Berivan Aslan - © Foto: APA / EXPA / Johann Groder (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)

Berîvan Aslan: „Einfluss der Türkei hier ist massiv“

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Die Grün-Mandatarin Berîvan Aslan steht aufgrund eines angeblichen Mordkomplotts des türkischen Geheimdienstes unter Polizeischutz. Ein Gespräch.

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Die Grün-Mandatarin Berîvan Aslan steht aufgrund eines angeblichen Mordkomplotts des türkischen Geheimdienstes unter Polizeischutz. Ein Gespräch.

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Berîvan Aslan engagierte sich früh für Menschenrechte und die Rechte der Frauen. Sie ist stellvertretende Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft zur Förderung der Kurdologie und war bis 2017 Grüne Abgeordnete. Sie kandidiert für den Wiener Gemeinderat.

DIE FURCHE: Es ist Wahlkampf und Sie können kaum außer Haus, haben Personenschutz. Was passiert da gerade?
Aygül Berîvan Aslan: Am 15. September wurde ich verständigt, dass sich eine Person gestellt habe, die angegeben hat, vom türkischen Geheimdienst beauftragt worden zu sein, mich zu töten. Ich wollte mit der Geschichte an sich nicht raus gehen, weil ich im Wahlkampf bin und ich auch vorab nicht wusste, was genau dahinter steht – und um die Ermittlungen nicht zu gefährden. Dann ist Peter Pilz mit der Geschichte an die Öffentlichkeit gegangen.

DIE FURCHE: Wer ist der Mann, der sich da gestellt hat?
Aslan: Er ist ein türkischstämmiger italienischer Staatsbürger, 53 Jahre alt, der angegeben hat, vom türkischen Geheimdienst pensioniert worden zu sein. Zugleich hat er in den vergangenen Jahren in wichtigen politischen Prozessen in der Türkei mitgewirkt, wie zum Beispiel einem Gülen-Prozess, in dem er als Hauptbelastungszeuge ausgesagt hat. Es gab immer wieder Berichte, dass in politisch sensiblen Prozessen Personen als Zeugen verwendet wurden, die Verbindungen zum türkischen Geheimdienst haben. Interessant ist: Er wird auch gefragt, warum er sich stellt. Und da gibt er sehr plausible persönliche Motive an. Er sagt wörtlich, er wolle ,seinen Arsch retten‘.

DIE FURCHE: Inwiefern müsste er das tun und warum ausgerechnet ein pensionierter Mitarbeiter?
Aslan: Bei solchen Aktionen würde ein Staat nie aktive Sicherheitsbeamte für so etwas verwenden. Es sind meistens Personen, die aufgedeckt sind, oder eben Beamte, die man nicht mehr braucht. Das trifft alles auf ihn zu.

DIE FURCHE: Sie sind Lokalpolitikerin – wieso erregen Sie bei türkischen Gruppen soviel Aufmerksamkeit?
Aslan: Mein politisches Profil und meine Identität passen zum Feindbild vieler fundamentalistischer und rechtsextremistischer Gruppen. Ich war die erste österreichische Politikerin, die vom IS eine Morddrohung bekam. Und es ist auch interessant, dass dieses Jahr in verschiedenen Ländern sehr viele kurdischstämmige und alevitische Frauen ermordet wurden, Taten, bei denen man weiß, dass die Täter aus der Szene der Grauen Wölfe kommen. Und drittens: Ich versuche seit Jahren, die Menschenrechtssituation, die Demokratiedefizite in der Türkei und auch das Spionagenetzwerk von Erdoğan in Österreich aufzudecken und aufzuzeigen. Das macht mich zu einer gefährdeten Person.

DIE FURCHE: Diese offiziellen und inoffiziellen Strukturen, von denen Sie sprechen. Wie greifen die ineinander?
Aslan: Es gibt sehr viele Informanten in Österreich. Und es wird auch wohl nie nachgewiesen werden, dass dieser eine Mann vom türkischen Geheimdienst beauftragt wurde. Sie werden alles leugnen.

DIE FURCHE: Aber inwiefern ist das eine gesteuerte Gruppe?
Aslan: Die Ereignisse in Favoriten (Serie von Angriffen rechtsradikaler Türken auf linke Demos und Vereine, Anm.) haben uns deutlich gezeigt, dass diese Gruppen von Außen beeinflusst wurden. In regierungsnahen türkischen Medien wurden alle Kundgebungen in Favoriten als PKK-Demos dargestellt. Der türkische Botschafter hat auf Deutsch und Türkisch auch ganz unterschiedliche Botschaften geliefert. Er hat alle Demo-Teilnehmer als Terroristen dargestellt. Der Einfluss der Türkei in Österreich ist massiv.

DIE FURCHE: Wie kann man sich diese Einflussnahme vorstellen?
Aslan: Es ist ein gut koordiniertes Netzwerk aus Moscheen und Vereinen. Fakt ist, dass diese Vereine oder Kulturvereine als AKP-Parteizentralen genutzt werden und nicht als soziale Treffpunkte. Der Einfluss Erdoğans zerstört zugleich auch jede Integrationsarbeit - weil er den Menschen das Zugehörigkeitsgefühl zu Österreich nimmt. Viele türkische Jugendliche fühlen sich sowohl aufgrund der AKP als auch der FPÖ-Politik in Österreich nicht zugehörig. Erdoğan profitiert sehr von der Politik der FPÖ. Sie schnappen sich gezielt Menschen, die am Rand der Gesellschaft stehen. Es wird ihnen das Gefühl gegeben: ,Du wirst hier immer Mensch zweiter Klasse sein – aber hinter dir steht die starke Türkei.‘ Das funktioniert.

DIE FURCHE: Gerade in Wien mit einem hohen Anteil an Bewohnern mit Migrationshintergrund ist ja auch das Wahlrecht ein Ausschließungs-Merkmal. Sollte das Wahlrecht ausgeweitet werden?
Aslan: Das ist ein demokratiepolitisches Problem. Für eine Demokratie sollte es aushaltbar sein, dass Menschen auf Kommunalebene mitentscheiden, die keine Staatsbürger sind.

DIE FURCHE: Auf Bundesebene hat soeben die „Dokumentationsstelle Politischer Islam“ ihre Arbeit aufgenommen. Wo ist der Grat zwischen Problemidentifizierung und Problemlösung sowie politischer Ausbeutung dieses Themas?
Aslan: Nur eine Dokumentationsstelle zu installieren ist keine Lösung. Man braucht mehr Aufklärung an Schulen. Man muss da nicht nur über österreichischen, sondern auch über ausländischen Rechtsextremismus sprechen. Es braucht Elternberatung. In diesem Bereich gibt es wenig Sensibilisierung. Dort, wo unsere Integrationsarbeit versagt hat, haben diese Lücken radikal-islamische Gruppen und die AKP gefüllt. Ich finde, dass wir eine spezifische Stelle im Verfassungsschutz brauchen, die sich mit solchen Einflussnahmen beschäftigt.

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