht und unannehmbar zu kritisieren. Sie halten den Kompromiß für eine „Belohnung des Aggressors".

Das Unverständnis der katholischen und orthodoxen Bischöfe für den Friedensvertrag, der heute, Donnerstag, in Paris unterzeichnet wird, halten viele Beobachter im Lande für bedauerlich und bedenklich.

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