Mauerbau - © Foto: Pixabay

Berliner Mauerbau: Zementierte Teilung der Nation

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Zum 40. Jahrestag des Berliner Mauerbaus.

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Jahrestage kann man sich nicht aussuchen. Die kommen, auch wenn sie dem einen oder anderen momentan überhaupt nicht ins Konzept passen. So ärgert sich so mancher PDS-Funktionär wohl gerade fürchterlich, dass sich justament in diesen Tagen, in denen die Nachfolgepartei der ostdeutschen SED mit Politstar Gregor Gysi an der Spitze den Bürgermeistersessel der Hauptstadt anvisiert, der Berliner Mauerbau zum vierzigsten Male jährt. Erklärungen werden nun von der PDS gefordert, Entschuldigungen und Bedauern für den in damaliger offizieller DDR-Diktion "antifaschistischen Schutzwall" eingemahnt.

Warum dieses traurige Jubiläum nur jetzt, so kurz vor dem möglichen Sprung zurück an die Macht? Wo es doch für die PDS darum geht, die Nostalgiker in der Partei, die jedes Wort zur verklärten DDR-Vergangenheit auf die Goldwaage legen, nicht zu verprellen, sich gleichzeitig neuen Wählergruppen als eine Partei zu präsentieren, die in der Bundesrepublik angekommen ist. Warum wurde mit dem Mauerbau bloß am 13. August 1961 begonnen, mag vielleicht Gysi selbst schon mit der Historie gehadert haben.

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Gysis Frage ist berechtigt. Warum wurde nicht schon am ersten Höhepunkt der Berlin-Krise 1948/49, in der nur mehr eine alliierte Luftbrücke die Versorgung Westberlins aufrecht erhalten konnte, an eine massive Grenze zwischen dem West- und Ostsektor gedacht? Oder 1958, als Kreml-Chef Nikita Chrustschow die Annulierung des Potsdamer Abkommens ankündigte, damit das bis dahin geltende Minimalabkommen über die Stellung Deutschlands im Nachkriegseuropa außer Kraft setzte? Warum ließ die DDR-Führung Westberlin so lange als Fluchtschleuse offen, die Tausende nützten, warum wurde nicht schon viel früher ein gänzlich abgesondertes Westberlin seiner direkten Ausstrahlungsmöglichkeiten jeglicher Art, die es auf die ganze DDR ausgeübt hat, beraubt?

Weil beide Seiten, West und Ost, bis dahin wohl glaubten, mehr für sich herausholen zu können. Weil die Alliierten nicht mehr mit einer Stimme sprachen, uneinig darüber waren wie stark sie sich noch für den "Berliner Schweinetrog" (John F. Kennedy) einsetzen sollten. Weil die Sowjets merkten, dass die von ihnen geforderte Umwandlung West-Berlins in eine "selbstständige politische Einheit" den Bogen trotz der abbröckelnden West-Allianz überspannt hatte, und sie auch mit den Auswirkungen des Mauerbaus ihre Ziele gut erreichen konnten: ein Ende des Flüchtlingsstroms, die Schließung des "Schaufensters" West-Berlin und damit eine Stabilisierung der DDR insgesamt.

Dass diesen Einsichten, die zum Mauerbau führten, ein riskanter Politpoker vorangegangen ist, soll aber nicht unerwähnt bleiben. Wie weit die Akteure zu gehen bereit waren, zeigt sich daran, dass der britische Premier Harold Macmillan für den Extremfall eines nicht auszuschließenden Atomkriegs um Berlin angeordnet hatte, britische Kinder nach Kanada zu evakuieren, um die britische Rasse zu retten. In dem soeben erschienenen Buch "Der Mauerbau" zitiert der Innsbrucker Zeitgeschichtler Rolf Steininger den US-Präsidenten John F. Kennedy, der bei seinem Zusammentreffen mit Nikita Chruschtschow in Wien im Juni 1961 die Absurdität der Situation so beschrieb: "Es wirkt doch einfach idiotisch, dass wir wegen eines Vertrages, der Berlin als zukünftige Hauptstadt eines wiedervereinten Deutschland vorsieht, mit der Gefahr eines Atomkriegs konfrontiert sind - wo wir doch alle wissen, dass Deutschland wahrscheinlich nie mehr wiedervereinigt wird!"

Wie weit die Akteure zu gehen bereit waren, zeigt sich daran, dass der britische Premier Harold Macmillan für den Extremfall eines nicht auszuschließenden Atomkriegs um Berlin angeordnet hatte, britische Kinder nach Kanada zu evakuieren, um die britische Rasse zu retten.

Sag niemals nie, Kennedy hat sich wenige Wochen vor dem Mauerbau, dem "Höhepunkt und Ende der eigentlichen Berlin-Krise" (Steininger) genauso getäuscht wie viele andere in diesen Tagen und all die Jahre danach bis zum Fall der Mauer am 9. November 1989. Unter ihnen ein besonders hartnäckiger Realitätsverweigerer, DDR-Staatschef Erich Honecker, der am 13. August 1961 den Einsatz der Volkspolizisten und der "Kampfgruppen der Arbeiterklassen" beim Mauerbau organisierte und noch kurz vor der Wende seinem "antifaschistischen Schutzwall" weitere 100 Jahre voraussagte. Es wurden insgesamt keine 30 Jahre, aber für sehr viele Berliner war jeder einzelne Tag, an dem die Mauer ihre Stadt teilte, katastrophal und viel zu lange.

Die erste Mauer zwischen West- und Ostberlin an diesem Sommertag war eine Menschenmauer. Sechs Kompanien verschiedener militärischer Verbände werden der Reihe nach aufgestellt, sollen am Brandenburger Tor die geschlossene Abwehrfront demonstrieren. Die Straßen werden zur Grenze. Die Ostberliner dürfen sich nicht mehr nähern, den Westberlinern wird der Weg versperrt. Im Schutz der uniformierten Mauer wird der Stacheldraht durch eine Mauer aus Stein ersetzt. Die Sektorengrenze gibt die Richtung vor. Kompromisse gibt es nicht. Die Mauer wird mitten durch Häuser gezogen, lässt andere Gebäude, darunter die Versöhnungskirche in der Bernauer Straße im unerreichbaren Niemandsland zurück. Grenzposten dringen in Wohnungen ein, von Arbeitern begleitet, mit dem Auftrag ausgestattet, die nach Westen gerichteten Fenster zuzumauern. Viele Zurückgebliebene suchen ihr Heil im Westen, das heißt in dieser Situation konkret im Sprung aus dem Fenster. Vier Flüchtlinge verfehlen die aufgespannten Tücher, sterben bei den Sprüngen, zahlreiche andere verletzen sich.

Mitte September, ein Monat nach Baubeginn, hat die Mauer bereits eine Länge von drei Kilometern. Einmal ganz fertig, wird die Sperranlage 165 Kilometer lang sein. Anfangs konnten die getrennten Menschen einander noch zuwinken. Um das jedoch zu verhindern, werden an vielen Stellen Sichtblenden errichtet. In Flüsse und Seen senkt man Stacheldrahtverhaue. Stahlbeton ersetzt nach und nach die zu Beginn errichteten Steinmauern und hunderte Wachtürme, Bunker und Schützenstellungen im Todesstreifen sowie unzählige Hundelaufanlagen, in denen Bluthunde auf ihre Beute lauern, komplettieren diese zementierte Teilung einer Nation.

Gelang in den ersten Tagen noch mit einem gewagten Sprung das Entkommen von Ost nach West, wurden die Fluchtmöglichkeiten, je ausgereifter sich die Sicherungsanlagen präsentierten, immer weniger, der Aufwand immer größer und kostspieliger. Tunnel wurden gegraben um die Mauer zu unterwandern, mithilfe von selbstgebauten Sesselliften, Heißluftballonen und Mini-U-Booten versucht man die Grenze im Wasser und in der Luft zu überwinden. Etwa 40.000 Menschen fliehen von 1961 bis 1989 auf abenteuerlichem Weg aus der DDR. Mindestens 78 Personen kommen bei Fluchtversuchen an der Mauer ums Leben, insgesamt ist von rund 1.000 Toten an der innerdeutschen Grenze die Rede.

"Mit der Mauer ist der Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums eingeleitet worden und auch die deutsche Einheit", interpretiert 40 Jahre danach der frühere deutsche Minister und Abrüstungsexperte Egon Bahr den Mauerbau. Zu schnell sollte aber eine Rechtfertigung für den 13. August 1961 nicht ausgesprochen werden, zu viel Unglück ist an und wegen der Mauer passiert. Obwohl Bahr wohl Recht hat, wenn er meint, die Berliner Mauer sei "zum Betonklotz am Hals der DDR geworden."

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